Prof. Gerrit Heinemann: Das mobile Web läuft dem Handel als „Point of Decision“ den Rang ab.

von Florian Treiß am 28.Oktober 2015 in Highlight, Interviews

Professor Gerrit Heinemann„Wer als Händler nicht im mobilen Internet präsent ist, ist auf kurz oder lang weg vom Fenster“, sagt Prof. Gerrit Heinemann. Der Handelsforscher leitet das eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein. Bevor er 2004 in die Wissenschaft ging, hatte er u.a. Führungspositionen bei Douglas und Kaufhof/Metro inne. Gemeinsam mit kaufDA-Gründer Christian Gaiser hat Prof. Heinemann vor wenigen Tagen nun die 2. Auflage des Buchs „SoLoMo – Always-on im Handel“ über die soziale, lokale und mobile Zukunft des Shoppings veröffentlicht. Wir haben mit Prof. Heinemann über die digitalen Trends im Handel gesprochen und darüber, was sich überhaupt hinter der Abkürzung SoLoMo verbirgt. Zugleich gibt es etwas zu gewinnen: am Ende des Interviews mit Prof. Gerrit Heinemann verlosen wir fünf Exemplare von „SoLoMo – Always-on im Handel“.

Location Insider: Das Smartphone wird immer mehr zur „Fernbedienung des Lebens“. Was bedeutet das für Händler: wie können diese in Zukunft ihre Kunden erreichen?

Gerrit Heinemann: Die in unserem Buch veröffentlichte kaufDA-Studie zur Smartphone-Nutzung zeigt vor allem eins: Mehr als 69 Prozent der Erwachsenen in Deutschland sind Smartphone-Nutzer. Die Studie zeigt auch: Wer als Händler nicht im mobilen Internet präsent ist, ist auf kurz oder lang weg vom Fenster! Die Händler können in Zukunft ihre Kunden nur erreichen, wenn sie auf der „Fernbedienung des Lebens“ präsent sind! Das muss nicht gleich ein mobil optimierter Online-Shop sein. Aber kaufDA zeigt doch, dass ein Prospekt nicht mehr nur gedruckt verteilt werden muss, sondern einfach nur auf einer Werbeplattform digital gestellt werden kann, ohne dass es nicht bezahlbar wäre. Angereichert mit Informationen über das Geschäft wäre das für die Kunden sogar ein innovativer Service, ein sogenannter Location-based Service.

Location Insider: Ihr Fachbuch „SoLoMo – Always on im Handel“, das Sie gemeinsam mit kaufDA-Gründer Christian Gaiser veröffentlich haben, ist vor wenigen Tagen in der 2. Auflage erschienen. Was hat sich seit der 1. Auflage vor einem Jahr im deutschen Handel verändert?

Gerrit Heinemann: Die schon in der ersten Auflage abgebildete repräsentative Verbraucherbefragung zum Thema „Mobiles Internet fördert die Wiederentdeckung des stationären Handels“ wurde im Zeitreihenvergleich gegenüber 2013 wiederholt. Wie sich vor allem in 2014 zeigte, werden Händler aus Kundensicht zunehmend nur noch als „Point of Sale“ wahrgenommen, aber nicht mehr als „Point of Decision“. Die Gründe liegen darin, dass im mobilen Internet die benötigten Informationen zur Produktauswahl nicht nur in viel größerem Umfang vorhanden, sondern „anywhere and anytime“ abrufbar sind. So läuft das mobile Internet als neuer „Point of Decision“ immer mehr den anderen Kommunikationskanälen den Rang ab. Die Orientierung an der letzten Handlung des Kunden vor dem Einstieg in den Kaufprozess darf insofern die Customer Journey und dabei die Smartphone-Nutzung nicht mehr ausblenden. Diese Erkenntnis wird auch durch die neuesten Studienergebnisse bestätigt, die auch im Buch dargestellt werden. Sie ist auch Gegenstand des vorliegenden Werkes und gab den Impuls für die vorliegende zweite Auflage, in der nicht nur die zugrunde gelegten Zahlen sowie die Best Practices aktualisiert, sondern auch die neuesten Studienergebnisse dargestellt wurden.

