Interview: IFH-Forscherin Eva Stüber über Cross-Channel und Kundenzentrierung.

von Florian Treiß am 13.April 2017 in Interviews, News

Kaum kanalübergreifende Käufe(r): „Nur 4,4 Prozent der Konsumenten haben stationär und online die gleichen Händler im Relevant Set“, sagt Dr. Eva Stüber, Leiterin Research und Consulting am IFH Köln. Die von ihr geleitete neue ECC-Studie „Cross-Channel – Quo Vadis?“ zeigt, dass Multi-Channel-Händler ihre kanalübergreifenden Dienste wie etwa Click & Collect mittlerweile deutlich ausgebaut haben – doch noch sind nur 5,9 Prozent aller Käufe bei diesen Unternehmen echte Cross-Channel-Käufe. Wir haben mit Dr. Eva Stüber vergangene Woche beim 31. ECC-Forum „Customer Centricity“ (unser Nachbericht hier) über die neue Studie gesprochen sowie auch darüber, dass Deutschlands Händler das Thema Kundenzentrierung in der Vergangenheit oft aus den Augen verloren haben.

Location Insider: Frau Dr. Stüber, das ECC-Forum steht diesmal unter dem Motto Customer Centricity. Gleichzeitig erscheint eine neue Cross-Channel-Studie. Wie passen diese beiden Begriffe zusammen?

Eva Stüber: Wenn wir den Handel nach relevanten Themen befragen, hören wir sehr viel zur Digitalisierung und vor allem zu Cross-Channel. Immer mehr Händler sind auch als Cross-Channel-Händler aktiv – die Entwicklung in den vergangenen zwei Jahren zeigt eine eindeutige Richtung. Allerdings sehen wir auch, dass die ganzen Bemühungen letztendlich an den Kunden vorbeigehen, da diesen komplett die Basis fehlt: Nur 4,4 Prozent der Konsumenten haben stationär und online die gleichen Händler im Relevant Set. Bevor Händler also Cross-Channel-Aktivitäten unternehmen, müssen sie daher ihre Kunden in den Fokus nehmen. Die Kundenzentrierung ist und war das A und O, durch die vielfältigen, auch technologischen Möglichkeiten hat das Thema in der heutigen Zeit eine ganz neue Relevanz bekommen.

Location Insider: Sie sagten gerade schon, dass Kundenzentrierung schon immer ein Thema war, dennoch macht man 2017 Veranstaltungen und Studien hierzu. Haben die Händler die Kundenzentrierung aus den Augen verloren?

Eva Stüber: Man kann ganz eindeutig sagen, dass Händler ein bisschen den Fokus dafür verloren haben, was wichtig ist. Es wird sehr viel optimiert, sehr viel in Technik investiert und Neues ausprobiert, doch dabei werden die Kunden vergessen, um die es eigentlich geht und die im Fokus stehen sollten. Händler müssen auf die Kundenbedürfnisse eingehen und dafür zunächst herausfinden, was Kunden möchten und auch verstehen. Darauf basierend können dann Entscheidungen darüber getroffen werden, was, wo und wie investiert wird und welche Prozesse wie umgesetzt werden. Letztendlich müssen die Basics erst mal stimmen, das heißt Kanalexzellenz muss stationär wie online gegeben sein, bevor man die Kanäle über Cross-Channel-Services verbindet, um ein nahtloses Einkaufserlebnis zu schaffen.

Location Insider: Wie kann der Händler denn den Kunden besser verstehen? Muss er einfach wieder mit ihm reden? Was gibt es für Methoden?

Eva Stüber: Zum einen hilft Beobachten (z. B. wie ist das Verhalten im Geschäft oder im Online-Shop) oder vorhandene Daten (z. B. Warenkörbe, Kundenkartendaten). Zum anderen kann aber auch die Marktforschung sehr gut herangezogen werden, um Bedürfnisse zu identifizieren und die eigene Zielgruppe zu bestimmen. Gerade beim zweiten Punkt scheitert es bei vielen Händlern heute schon. Im ersten Schritt muss daher ein klares Zielgruppenprofil erstellt werden und dann darauf aufgebaut werden. Das Thema Daten und ihre Auswertung hat auch einen ganz neuen Stellenwert bekommen: Wenn man online aktiv ist, erhält man automatisch viele Daten, die man dann auch nutzen sollte. Hierbei sehen wir eine große Herausforderung, denn viele Händler machen entweder nichts mit diesen Daten oder ziehen die falschen Schlüsse daraus.

