Augmented & Virtual Reality: Shopping in anderen Welten.

von Gastautor am 15.März 2018 in News, Trends & Analysen

Von Stephan Lamprecht

Der Kunde von heute informiert sich über Produkte wann und wo er will. Und wenn ihm ein Produkt gefällt, will er es kaufen. Wo er will. Im Zeitalter des Everywhere Commerce wählt der Kunde dabei längst nicht mehr nur zwischen dem Kauf in einem Geschäft oder im Webshop aus: Die First Mover unter den Händlern bieten ihnen ein Shopping in ganz anderen Welten an.

IKEA war mit seiner App „Place“ einer der Launch-Partner für Apples neues ARKit

Die Geschichte des Handels erlebt gerade eine große Zäsur: Große Handelsketten halten dem Druck durch den wachsenden Digital Commerce nicht mehr stand. Wer kann, verkleinert seine Verkaufsflächen wie Kohl’s in den USA, lanciert neue Kleinflächenkonzepte wie Saturn Connect in Trier oder Köln und arbeitet fieberhaft an einer Digitalstrategie. Andererseits zeigen Verbraucherumfragen wie etwa „Status im stationären Handel 2017“ von Moodmedia, dass Ladengeschäfte noch lange nicht tot sind. Viele Kunden besuchen immer noch gern Geschäfte. Das Ladengeschäft ist heute genauso wenig die einzige Antwort auf die Wünsche der Kunden, wie es der Webshop ist – vielmehr kommen immer neue Touchpoints hinzu. Das haben inzwischen auch viele Pure Player wie etwa MyMüsli, Edited (About You), notebooksbilliger und MyToys erkannt, die heute mit temporären oder auf Dauer angelegten Läden auch die Fläche erobern. Denn der Kunde möchte gern vor größeren Kaufentscheidungen die Produkte genauer ansehen und probieren. Was der Handel braucht, sind intelligent vernetzte Konzepte, die dem Kunden ein Einkaufserlebnis bieten und seinen Wunsch nach Informationen befriedigen. Eine Branche, die intensiv mit neuen Technologien wie Augmented und Virtual Reality experimentiert, ist der Möbelhandel.

Damit der Möbelkauf nicht zum Risiko wird

Fast 80 Prozent des Umsatzes der Möbelbranche werden laut Handelsverband Möbel und Küchen stationär erzielt. Das ist verständlich. Denn die besten Produktfotos und exakten Maßangaben können die Antworten auf die wichtigsten Fragen des Kunden nur unzureichend vermitteln. Wie fügt sich das neue Möbelstück in den Raum ein? Wie wirkt es? Und passt es tatsächlich an die Stelle, an der es einmal stehen soll?

Der stationäre Verkauf von Möbeln ist aus Sicht der Branche auch die Variante mit den höchsten Kosten. Wer dem Kunden Auswahl bieten will, braucht große Ausstellungsflächen. Und die gibt es bezahlbar nur außerhalb der Innenstädte. Das Möbelhaus kann also nicht da sein, wo die potenziellen Kunden sind, sondern muss sich darauf verlassen, dass die Käufer den Weg ins Möbelhaus finden. Und wenn sie dann an Schautagen da sind, drängeln sie sich in den engen Hallen. Alles andere als ein positives Einkaufserlebnis.

So verwundert es nicht, dass gerade die Möbelbranche sehr offen für technische Innovationen ist. Zum Beispiel IKEA. Das schwedische Möbelhaus weiß um die Wünsche der Kunden und bietet mit “Place” eine App, die mittels Augmented Reality (AR) arbeitet. Ein reales Bild der Umwelt wird mittels virtuellen 3D-Objekten angereichert. Die Anwender platzieren damit Produkte aus dem Katalog in ihren eigenen vier Wänden. Die virtuellen Gegenstände können beliebig positioniert und aus allen Blickrichtungen betrachtet werden. So kann sich der Kunde sicher sein, dass das Traummöbel später auch genauso aussieht, wie er sich das vorstellt. Das Möbelhaus setzt dabei bereits auf das ARKit aus dem Hause Apple, das es Entwicklern erleichtert, eigene AR-Anwendungen zu programmieren. Als Apple diese Schnittstelle im Rahmen der Präsentation seines neuen Betriebssystems iOS 11 für seine iPhones ankündigte, ging ein Raunen durch die Branche. Denn schon allein wegen seines Marktanteils (zwischen 15 und 20 Prozent) wird dem Konzern damit eine wichtige Rolle für den Durchbruch von AR im Massenmarkt zugesprochen.

