Return of the Tante Emma Laden.

von Maik Klotz am 26.Februar 2015 in Highlight, Trends & Analysen

Als vor vielen Jahren die großen Supermarkt-Ketten den kleinen Dorfladen verdrängten, nannte man das Fortschritt. Heute verdrängen Online-Shops den stationären Handel und auch die große Ketten haben mit dem E-Commerce zu kämpfen. Selbst Branchen wie der Lebensmittel-Einzelhandel sind nicht mehr sicher. Und die Annahme, kein Kunde sei so verrückt und bestellt Lebensmittel online, dürfte bald widerlegt werden.

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Konsumenten empfinden „Einkaufen“ als unangenehm

Im Zuge der Vorbereitung auf eine interaktive Keynote zum Thema “Digitale Wallet” habe ich zusammen mit Marcus Hauer (mhauer.co / IDEO fellow) einige Interviews mit Konsumenten geführt. Wir wollten herausfinden, was die Bedürfnisse der Kunden beim Einkaufen sind und wo Stressfaktoren liegen.

Nur wenige Ressourcen stehen allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung. Eine davon ist Zeit. Niemand verschwendet gerne Zeit für Dinge, die keinen Spaß machen. Einkaufen im stationären Handel gehört dazu. Der Einkauf von Lebensmitteln wird als notwendiges Übel empfunden und ist aufwändig. Für einen Wocheneinkauf muss man das Haus verlassen. Wohnt man nicht gerade in einer Großstadt wie Berlin, sondern am Standrand oder in einem Dorf, braucht man ein Auto. Selbst in der Stadt wird ein Wocheneinkauf für die Familie zur Herausforderung, denn die zwei bis drei Einkaufstüten nebst dem Kasten Wasser wollen auch transportiert werden. Das wird mit zwei Kindern an der Hand schnell zur Herausforderung und kann schnell einen ganzen Samstagvormittag dauern, Nervenzusammenbruch inklusive. Wer also gern am Wochenende mit seinen Kindern einkaufen geht, muss entweder in sich selbst ruhen oder ein Adrenalinjunkie sein, so das Ergebnis der Konsumenten-Interviews. Der Einkauf von Lebensmitteln wird oft verknüpft mit anderen Tätigkeiten, zum Beispiel Fahrten von oder zur Arbeit.

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Einkaufen wird als notwendiges Übel auf dem Nachhauseweg erledigt.

Dementsprechend erfolgt auch die Wahl einer Handelsmarke je nachdem was gerade auf dem Weg oder in unmittelbarer Nähe liegt. Andere Faktoren, wie z.B. der Preis, spielen natürlich auch eine Rolle, aber große Umwege zu fahren, sind die Wenigsten bereit. Als deutlich entspannter empfinden Konsumenten den Einkauf im Internet. Neben einem günstigeren Preis wird vor allem Bequemlichkeit als Grund für den Online-Einkauf gesehen. Der vermeintlich günstigere Preis wird ohnehin nicht mehr hinterfragt, man geht einfach davon aus, dass der Preis online entweder günstiger ist oder zumindest nicht teurer.

Einkaufen ist nicht das Ablegen von Artikeln in den Einkaufswagen

Für die Konsumenten fängt Einkaufen an, bevor die Filiale betreten wurde und hört erst auf, wenn die Artikel zu Hause verstaut wurden. Dazwischen gibt es viele Stressfaktoren. Sei es nun die Suche nach einem Parkplatz, die Suche nach Bargeld für den Einkaufswagen, die Suche nach Artikeln im Laden oder die Suche nach einer freien Hand zum Einräumen der längst eingescannten Artikel. Auch die Gestaltung einer Filiale spielt eine Rolle. Mancher Discounter oder Supermarkt wird als “kalt“ empfunden, sowohl körperlich als auch emotional. Diese Stressfaktoren führen dazu, das Konsumenten in der Gruppe der 20- bis 30-Jährigen anfangen nach Alternativen zu suchen. Dienste wie Allyouneed, REWE-Online oder Emmas Enkel erfreuen sich einer wachsenden Nutzerschaft. Auch das zeigen die Interviews: Es gibt keine Berührungsängste Artikel für den täglichen Bedarf und abgepackte Artikel wie Konserven online zu bestellen. Anders sieht es bei frischen Produkten wie Fleisch, Obst und Gemüse aus. Oft möchten Konsumenten frische Produkte begutachten und vor dem Kauf in der Hand halten. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine repräsentative Umfrage der Bitkom: nur 5 Prozent der Nutzer bestellen auch frische Waren wie Milch, Eier oder Obst online.