Location Insider: Sie hatten schon angedeutet, dass nur etwas über 4 Prozent der Kunden einen Händler sowohl stationär als auch online im Relevant Set haben. Woran liegt das und wie kann der Händler das verbessern? Wie kann er auch online ins Relevant Set kommen?

Eva Stüber: Kunden sind in Bewegungsräumen unterwegs, das heißt, sie haben ihre Anlaufstellen definiert. Mit dem Aufkommen des Onlinehandels gab es aber noch nicht so viele Multi-Channel-Händler wie heute. Die Anlaufstellen verändern sich aber nicht so einfach. Das heißt, Händler müssen ihren Kunden erst einmal klar und mit Mehrwert zeigen, dass sie auch online aktiv sind. Dieses Bewusstsein fehlt bei einem Großteil der Konsumenten und so wissen 20 bis 25 Prozent der Kunden gar nicht, ob der Shop, bei dem sie eingekauft haben auch ein Pendant im anderen Kanal hat. Auch Kanalexzellenz ist wichtig: Man muss überzeugen und Mehrwerte schaffen – in jedem Kanal, damit der Kunde letztendlich wechselt.

Location Insider: Haben Sie Beispiele für Kanalexzellenz? Wer macht das heute schon gut? An wem könnte man sich orientieren?

Eva Stüber: Hierbei sind wir wieder bei der Frage der Zielgruppe. Es gibt nicht ein Beispiel für alle. Wenn sich Händler an Best Practices orientieren möchten, müssen sie zunächst genau schauen, wer eine ähnliche Zielgruppe hat. Dabei sollten auch nicht komplette Konzepte kopiert werden, das funktioniert letztendlich nicht. Gut unterwegs sind die Händler, die für ihre Zielgruppe ein Kauferlebnis schaffen, das heißt, Emotionalisieren und einen Mehrwert bieten, den man woanders nicht bekommt. Breuninger beispielsweise spielt das exzellent aus und schafft ein hochwertiges Einkaufserlebnis mit besonderen Sortimenten, der passenden Ladeneinrichtung und Mitarbeitern, die nicht nur kompetent, sondern auch freundlich und zuvorkommend bedienen.

Location Insider: Breuninger hätte ich als eines meiner beiden eigenen Cross-Channel-Beispiele genannt, aber auch bei Rewe kaufe ich mal in der Filiale, mal im Online-Laden und werde auch immer durch die Kassenbons auf Rabatte aufmerksam.

Eva Stüber: Gehen wir zunächst noch einen Schritt zurück: Wann ist man überhaupt Cross-Channel-Kunde? Da die Investitionen in Cross-Channel enorm sind, sollte genau differenziert werden. Nach unserem Verständnis ist man erst dann ein echter Cross-Channel-Kunde, wenn bei einem Einkaufsvorgang beide Kanäle sowie ein Service, der diese verbindet, genutzt werden. Das heißt, ich schaue mir beispielsweise im Onlineshop von Media Markt ein Produkt an, prüfe mit der Online-Verfügbarkeitsanzeige, ob es in meiner Filiale auch verfügbar ist, und kaufe es dann in der Filiale. Also die wirkliche Verbindung von Onlineshop und Geschäft.

Die meisten Konsumenten verhalten sich wie Sie in Ihrem Rewe-Beispiel aber nur selektiv und nicht Cross-Channel. Das heißt, sie kaufen heute stationär und morgen online, was mit Cross-Channel nicht viel zu tun hat, denn dafür brauche ich keine verbindenden Services – allerdings spielt der gleiche Auftritt in den Kanälen auch eine große Rolle.

Location Insider: Dennoch ärgere ich mich als Kunde oft über unterschiedliche Preise, wenn ich bei einem Händler mal online, mal offline kaufe.

Eva Stüber: Was auch selektive Käufer bei einem Händler sehr klar wahrnehmen, sind die Preisunterschiede. Umso länger online und stationär parallel bedient werden, umso höher sind die Erwartungen, dass das Angebot und die Leistung in beiden Kanälen gleich sind. Wir haben uns für die Branche Elektronik angeschaut, wie Preise gestaltet sein sollten. Muss es eine Preisdifferenzierung geben oder wird eine Preisharmonisierung erwartet? Man sieht, dass die Zahlungsbereitschaften online und stationär bei den Konsumenten gleich sind, Click&Collect-Käufer haben eine etwas höhere Zahlungsbereitschaft, diese auszuschöpfen lohnt sich für Händler aber nicht.

Location Insider: Vielen Dank für das Interview!


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