eBay-Chef Stephan Zoll: „Händler und Kunden wechseln die Rollen“

von Matthias Hell am 25.Juni 2015 in Highlight, Interviews, Local Heroes

Für sein Buch „Local Heroes 2.0“ sprach Location-Insider-Autor Matthias Hell mit eBay-Deutschland-Chef Stephan Zoll: Wie weit sind deutsche Einzelhändler bei der Digitalisierung? Welche Erwartungen stellen Kunden heute an den Handel? Und wie wird sich die Art, wie wir einkaufen, in Zukunft verändern? Als Landesgeschäftsführer des weltweit größten (reinen) Online-Marktplatzes bietet Stephan Zoll zu diesen Fragen spannende Einblicke.

eBay-Deutschland-Chef Stephan Zoll sieht sich als Partner des Handels

Seit 2007 ist Stephan Zoll für den eBay-Konzern tätig und leitet dabei seit Mitte 2013 das Geschäft des Online-Marktplatzes in Deutschland – eine Rolle, die der promovierte Jurist bereits in den Jahren 2009 bis 2011 ausfüllte

Location Insider: Herr Zoll, als die Local Heroes vor drei Jahren an den Start gingen, war die Suche nach kanalübergreifenden Händlern noch die größte Herausforderung. Heute geht es bei der großen Menge an Omnichannel-Cases dagegen vor allem um das Herausfiltern der am besten geeigneten Beispiele. Würden Sie zustimmen, dass in den deutschen Einzelhandel Bewegung gekommen ist?

Stephan Zoll: Auf jeden Fall. In den Handel ist Momentum gekommen. Begriffe wie Multichannel oder Omnichannel geistern ja schon seit einigen Jahren herum, aber ernst genommen und umgesetzt werden diese erst seit etwa zwei Jahren. Das liegt zum einen daran, dass der E-Commerce inzwischen einen relevanten Share von zehn Prozent und mehr am Einzelhandelsvolumen erreicht hat. Hier hat sich die Erkenntnis durchgesetzt: Das geht nicht mehr einfach weg. Die Leute – und zwar die breite Kundenschaft – kaufen wirklich online ein. Diese Einsicht bedeutete für viele Händler einen Wake-up-call. Das war kein einzelnes, alles veränderndes Ereignis, sondern vielmehr ein Nachdenken, das beim Handel eingesetzt hat.

Zum anderen gibt es inzwischen eine steigende Anzahl an Cases aus dem Ausland, die zeigen, wie der Handel erfolgreich seine Zukunft mitgestalten kann. Ich denke hier an Beispiele wie die Warenhauskette Macy’s in den USA, die mit viel Aufwand und beträchtlichen Investitionen große Schritte in Richtung Multichannel gemacht hat.

Location Insider: Beobachten Sie beim deutschen Handel einen generellen Meinungswandel oder ist das Bild noch recht uneinheitlich und geht die Neuausrichtung je nach Branche und Segment unterschiedlich schnell voran?

Stephan Zoll: Natürlich gibt es Branchen, die schneller oder langsamer sind, wenn es um die Ausrichtung auf die digitale Entwicklung geht. Zum Beispiel liegt die Unterhaltungselektronikbranche eher vorne und tut sich der Möbelhandel noch recht schwer. Und auch innerhalb der Branchen gibt es Unterschiede. So liegt in der Unterhaltungselektronik beispielsweise Conrad Electronic vorne und geben Media Markt und Saturn verstärkt Gas. Doch setzt so etwas auch ein Zeichen. Das zeigt, welche Erfolge möglich sind und sorgt bei den Händlern für Beschleunigung, die noch nicht so weit vorne sind. Ein ähnliches Beispiel ist im Fashion-Bereich der Erfolg von Zalando. Das hat in der Branche zu einem Aufwachen geführt und dafür gesorgt, dass das Thema Online stärker im Fokus steht.

