Apple-Händler Gravis setzt auf Multichannel à la carte.

von Matthias Hell am 22.April 2015 in Local Heroes

In der Premium-Welt von Apple laufen die Uhren bekanntlich etwas anders. Das zeigt sich auch an der sorgfältig zusammengestellten Multichannel-Strategie von Gravis, bei der Mehrwerte für die Kunden an erster Stelle stehen. Gleichzeitig betrachtet der Apple-Händler die Digitalisierung als Triebfeder für die Weiterentwicklung seines Point of Sale.

Jan Sperlich ist Mitglied der Geschäftsführung von Gravis

Jan Sperlich ist Mitglied der Geschäftsführung von Gravis

Fast könnte man meinen, wer so treue Kunden hat wie Gravis, könne sich eine gewisse Nonchalance in Sachen Handelstrends leisten. Zumindest schien es die Apple-Jünger nicht übermäßig zu stören, dass Deutschlands größte Mac-Handelskette lange Zeit deutlich weniger Wert auf E-Commerce-Angebote legte als Wettbewerber wie Cyberport oder Comtech. Und auch in Sachen Digitalisierung des Point of Sale überließ Gravis dem – allerdings 2014 in Insolvenz gegangenen – Konkurrenten mStore den Vortritt. Doch wie Jan Sperlich, Mitglied der Geschäftsführung von Gravis, im Gespräch betont, sei diese Nachlässigkeit längst vorbei und biete der Apple-Händler inzwischen ein breites Spektrum an Multichannel-Services an. So sei nicht nur das komplette Produktsortiment von Gravis im Netz einsehbar, sondern könnten Kunden auch stationäre Verfügbarkeiten abfragen und hätten so die Wahl zwischen einer Online-Bestellung und der Reservierung lokal vorrätiger Artikel.

Wie Sperlich erklärt, gehe es Gravis aber gar nicht so sehr um Multichannel als Eigenwert, sondern wolle das Unternehmen vor allem Mehrwerte für die Kunden schaffen: „Im stationären Geschäft gelingt uns das, indem wir den Kunden eine hochwertige Produktvorauswahl bieten und diese mit einer guten Beratung und korrespondierenden Services kombinieren.“ Online könne diesen Anspruch ergänzen, indem die Kunden die Möglichkeit erhielten, je nach Wunsch auf allen Kanälen mit dem Unternehmen zu interagieren. Das bedeute aber nicht, dass Gravis automatisch alles umsetze, was heute unter dem Etikett Multichannel angeboten werde. „Man muss hier Entscheidungen treffen: manches ist nur Hype und auch ökonomisch betrachtet muss das Mehrkanalangebot passen.“ Dennoch ist für Jan Sperlich klar, dass an einer Digitalisierung des Handelsmodell von Gravis kein Weg vorbeiführe: „Man kann einen reinen Online-Handel oder auch ein rein stationäres Modell spielen – aber das ist nicht das, was die Kunden heute erwarten.“

eBay als Impulsgeber für Click & Collect

Digitaler POS: Der "Solution Tisch" von Gravis

Digitaler POS: Der „Solution Tisch“ von Gravis

Eine Vorreiterrolle im Digitalen nahm Gravis ein, als der Apple-Händler Ende 2014 zu den Launch-Partnern der neuen Click & Collect-Funktion von eBay zählte. „Click & Collect finden wir spannend, weil das die klassischen Online-/Offline-Muster durchbricht“, erklärt Sperlich. „Man bekommt so den Kunden in den Store und kann dort nicht nur die Ware herausgeben, sondern mit dem Verkäufer und seiner Beratungskompetenz auch noch einen Mehrwert transportieren.“ Interessanterweise bietet Gravis ein echtes Click & Collect – also mit Online-Zahlung – bisher nur über eBay an. Eine entsprechende Funktionalität im Gravis-Onlineshop wird dagegen noch nachgearbeitet. „Bei Funktionen wie Click & Collect ist immer die Frage: wer spielt hier mit? Wenn dann jemand wie eBay einsteigt, gibt das einen kräftigen Schub, den wir auch durch den zusätzlichen Traffic in unseren Shop spüren“, erklärt der Gravis-Manager. Die Zusammenarbeit mit dem Online-Marktplatz mache Spaß, da die technische Umsetzung sehr rasch verlaufen sei und das Projekt besser funktioniere als viele andere Kooperationen.

