„Retail muss neue Impulse setzen“: Interview mit Thomas Schenk von der Otto Group.

von Florian Treiß am 13.Juni 2017 in Highlight, Interviews, News

Die Otto Group sieht die Zukunft des Handels ganz klar im Omnichannel und möchte „Kunden einen vielseitigen Zugang zu einer Marke bieten“, denn „der Kunde entscheidet, wann, wo und wie er shoppen will“, sagt Thomas Schenk, Direktor Retail Excellence beim Hamburger Handelskonzern, im Interview mit Location Insider. Der ehemalige Hugo-Boss-Manager ist bei der Otto Group seit September 2016 im Amt und berichtet dort direkt an Konzern-Vorständin Neela Montgomery. Wir haben mit Thomas Schenk darüber gesprochen, was exzellenten Einzelhandel ausmacht, wieso die junge Marke EDITED eigene Filialen eröffnet und wie der Wissenstransfer zwischen den verschiedenen Otto-Töchtern wie etwa MyToys, SportScheck oder Crate & Barrel (USA) gelingt.

Location Insider: Viele Deutsche denken bei OTTO vermutlich immer noch an Kataloge, zugleich ist schon lange E-Commerce der größte Wachstumstreiber der Otto Group. Welche Bedeutung hat da noch der stationäre Handel?

Thomas Schenk: Der stationäre Handel ist ein wichtiger Teil der Unternehmens-DNA, da viele Omnichannel-Formate der Otto Group naturgemäß hier ihre Wurzeln haben, wie zum Beispiel SportScheck oder Crate & Barrel. Zwar wird ein Großteil der Umsätze auch hier inzwischen online generiert – in vielen Fällen wird der initiale Kaufimpuls aber nach wie vor offline gesetzt. Der Einkaufsprozess verläuft selten linear, sondern über eine Vielzahl an Kanälen hinweg. In einem wachsenden Omnichannel-Umfeld hat der stationäre Auftritt als Touchpoint zum Kunden daher auch in Zukunft seine Daseinsberechtigung, Tendenz steigend.

Location Insider: Sie sind bei der Otto Group für „Retail Excellence“ verantwortlich. Was macht für Sie denn exzellenten Einzelhandel aus?

Thomas Schenk: Ein exzellenter Einzelhandel inspiriert, begeistert und überrascht gleichermaßen, bietet dem Kunden somit einen Mehrwert. Nach wie vor ist der stationäre Einzelhandel klar im Vorteil gegenüber den zahlreichen Online-Shops im Netz, wenn es darum geht Menschen mit allen Sinnen anzusprechen und Marken erlebbar zu machen, und diesen Vorteil muss er nutzen. Relevante und personalisierte Angebote sind dabei genauso entscheidend wie sorgfältig kuratierte und inszenierte Sortimente, die zum Besuch, zum Verweilen und somit auch zum Wiederkehren einladen.

EDITED Store in Frankfurt

Location Insider: Ihre junge Marke EDITED ist gerade auf dem besten Weg, die deutschen Innenstädte aufzumischen, und hat vor kurzem schon ihren vierten Store eröffnet, diesmal in Frankfurt. Wo kommt Ihr Vertrauen in den stationären Handel her, der laut manchen Medienberichten vermeintlich dem Tod geweiht ist?

Thomas Schenk: EDITED bedient eine junge, Internet-affine Zielgruppe, die sich im Netz inszeniert und auch informiert, genauso jedoch auch in der Offlinewelt unterwegs ist und sich dort inspirieren lässt. Als Brand schafft es EDITED, diese Bedürfnisse perfekt miteinander zu verbinden: Persönlicher, menschlicher Kontakt im Store auf der einen Seite. Vielfalt, Transparenz und Convenience im Online-Shop auf der anderen Seite. Retail-Konzepte dieser Art bleiben in der leidigen Diskussion um den vermeintlichen Tod der Innenstädte nach wie vor unberücksichtigt. Dabei bereichern auch über EDITED hinaus viele andere spannende Store-Konzepte den Markt. Zugleich müssen sich aber auch die Innenstädte neu erfinden, so wie auch der Retail neue Impulse setzen muss.

Location Insider: Umgekehrt findet man aber auch keine rein stationären Händler in der Otto Group, sondern jede stationär vertretene Marke ist im Multichannel-Handel unterwegs. Hat das nur historische Hintergründe, sprich die Katalog-Vergangenheit, oder woran liegt’s?

Thomas Schenk: Warum sollten wir auf rein stationäre Händler setzen, wenn die Zukunft doch ganz klar im Omnichannel liegt? Jeder Kanal für sich erfüllt ganz bestimmte Bedürfnisse und hilft im Zusammenspiel, perfekte Kundenerlebnisse zu kreieren. Entscheidend ist, den Kunden einen vielseitigen Zugang zu einer Marke zu bieten. Der Kunde entscheidet, wann, wo und wie er shoppen will.

SportScheck Flagshipstore in München

Location Insider: Wenn es um die Multikanal-Ansprache von Zielgruppen geht, wird oftmals SportScheck als positives Beispiel herangezogen. Was macht SportScheck in diesem Bereich gut und anders?

Thomas Schenk: Zum einen hat SportScheck schon früh mit neuen Technologien auf der Fläche experimentiert, darunter Omnichannel-Services wie Beacons, erweiterte Kundenberatung via Tablets, Online-Bestellungen im Store, Click & Collect etc. Zum anderen weiß SportScheck seine Marke zielführend durch Events wie zum Beispiel Stadtläufe, In-Store-Yoga oder Ski-Testivals in Szene zu setzen. Inzwischen treffen sich über 120.000 Sportler auf den SportScheck-Events. Dadurch wird die Marke anfassbar und es entsteht eine persönliche Bindung zwischen Unternehmen und Kunde.

