Interview mit Kevin Besthorn: „An Omni-Channel allein ist Butlers nicht insolvent gegangen.“

von Florian Treiß am 03.April 2017 in Highlight, Interviews, News

Kevin Besthorn, Geschäftsführer e-matters

Heilsbringer oder Teufelszeug? Am Thema Omni-Channel, also einem kanalübergreifenden Handel und Kundenerlebnis, scheiden sich in der Branche seit Wochen die Geister. Während manche Unternehmen wie Breuninger dank ausgeklügelter Omni-Channel-Strategie kräftig wachen, ist zuletzt der Omni-Channel-Händler Butlers pleite gegangen. Wir haben mit Kevin Besthorn, Geschäftsführer des Omni-Channel-Softwareanbieters e-matters, über die aktuelle Diskussion gesprochen, die er als „überhitzt“ bezeichnet. Zugleich ist sich Besthorn sicher, dass an Omni-Channel kein Weg vorbeiführt, weder für stationäre Händler noch für bisherige Pure Player des Onlinehandels: „Wie erklärt sich sonst, dass Benchmark-Onliner wie Amazon und Zalando auf zusätzliche stationäre Standbeine setzen? Sie antworten auf Kundenbedürfnisse. Und das ist nie ein falscher Weg“, sagt Besthorn. Umgekehrt sei Butlers „an Omni-Channel allein nicht insolvent gegangen“. Denn „heute und in 5 Jahren werden Läden und Shops schließen, das hat aber allgemein mit Management und Geschäftsstrategie zu tun.“

Location Insider: Seit Wochen tobt eine Diskussion in der Branche, ob eine Omni-Channel-Strategie sinnvoll ist oder nicht, nachdem der Conrad-Manager Jörg Dubiel hierzu einen skeptischen Beitrag veröffentlicht hatte, wonach sich Omni-Channel nur für wenige Händler lohnt. Was denken Sie?

Kevin Besthorn: Zunächst vermisse ich in dem Artikel selbst die Kundensicht, die ich jedoch für eine Bewertung von Omni-Channel unerlässlich halte. Ist die Zielgruppe tatsächlich so klein, die Omni-Channel nutzt? Heute oder auch in Zukunft? Interessanter als den Artikel finde ich die Diskussion, die sich daraus ergeben hat. Sie erinnert mich in vielen Punkten an die Debatte nach der Jahrtausendwende, ob Online-Shops überhaupt sinnvoll sind, sie wären ja auch so teuer. Danach fragt heute keiner mehr. Natürlich lassen sich Online-Shops heute mit deutlich weniger Aufwand realisieren. Und nach wie vor sind Online-Shops nicht für jeden das Mittel der Wahl. Aber niemand zweifelt mehr an ihrer Sinnhaftigkeit, weil es längst zur Gewohnheit geworden ist, online einzukaufen. Ich gehe davon aus, dass wir in ein paar Jahren über die Diskussion heute lächeln und merken, dass das, was der Kunde wollte, sich so oder so durchgesetzt hat.

Location Insider: Um mit Omni-Channel zu beginnen, muss man da wirklich Millionen auf den Tisch legen? Oder gibt es auch kleinere, smarte Lösungen, die auch für inhabergeführte Läden funktionieren?

Kevin Besthorn: Das Thema Kosten ist ein Knackpunkt für Omni-Channel-Projekte. Als Geschäftsführer einer Software-Firma beobachte ich die Entwicklung der IT-Budgets und Preise genau. Ich bin überzeugt davon, dass dieser Posten in Zukunft weniger prominent sein wird. Eine Marktkonsolidierung ist im Gange. Es gibt heute schon sehr flexible Lösungen, die auch kleineren Händlern einen Einstieg in Omni-Channel ermöglichen. Wir haben ebenfalls den Ansatz einer modular aufgebauten Lösung gewählt, mit der der Händler mitwachsen kann. In der Praxis sieht es jedoch häufig so aus, dass Entscheider auf vertraute Namen bauen, auch wenn diese Lösung für ihren Bedarf einige Schuhnummern zu groß und entsprechend teuer ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass gerade die kleineren Händler die agileren sind, die ohne große Budgets Omni-Channel schneller und besser umsetzen können.

Location Insider: Viele Studien belegen, dass der Kunde von morgen noch genauso stationäre Geschäfte aufsuchen wird, natürlich unter bestimmten Voraussetzungen… Wie sehen Sie die Entwicklung der tatsächlichen Omni-Channel-Nutzer?

Kevin Besthorn: Nicht nur unsere eigene Studie belegt, dass unter Online-Shoppern ein fast durchgängiges Interesse herrscht, auch stationäre Läden zu nutzen. Selbst die Generation Z bekundet, dass sie Spaß hat am Bummeln gehen und stationäre Läden nicht missen will. Mit dieser Bereitschaft gehen allerdings bestimmte Erwartungen an den stationären Handel einher: gute Beratung und Service, persönliche Angebote und Interaktion,… Aus meiner ganz persönlichen Erfahrung kann ich mir nicht vorstellen, dass die Alternative zu Omni-Channel eine reine Ko-Existenz der Kanäle bedeutet. Ich meine, es liegt auf der Hand, dass der Kunde ein ganzheitliches Markenerlebnis haben will und seine online gekaufte Ware im Laden zurückgeben will oder umgedreht.