Die Weiterentwicklung des Online-Angebots von Gravis hat inzwischen auch Auswirkungen auf die stationären Aktivitäten des Apple-Händlers. „Multichannel stellt in Frage, was Händler mit ihren physischen Locations machen“, erklärt dazu Jan Sperlich. Für Gravis sei die Konsequenz zum einen, dass man die Erlebbarkeit von Technik in den Stores weiter ausbauen wolle. Zum anderen müsse man auch den für den stationären Handel traditionellen Beratungsaspekt weiterdenken. Eine Frucht dieser Überlegungen ist der Ende 2014 bei Gravis eingeführte „Solution Tisch“. Dabei handelt es sich um ein spezielles Verkaufsmöbel, das neben den darauf ausgestellten Produkten einen Rechner enthält, der mit einem RFID-Lesegerät ausgestattet ist. Jedes auf dem „Solution Tisch“ ausgestellte Produkt hat einen RFID-Tag. Legt der Kunde das Produkt, für das er sich interessiert, auf das RFID-Lesegerät, startet automatisch ein ausführliches Produktvideo auf dem Rechner. „Unser Ziel damit ist es, die Hemmschwelle zu neuer Technologie für den Kunden zu senken, Kunden dazu zu bringen, neue Geräte auszuprobieren“, erklärt Jan Sperlich. Die bisherigen Erfahrungen seien sehr positiv. Nun arbeite Gravis daran, das Verkaufsmöbel noch prägnanter zu gestalten und besser in den Läden zu positionieren.

E-Commerce für die „Digitale Mitte“

Gravis hat bei seiner Multichannel-Strategie klar seine Kundengruppe im Visier

Gravis hat bei seiner Multichannel-Strategie klar seine Kundengruppe im Visier

Ebenfalls eine Vorreiterrolle nahm Gravis beim Deutschlandstart der Shopping-App Shopkick ein. Shopkick-Nutzer können Bonuspunkte – sogenannte Kicks – sammeln, in dem sie u.a. mit ihrem Smartphone eine mit Beacon-Sendern ausgestattete Gravis-Filiale betreten oder Produktcodes einscannen. Mit einem Fazit zu der Shopkick-Kooperation kann Jan Sperlich noch nicht aufwarten, dennoch berichtet der Gravis-Geschäftsführer über eine „steigende Zuführung in die Stores“. Noch sei allerdings offen, ob durch die von Gravis in Shopkick eingespielten Angebote die gewünschten Effekte erzielt würden: „Handelt es sich bei den Shopkick-Usern um Neukunden oder um Gravis-Bestandskunden? Und sind die Neukunden diejenigen, die wir auch mit dem klassischen Marketing-Mix versuchen zu erreichen?“, fragt Sperlich. Überhaupt bewahrt sich der Manager eine gewisse Skepsis hinsichtlich der Beacon-Lösung: „Neben den vielen Potentialen, muss der Handel hier stark aufpassen, dass die Kunden nicht durch ungerichtete und unangepasste Ansprache eher abgeschreckt werden. Letztlich liegt das in der Verantwortung jedes einzelnen teilnehmenden Händlers.“

Jan Sperlich beschreibt mit seiner Einstellung zu Shopkick einen Spagat, der die gesamte Digitalstrategie von Gravis kennzeichnet: einerseits ist für den Apple-Händler der Einsatz neuer Technologie – erst Recht der von Apple mitentwickelten iBeacons – naheliegend. Gleichzeitig weiß Gravis, dass man eine Zielgruppe bedient, die nicht nur höher gebildet und stärker solvent ist als der Durchschnitt, sondern mit 35 bis 49 Jahren auch etwas älter ist als das Gros der Technikkunden. Gravis spricht in diesem Zusammenhang gerne von der „Digitalen Mitte“. Für diese sind im Zweifelsfall Personal Trainings beim Kauf eines neuen Mac wichtiger als die Umsetzung der neuesten E-Commerce-Features. Deshalb will Gravis auch künftig digitale Innovationen und persönliche Service-Angebote in Gleichschritt weiterentwickeln. Wie Jan Sperlich verrät, stehen im E-Commerce-Bereich der Ausbau der Bezahlmöglichkeiten sowie Funktionen wie die Online-Abfrage eines Reparaturstatus im Vordergrund. In den Stores sollen die Service-Angebote weiter ausgebaut und auch teilweise standardisiert werden. Das Ziel ist ein qualitativ hochwertiges Handelsmodell, das den Premiumanspruch der Apple-Produkte auch in die Sphäre des Retail übersetzt.


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