Alarmglocken ja, Totenglocken nein.

von Matthias Hell am 07.Februar 2014 in Trends & Analysen

In Anlehnung an Exciting Commerce und Kassenzone spricht nun auch Etailment vom „sterbenden Handel“ und meint damit das durch den Online-Boom bedingte Verschwinden stationärer Marken und Geschäftsmodelle. Im Gegenzug verweisen Regital und Shopanbieter.de auf die ebenfalls zunehmenden Ausfallraten im E-Commerce und erklären: „gestorben“ wird auch im Netz. Doch wie hilfreich ist die Todes-Rhetorik?

Lobenswert ist es auf jeden Fall, wenn der Blick nicht mehr nur auf die Aufgaben und Insolvenzen im stationären Handel verengt wird. Denn auch im E-Commerce gab es in den letzten Monaten u.a. mit Getgoods, Netrada und Pixmania eine Reihe spektakulärer Ausfälle. Allerdings ändern diese nichts am generellen Trend: Der Online-Handel wächst zulasten des traditionellen Einzelhandels. In einigen Branchen steht diese Entwicklung noch recht am Anfang (z.B. Lebensmittel, Drogerien, Heimwerker), in anderen Bereichen ist diese dagegen schon weit fortgeschritten (u.a. Bücher, Elektronik, Spielzeug).

Doch wird der stationäre Handel in seiner Gesamtheit nicht aussterben. Online trägt dazu bei, einige Stationärkonzepte überflüssig zu machen. Doch vor allem führt der wachsende E-Commerce dazu, dass sich viele Handelskonzepte verändern werden. Deshalb versperrt sich, wer heute schon Nachrufe auf den Einzelhandel verfasst, den Blick auf die Realität. Wer Glockengeläute hört, sollte dagegen eher an Alarmglocken denken. Denn diese können den Handel (Off- und Online) dazu bringen, sich fundiert mit den in Gang gekommenen Veränderungen zu beschäftigen und rechtzeitig die nötigen Maßnahmen einzuleiten.

Nicht jedes Sortiment für jeden Kanal

Zielführend ist in diesem Sinne zum einen Hagen Fisbecks Differenzierung zwischen trivialen und nichttrivialen Produkten:

„Unkomplizierte bzw. leicht im Internet selbst recherchierbare bzw. durch relativ einfache und vergleichbare sowie technisch einfach darstellbare Produkteigenschaften ausgezeichnete Produkte sind die optimalen Ketten- und eCommerce-Sortimente, wohingegen beratungsintensive (nicht-triviale) Produkte, bei denen man sich umständlich die Informationen zusammensuchen muss, (…) die optimalen Sortimente für den Facheinzelhandel bzw. spezialisierten Online-Shop sind.“

Der lokale Handel wird auf der einen Seite immer mehr von großen Ketten geprägt, auf der anderen Seite von hochspezialisierten, beratungsstarken Fachgeschäften. Hochgradig gefährdet sind dagegen die dazwischenliegenden Händler, die ohne spezifischen Kundennutzen und mit mittlerer bis geringer Größe ihre Daseinsberechtigung zunehmend verlieren.

Digitale Mehrwerte für den stationären Handel der Zukunft

Einen guten Hinweis auf die sich dem stationären Handel in den nächsten Jahren eröffnenden Möglichkeiten liefert Kommentator Michael Leiss bei Etailment:

„Eine Lösung könnte sein, dass E-Commerce-Technik dem stationären Handel assistiert. Man denke an einen Konfigurator im Möbelhaus, der die Investitionen des Händlers in Ausstellungsstücke minimiert, dem Kunden aber dennoch die gesamte Produktpalette in allen Farben und Formen visuell offeriert. Gezahlt wird sofort, der Besucher konvertiert zum Kunden. Konversionsraten gibt es nicht erst seit eCommerce ein Thema ist. So könnte z.B. Magento als Framework und Shopping-Plattform seinen Weg in den stationären Handel finden.“

Der Einzelhandel kann es sich im Prinzip schon heute nicht mehr leisten, sich ausschließlich auf die stationäre Dimension zu beschränken. Vielmehr gilt es Lösungen zu finden, wie der lokal erbrachte Nutzen durch geeignete Online-Erweiterungen erhöht werden kann. Zudem werden es die Kunden nicht mehr tolerieren, wenn Händler die E-Commerce-Entwicklung komplett ausblenden. Es mag zwar stimmen, dass Multichannel-Modelle von den Konsumenten nur in sehr geringem Ausmaß honoriert werden. Doch werden hybride On-/Offline-Handelsmodelle zunehmend Standard und werden die Kunden diejenigen Händler meiden, die diesen Weg nicht mitgehen.

Die Mehrheit der Konsumenten wird deshalb in den kommenden Jahren beim nächsten Einkaufscenter-Besuch nicht Ennio Morricones „Lied vom Tod“ vernehmen, sondern – wie es Michael Leiss richtig beschreibt – „ein sich schleichend veränderndes Konzept im stationären Handel“.


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