Location Insider: Was kann man sich unter SoLoMo für den Handel eigentlich genau vorstellen?

Gerrit Heinemann: In unserem Buch prognostizieren wir, dass sich das Shopping der Zukunft durch ein begleitendes Zusammenspiel von sozialer Vernetzung, Lokalisierung und mobiler Internetnutzung beim Ladenbesuch auszeichnet. Der Schlüssel für dieses Zusammenspiel, das in Fachkreisen als „SoLoMo“ bezeichnet wird, liegt im Smartphone, das mittlerweile eine Art „multifunktionale Cross-Technology-Plattform“ darstellt. Facebook wird heute mehrheitlich über Mobile genutzt, die deswegen eine soziale Zubringerfunktion haben. Die Lokalisierungsfunktion ermöglicht dem lokalen Handel darüber hinaus eine neue Art der effektiven Vermarktung und durch Location-based Services können die Nutzer des mobilen Internets ihre Ladenbesuche zeiteffizient vorbereiten. Wie sich durch Synergien des SoLoMo neue Möglichkeiten der Vermarktungseffizienz – insbesondere für stationäre Händler – erschließen lassen, zeigen vor allem die Warenhausunternehmen im englischsprachigen Raum: Während Warenhäuser in Großbritannien und Nordamerika bis zu 30 Prozent ihres Umsatzes im Internet machen, haben die meisten der deutschen Traditionshändler diese Entwicklung völlig verschlafen. Sie lassen sich damit von Amazon & Co. die Butter vom Brot nehmen. Die angelsächsischen Unternehmen haben sich dagegen regelrecht neu erfunden und massiv in neue Technologien investiert. Sie haben systemtechnisch geklotzt statt gekleckert. Vorreiter wie der britische Konzern John Lewis bedienen sämtliche Kommunikationskanäle: Kunden können online Beratungstermine und Artikel reservieren und dann am gleichen Tag noch im Kaufhaus abholen oder nach Hause liefern lassen. Der Druck auf Traditionalisten in deutschen Landen wird also weiter steigen.

Location Insider: Im stationären Handel ist immer wieder die Rede von „Beratungsklau“. Zudem verhüllen lokale Händlerinitiativen gerne mal ihre Schaufenster, um auf den drohenden Tod der Läden durch die Übermacht von Amazon & Co hinzuweisen. Was halten Sie von solchen Abwehrreaktionen?

Gerrit Heinemann: Nein, dieser Beratungsklau ist ein Mythos. Nur ein oder zwei Prozent der Kunden handeln nach diesem Muster. Man kann den Kunden nach der Beratung natürlich nicht zum Kauf zwingen. Aber das Phänomen gab es früher auch schon. Man konnte sich in einem Laden informieren und in einem anderen Laden bzw. beim Wettbewerber kaufen. Der Trend geht eher dahin, sich gar nicht mehr beraten zu lassen und alle notwendigen Produktinformationen vor dem Geschäftsbesuch im Internet zu recherchieren. Oder sofort im Internet kaufen zu können, wenn man am nächsten Tag keine Zeit hat, in die Stadt zu fahren. Insofern kommt dem Online-Shop für bisherige Stationärkunden eine Servicefunktion zu. Oft können und wollen sich Kunden noch nicht im Laden entscheiden, aber zu Hause im Online-Shop des Händlers den Kauf fortsetzen. Dieser „Store-to-Web“-Aspekt wird m.E. am häufigsten vernachlässigt von stationären Händlern. Auch von Multi-Channel-Händlern, wenn sie im Online-Shop nur Rumpfsortimente anbieten und damit im Zweifel den Kunden zu Amazon schicken.

Location Insider: Bietet nicht online umgekehrt auch kleinen Läden Chancen, weltweit neue Kunden zu erreichen?