Dienste wie Allyouneed oder REWE-Online zeigen, dass der E-Commerce nicht vor der Lebensmittelbranche halt macht. Auch Amazon hat die Lebensmittelbranche für sich entdeckt und testet mit Amazon Fresh in den USA einen Lieferdienst für frische Waren, die am gleichen Tag geliefert werden. Es ist eine Frage der Zeit bis Konsumenten Lebensmittel ganz selbstverständlich online einkaufen. Laut der Bitkom hat im vergangenen Jahr schon jeder vierte Deutsche Lebensmittel online bestellt. Auf diese Entwicklung müssen sich die etablierten Retailer in zweierlei Hinsicht vorbereiten. Auf der einen Seite bedarf es einer Optimierung des Einkaufserlebnisses, und auf der anderen Seite fehlen noch vernünftige Online-Angebote. Die Schmerzpunkte beim Einkaufen gilt es zu identifizieren und Maßnahmen abzuleiten. Das Einkaufen per se nicht als negativ empfunden werden muss, haben auch die Interviews gezeigt. Konsumenten unterscheiden zwischen dem Einkauf beim Discounter und Supermarkt oder beispielsweise lokalen Wochenmärkten. Während Lebensmittel im ersteren Fall zwar deutlich günstiger sind, spielt beim Einkauf auf dem Wochenmarkt der Preis eine untergeordnete Rolle. Das Gefühl, ein gutes Produkt zu einem fairen Preis gekauft zu haben, überwiegt deutlich dem Geiz-Ist-Geil-Prinzip.

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Einkaufen als Erlebnis – die Zukunft des Einzelhandels?

Märkte wie der Mercat de la Boqueria in Barcelona oder der Borough Market in London sind ein Beispiel dafür, wie Einkaufen zu einem Erlebnis für die Sinne wird. Die Art der Präsentation der Lebensmittel, lokale Spezialitäten, die es in keinem Supermarkt gibt oder frisch zubereitete Speisen, sind ein Fest für die Sinne. So wird auch für ein Glas Honig 10 Euro bezahlt, weil das Produkt vor Ort probiert werden und man sich direkt mit dem Imker über die Herstellung unterhalten kann.

Return of the “Tante Emma“?

So wie wir heute online eine Pizza bei einem Lieferdienst bestellen, so werden wir morgen unsere Lebensmittel ebenfalls online bestellen. Gerade abgepackte Produkte, wie zum Beispiel Konserven, sind völlig unkritisch. Aber so wie wir zum guten Italiener um die Ecke gehen und die mit Liebe zubereitete Pasta bei einem guten Glas Wein genießen, so werden kleinere, spezialisierte Lebensmittelhändler eine Renaissance erleben. Den Großeinkauf erledigt man online und frische Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Fleisch oder ein frisches Brot bekommt man bei Tanta Emma nebenan. So könnten wir in Zukunft wieder die kleinen Lädchen erleben, die uns hochwertige frische Produkte verkaufen, während die großen Ketten uns mit Produkten des täglichen Lebens versorgen. Die Branche muss sich also überlegen, ob es eine gute Idee ist, große Supermärkte am Stadtrand zu errichten. Oder ob kleine Popup-Stores im Dorf nicht sinnvoller sind. Diese kleinen Läden, liebevoll gestaltet mit hochwertigen frischen Lebensmitteln aus dem Umkreis, sind die Zukunft des Einzelhandels. Hoffe ich.


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