Location Insider: Wenn man vom Multichannel-Handel redet, ist immer häufiger von wirklich kanalübergreifenden Themen die Rede wie etwa Click & Collect, Warenverfügbarkeitsanzeige oder Order from Store. Auch hier spielt SportScheck eine Vorreiterrolle. Aber wie werden diese echten Cross-Channel-Lösungen denn überhaupt genutzt? Eine ECC-Studie zeichnete da ja jüngst ein eher düsteres Bild.

Thomas Schenk: Click & Collect ist ein gutes Beispiel hierfür: Ein bewährter Service, der schnell umgesetzt werden kann und inzwischen von vielen Multichannel-Händlern angeboten wird. Aber das alleine macht noch kein kanalübergreifendes Gesamtkonzept! Wenn es also darum geht, Convenience zu schaffen, müssen Händler genau wissen, was ihre relevanten Zielgruppen genau benötigen und wie sich daraus konkrete Angebote und Services ableiten lassen. Click & Collect wird heute schon von einigen Kundengruppen als Hygienefaktor angesehen.

Location Insider: Wie wichtig finden Sie digitale Services innerhalb von Filialen? Wo können diese einen echten Mehrwert liefern?

Thomas Schenk: Grundsätzlich gilt: Das Erlebnis im Store und die persönliche Beratung sind immer noch das Alleinstellungsmerkmal des stationären Einzelhandels. Digitale Services können dabei unterstützen. Aber auch hier müssen die digitalen Features gut gewählt sein. Wenn ich als Händler zum Beispiel durch Push-Notifications aufs Smartphone einem Kunden den Besuch in der nächstgelegenen Filiale schmackhaft machen möchte, dann sollte ich ihn schon persönlich ansprechen und ihm direkt ein individuelles Angebot unterbreiten. Nur interaktive Spiegel oder Tablets am Eingang zu platzieren ist nicht die Lösung. Da wären wir wieder beim Thema Retail Excellence: Was ist der Mehrwert für den Kunden?

Location Insider: Wie profitieren die verschiedenen Marken aus der Otto Group untereinander von den Erfahrungen der jeweils anderen? Was kann etwa ein MyToys von SportScheck lernen und umgekehrt?

Thomas Schenk: Wie kaum eine andere Unternehmensgruppe im Bereich Retail können wir den Vernetzungsgedanken so intensiv ausleben, wie wir es derzeit tun. Im Zuge des konzernweiten Kulturwandels hat sich der Austausch untereinander sogar noch um ein Vielfaches intensiviert. Ein weiteres Plus sind unsere Inhouse-Kompetenzteams wie zum Beispiel das Innovation Management, das relevante Trends und Technologien identifiziert und anschließend gemeinsam mit Konzerngesellschaften Pilotprojekte umsetzt. Die Ergebnisse werden in einer zentralen Datenbank gesammelt und stehen jedem Mitarbeiter im Konzern zur Verfügung. Oder das Mobile Lab, das bei der Entwicklung von Apps einem modularen Ansatz folgt: So kann beispielsweise ein Store Finder, der bei der MyToys-App zum Einsatz kommt, später in die Bonprix-App integriert werden und umgekehrt. Das gilt natürlich auch für eine Vielzahl an weiteren Features.

Location Insider: Ein internationales Erfolgsbeispiel aus der Otto Group ist der US-Einrichtungshändler Crate & Barrel. Wie hat das Unternehmen es geschafft, den digitalen Wandel erfolgreich zu meistern?

Thomas Schenk: Einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren war, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie die Digitalisierung zum Vorteil des Kunden genutzt werden kann. Der Einsatz mobiler Services auf der Fläche war eine Antwort darauf. Ebenso wie die Verbindung der Offline- mit der Online-Welt beispielsweise über digitale Moodboards, bei denen der Kunde seine Inspiration buchstäblich mit nach Hause nehmen kann. Hier kommen auch Virtual und Augmented Reality ins Spiel: Ein vielversprechender Ansatz, um die Vorstellungskraft des Kunden zum Beispiel beim Einrichten seiner Wohnung zu unterstützen.

Location Insider: Wie gut sind die Ansätze aus den USA denn in Deutschland adaptierbar?

Thomas Schenk: Als Epizentrum der Digitalisierung, insbesondere durch das Silicon Valley, übernehmen die USA eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung und Implementierung neuer Technologien. Das gilt natürlich auch für den Bereich Retail Innovation. Contactless Payment oder Mobile Checkout im Store sind dort weitgehend schon Standard. Deutschland ist hier eher Follower. Wobei die junge Generation sich hier noch am offensten zeigt und Trends im Schnitt schneller adaptiert.

Location Insider: Nehmen wir an, Sie hätten einen Wunsch frei: Wie sähe der stationäre Handel in fünf Jahren aus, wenn Sie es sich aussuchen könnten?

Thomas Schenk: Schon heute ist Shopping mehr Freizeitvergnügen als reine Bedarfsdeckung. Das wird sich in naher Zukunft mit Sicherheit noch weiter verstärken. In meiner Idealvorstellung werden Stores im filialisierten Einzelhandel zu Orten der Begegnung zwischen Marken und Menschen und bieten Unterhaltung, Inspiration und Raum zur Vernetzung zugleich. Orte, die zum Verweilen und zum regelmäßigen Besuch einladen.

Location Insider: Vielen Dank für das Gespräch!

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