Gerrit Heinemann: Es geht doch im ersten Schritt gar nicht darum, weltweit zu verkaufen oder deutschlandweit auf Kundenfang zu gehen, sondern die schleichend ins Internet abwandernden Kunden auch weiterhin als Stammkunde zu halten. Die fehlende Größe wird oft nur vorgeschoben. Die Digitalisierung ist keine Frage der Betriebsgröße mehr. Viele kleine Händler haben allerdings eine regelrechte Internet-Allergie. Der erste Schritt zur Digitalisierung ist ein Mentalitätswandel. Man muss offen gegenüber den modernen Medien sein und sollte das Internet nicht als Feind sehen, denn dort sind auch die Kunden unterwegs. Ein Internetauftritt muss nicht teuer sein. Man kann sich günstig von Experten beraten und helfen lassen. Auch Zusammenschlüsse bzw. Kooperationen von mehreren Händlern können sinnvoll sein. Man braucht nicht zwingend einen eigenen Online-Shop. Dazwischen sind noch mindesten 6 andere Schritte auf dem Weg zur Digitalisierung denkbar. Nur anfangen sollte man – und schnell!

Location Insider: Sie sind nicht nur Hochschulprofessor und Buchautor, sondern auch in der Praxis aktiv, u.a. mit dem Projekt „eBay in Mönchengladbach“, das seit Anfang Oktober lokalen Handel und E-Commerce verknüpft. Wie ist dieses angelaufen?

Gerrit Heinemann: Das Pilotprojekt stützt sich auf eine Analyse des eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein, die die Auswirkungen des Online-Handels auf Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen am Beispiel der 257.000 Einwohner zählenden Stadt untersuchte. Die Analyse hat gezeigt, dass Verbraucher nicht nur ‚online‘ oder ‚offline‘ denken“, sondern die Verflechtung beider Kanäle schätzten. Eine Schlussfolgerung der Analyse war, dem Einzelhandel die eigene Präsenz auf Online-Marktplätzen zu empfehlen, um auf das veränderte Kaufverhalten der Kunden zu reagieren. Allerdings auf einem Überregionalen Marktplatz mit zusätzlichen lokalen Funktionen und einer eigenen Seite, wo sich der Einzelhandel regionalbezogen darstellen kann. Denn die Kunden such nicht standortbezogen, möchten allerdings nach ihrer Produktauswahl wissen, ob der Artikel in der Nähe verfügbar ist. Da setzt unser Konstrukt an. Ein Vergleich aller relevanten Online-Marktplätze sowie auch der neuen lokalen Plattformen hat ergeben, dass eine Zusammenarbeit mit Ebay für Händler und Konsumenten die meisten Vorteile bringt. Schon bisher haben mehr als 400 gewerbliche Händler aus Mönchengladbach Ebay als Vertriebskanal genutzt. Zum Projektstart von „Mönchengladbach bei Ebay“ boten 50 stationäre Händler auf der Website www.mg-bei-eBay.de rund 200.000 Produkte an. Die Zahl ist inzwischen deutlich angestiegen. Das Angebot ist vielfältig und es werden aus dem Stand heraus bereits beträchtliche Umsätze realisiert. Die Käufer können zwischen verschiedenen Bezahl- und Liefermöglichkeiten auswählen: Die Einkäufe können entweder online bezahlt und nach Hause geliefert oder auch im Geschäft abgeholt und bezahlt werden. Der Einzelhandel in Mönchengladbach kann seinen Kunden durch die Verbindung der Einkaufskanäle einen echten Mehrwert bieten.

Location Insider: Vielen Dank für das Interview!

Gewinnspiel

solomo-always-on-im-handelMit freundlicher Unterstützung des Verlags SpringerGabler verlosen wir 5 Exemplare des Buches „SoLoMo – Always-on im Handel“ über die soziale, lokale und mobile Zukunft des Shoppings von Prof. Gerrit Heinemann und Christian Gaiser. Um am Gewinnspiel teilzunehmen, senden Sie bitte bis Fr. 30. Oktober 2015 eine E-Mail an treiss@locationinsider.de mit dem Betreff „Gewinn SoLoMo“. Bitte nennen Sie in Ihrer E-Mail unbedingt Ihren Namen, Firma, Funktion sowie Ihre Adresse für einen Postversand des Gewinns. Mit der Teilnahme am Gewinnspiel stimmen Sie zudem der Weitergabe Ihrer Daten an kaufDA – Bonial International GmbH und SpringerGabler zu. Viel Glück!


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