Location Insider: Gleichzeitig ist heute bei vielen Online-Unternehmen die Aufmerksamkeit für den stationären Handel größer. Das zeigt sich in der steigenden Anzahl an Online-Händlern die stationäre Filialen eröffnen sowie in der wachsenden Menge an digitalen Diensten und Lösungen für den klassischen Handel. Und auch bei eBay findet man heute immer mehr Händler mit einem eher traditionellen Background…

Stephan Zoll: Wir verstehen uns bereits seit mehr als zwei Jahren nicht mehr in erster Linie als E-Commerce-Unternehmen, sondern ganz allgemein als Partner des Handels. Denn uns ist wichtig, dass das Warenangebot, das Kunden auf eBay.de finden, im Internet einzigartig ist. Dabei hilft es, wenn wir auch verstärkt stationäre Händler in unseren Online-Marktplatz integrieren. Diese Händler können nämlich mit Produkten, Preisen und auch Warenvolumina aufwarten, wie es sie sonst im Online-Bereich nicht gibt. Zudem liegt die Ware bereits bei den Kunden vor Ort und sind damit Fortentwicklungen möglich wie die Abholung von Online-Bestellungen im Laden um die Ecke. Das führt auch für uns zu einer Differenzierung und wir können damit eine Nutzererfahrung bieten, die noch besser ist, als bisher. Bei dieser Entwicklung sind wir in den letzten Jahren auf Händler getroffen, die immer offener sind. Das ist eine Win-Win-Situation für beide Seiten, wie es sie nicht allzu häufig gibt.

Location Insider: Stationäre Händler bieten ihre Waren bei eBay an, der Kunde kauft diese zum Beispiel mobil per Smartphone und holt seine Bestellung schließlich per Click & Collect in der nächsten Filiale ab – damit befinden wir uns bereits mitten im schönsten Omnichannel-Szenario. Was ist aus Ihrer Sicht der entscheidende Vorteil, der sich aus diesem Entwicklungssprung für die Kunden ergibt?

Stephan Zoll: Ich denke, das sind drei Aspekte: Zum einen kauft der Kunde heute jederzeit über alle ihm zur Verfügung stehenden Kanäle. Dabei wird er in seinen Entscheidungen immer spontaner und gleichzeitig in seiner Erwartungshaltung immer anspruchsvoller. Wer heute auf den Bus wartet, nutzt diese Zeit vielleicht, um mit seinem Smartphone ein Geschenk online zu kaufen und dieses auf dem Rückweg von der Arbeit im Geschäft abzuholen. Dieser Verhaltenswandel bedeutet, dass die Händler den Kontext ihrer Kunden ins Kalkül ziehen müssen. Der Händler muss sich darin einklinken und die richtigen Technologien und Prozesse bereitstellen. Das ist ein Paradigmenwechsel, der hier stattfindet: der Händler darf heute die Erwartungen des Kunden bedienen und ist dabei in den Kontext des Kunden eingebunden. Sich darauf einzustellen, bedeutet sehr viel Umdenken bei den Händlern.

Location Insider: Vor allem ist es nicht mit isolierten Online-Einzelmaßnahmen getan. Omnichannel bedeutet vielmehr eine ganzheitliche Herangehensweise an die veränderten Anforderungen und Bedürfnisse der Kunden von heute. Wie gut hat das der Handel aus Ihrer Sicht heraus bereits verstanden?