Location Insider: Warum tun sich mit Omni-Channel denn soviele (stationäre) Händler so schwer?

Kevin Besthorn: Es heißt zwar so schön „Handel ist Wandel“, aber was da gerade passiert sind enorme Veränderungen, die den einen oder anderen Händler überfordern, nicht zuletzt weil eine gewisse Offenheit und IT-Expertise gefragt sind. Das betrifft ja nicht nur den Inhaber, sondern auch das gesamte Verkaufspersonal, das umdenken muss. Und zwar gewaltig. Wenn man zurückdenkt an die Einführung von EC-Karten-Zahlung, so mag das am Anfang auf ähnliche Ablehnung gestoßen sein. Trotzdem kommt kaum ein Geschäft heute ohne diese Zahlmöglichkeit aus und jeder hat sich daran gewöhnt. Die Frage ist doch: Wenn nicht Omni-Channel – wie wollen stationäre Geschäfte dann bestehen? Sicher gibt es Nischen und Ausnahmen, aber das Gros der Händler muss sich mit der aktuellen Entwicklung auseinandersetzen. Dass Omni-Channel nicht heißt, nach Feierabend zuhause am Computer ein paar Produktdaten einzupflegen, ist doch klar. Vielen Händlern ist noch nicht klar, wie und mit welchem Aufwand sie so ein Projekt anpacken sollen. Deshalb lassen sie es lieber gleich bleiben.

Location Insider: „Lieber zugkräftige Pure-Play-Strategien als Omni-Channel“ – Wie stehen Sie zu dieser Haltung?

Kevin Besthorn: Wer den Sprung zu Omni-Channel macht, bedarf einer genauen Analyse. Nicht jeder Pure Player muss einen Laden eröffnen, nicht jeder stationäre Händler online aktiv sein. Aus einer einfachen Aufwandsabschätzung à la Conrad allerdings abzuleiten, es wäre erfolgreicher, gebündelte Ressourcen für einen Kanal einzusetzen, halte ich für zu kurz gegriffen. Wie erklärt sich dann, dass Benchmark-Onliner wie Amazon und Zalando auf zusätzliche stationäre Standbeine setzen? Sie antworten auf Kundenbedürfnisse. Und das ist nie ein falscher Weg.

Location Insider: Wo sehen Sie bereits heute eine exzellente Umsetzung von Omni-Channel?

Kevin BesthornAls Paradebeispiel wird ja immer Breuninger genannt. Da läuft sicher vieles gut und trotzdem warne ich davor, dieses Konzept zu kopieren. Damit Omni-Channel gelingt und sich lohnt hängt von so vielen Faktoren ab. Das fängt beim Kundenstamm an, geht über die gelebte Offenheit gegenüber Veränderungen weiter und hört bei der IT-Frage nicht auf.

Location Insider: Und wer macht’s eher schlecht?

Kevin Besthorn: Wenn man den Beitrag von Conrad liest, möchte man meinen: Conrad. Zumindest was die interne Bilanz für das Unternehmen angeht. Würde man Conrads Kunden fragen, würde vielleicht eine ganz andere Einschätzung zutage kommen. So ist das mit den Bewertungen: wer erlebt denn Omni-Channel als negativ? Die Karstadt-Kunden, weil Click & Collect wieder nicht funktioniert hat oder der Butlers-Chef, weil die Zahlen nicht stimmen?

Location Insider: Wo sehen Sie das Thema Omni-Channel in 5 Jahren? Ist es dann wieder beerdigt oder Standard?

Kevin Besthorn: Wie ich einleitend schon sagte, ist meine Sicht: „Da führt kein Weg dran vorbei, auch wenn es nichts für jeden ist“. Die aktuelle Debatte ist aus meiner Sicht überhitzt. Während für eine Butlers-Pleite Omni-Channel als Sündenbock herhalten muss, kann frontlineshop.de schließen ohne dass jemand damit eine Krise der Pure Player auch nur andeutet. Heute und in 5 Jahren werden Läden und Online-Shops schließen, das hat aber allgemein mit Management und Geschäftsstrategie zu tun. An Omni-Channel allein ist Butlers nicht insolvent gegangen. Ich glaube, dass Omni-Channel in 5 Jahren einfacher umzusetzen sein wird. Es wird standardisierte Lösungen dafür geben, die viele IT-Entscheidungen und Aufwände minimieren. Damit nimmt Omni-Channel mehr und mehr die Rolle eines Features ein und weniger die alles-entscheidende-Frage, so wie sie heute diskutiert wird.

Location Insider: Vielen Dank für das Interview!


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