Stephan Zoll: Leider werden Omnichannel-Maßnahmen oft noch sequentiell umgesetzt. Viele Händler denken nicht in Fünfjahreszeiträumen, sondern sie agieren eher kurzfristig. Der Handel ist hier ein Stück weit getrieben und setzt sich erst mit E-Commerce auseinander, dann mit Mobile und schließlich mit der Integration dieser Kanäle. Aber es gibt auch Beispiele, die deutlich visionärer sind. Dazu zählen Händler, die verstanden haben, wie Kunden dazu getriggert werden können, ihren Kaufimpulsen nachzugehen. Allerdings erfordert das Investitionen: in die Technologie, in die Prozessanpassung und auch in die Entwicklung des Teams und der darin vorhandenen Kompetenzen. Für viele Händler ist eine sequentielle Vorgehensweise besser verdaubar. Doch läuft man damit Gefahr, im schlechtesten Fall immer nur aufzuholen. Überhaupt werden sich viele klassische Händler damit schwer tun, die fortlaufenden Entwicklungen nachzuholen. Hier kann es sinnvoll sein, sich mit den richtigen Partnern zusammenzutun. Mit Partnern, die die technische Kompetenz und die Marketingleistung erbringen, die nicht jeder Händler alleine aufbauen kann. Deshalb macht es Sinn auf die Kraft von Aggregatoren zu vertrauen, zu denen auch wir uns zählen: eBay versteht sich nicht als Wettbewerber, sondern vielmehr als Technologie-, Vertriebs- und Vermarktungspartner des Handels.

Location Insider: Sie bieten an, den Handel auf seinem Weg in die Zukunft zu unterstützen. Wie stellen Sie sich den Handel in fünf Jahren vor?

Stephan Zoll: Technisch müssen wir sehen, welche Rolle Wearables spielen werden. Die Apple Watch ist erst vor kurzem auf den Markt gekommen. Vielleicht werden Wearables ein neuer Kanal, der eine Rolle spielen wird. Aber genau wissen wir das heute alle noch nicht.

Was wir jedoch bereits sagen können, ist dass es bei den Kunden eine noch stärkere Personalisierung geben wird. Der Lebenskontext wird eine noch größere Rolle spielen. Also: Was kaufe ich wann und wo ein? Geht es um Dinge des alltäglichen Gebrauchs, wird die Entwicklung dahin gehen, dass diese immer dann da sind, wenn man sie braucht. Das kann zum Beispiel der Kühlschrank sein, der selbstständig online geht und automatisiert für Nachschub sorgt. Geht es dagegen um Sachen, die man impulsgetrieben für sich kauft, wird das Kundenverhalten noch kontextbasierter werden. Egal ob man auf einem Teilemarkt oder auf einer Modenschau ist – kaufen will man, was man sieht. Und das vollkommen flexibel und convenient: Soll die Ware geliefert werden? Und wenn ja, wohin? Oder will der Kunde die Bestellung lieber irgendwo abholen? Wer weiß, vielleicht wird die Ware in fünf Jahren ja wirklich von einer Drohne geliefert…

Location Insider: Ein Zukunftsszenario, das die Leute je nach Geschmack wünschenswert oder – im wahrsten Sinne des Wortes – ziemlich abgehoben finden werden. Aber welche Rolle bleibt bei dieser Entwicklung eigentlich für den klassischen Einzelhandel?

Stephan Zoll: Ich denke, dass der stationäre Handel auch künftig eine Rolle spielt. Denn die Beratung wird wichtig bleiben. Natürlich gibt es Online-Beratung und gibt es Testportale im Netz. Aber am besten bleibt weiterhin das persönliche Gespräch – gerade da, wo es um höhere Summen geht oder um Produkte, die sich stärker differenzieren. Ein Händler, der seine Kunden berät – physisch oder auch virtuell, zum Beispiel im Chat – bietet einen großen Mehrwert. Schwierig wird es allerdings, wenn der Händler diese Beratungskompetenz und sein stationäres Sortiment nicht digital verlängert. Wenn er die sich verändernden Kaufimpulse nicht bedienen kann und bei der Auslieferung nicht so flexibel ist, wie das seine Kunden wünschen. Dann wird es für den betreffenden Händler schwer werden.

Das Buch „Local Heroes 2.0: Neues von den digitalen Vorreitern im Einzelhandel“ gibt es als kostenlosen PDF-Download auf der Seite von eBay. Wer möchte, kann das Buch aber auch für 16,90 Euro als Print-on-demand bei ePubli bestellen oder als E-Book für 9,99 Euro in allen Online-Bookstores beziehen, u.a. bei Amazon, Apple iBooks, Google Play, Kobo, Hugendubel und Thalia.


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