Auf Virtual Reality (VR) setzt der Badkeramik-Hersteller Villeroy & Boch. Bei VR nimmt der Nutzer nur noch die vom Computer erzeugte Realität wahr, etwa durch den Einsatz von Datenbrillen. Allerdings kombiniert der Hersteller seinen Online-Auftritt mit der neuen Technologie und baut dabei nicht auf die Lösung von Apple, sondern den Ansatz von Google. Der Kunde gestaltet sich online sein Traumbad mit dem angebotenen Planungswerkzeug. Danach kann er sein VR-Cardboard anfordern. Dieser preiswerte Kartonbausatz mit zwei Linsen erlaubt dann mithilfe der App und einem Smartphone eine dreidimensionale Ansicht der Planung.

Auch im Segment des Küchenbaus gibt es erste Beispiele für einen sinnvollen Einsatz von VR. Der Kauf einer Einbauküche ist sowohl für private Haushalte als auch gewerbliche Kunden eine enorme Investition. In der virtuellen Realität wird die Planung erlebbar. Noch bevor ein einziges Modul bestellt wird, kann der Kunde seine neue Küche schon einmal begehen und so überprüfen, ob auch alles sinnvoll angeordnet wurde. Während Küchenbauer Kiveda testweise mit der Elektronikkette Saturn schon einmal mittels der VR-Brille die Kunden zur Küchenplanung einlud, setzt das US-Unternehmen Lowe’s in seiner mobilen Anwendung auf Augmented Reality nach dem Vorbild von IKEA.

VR macht den Autokauf wieder spannend

Autohändler dürften es wohl mit den am besten informierten Kunden überhaupt zu tun haben. Dank der Informationsvielfalt im Internet wissen die meisten Käufer schon vor dem Besuch des Autohauses, welches Modell in welcher Ausstattungsvariante sie erwerben wollen. Kein Wunder, dass die Kundschaft sich zu fragen beginnt, wozu genau der Händler da noch gebraucht wird. Und auch die Hersteller selbst beginnen erste vorsichtige Schritte im Digital Commerce zu gehen.

Mit der X2 Holo Experience können BMW-Kunden das neue Auto virtuell erkunden.

Autokauf bleibt jedoch eine emotionale Sache. Die Leistungsdaten und Ausstattungsmerkmale der Modelle sind zwischen den Herstellern fast austauschbar. Da kommt es auch darauf an, den Kunden durch technische Innovationen und eine Markenwelt zu überzeugen. Das versucht etwa BMW mit seiner X2 Holo Experience. Die Kunden können das Modell X2 sprichwörtlich aus einer völlig anderen Perspektive erleben. Die Datenbrille projiziert ein detailliertes Modell, das den Nutzer durch einen virtuellen Parcours dirigiert und dabei die Wahl zwischen unterschiedlichen Lackierungen hat. Auch Audi hat VR inzwischen zu einem eigenständigen Verkaufstool entwickelt. Mit der VR-Brille können Händler erstmals das gesamte Modellportfolio im Beratungsgespräch präsentieren – einschließlich aller Ausstattungsoptionen. Mehr als 400 sogenannte „Customer Private Lounges“, digitalisierte Beratungs-Suiten, sind bereits im Einsatz.

AR und VR im Handel – Von Leuchtfeuern und Testprojekten

Einen radikalen Ansatz im Rahmen seiner Digitalisierung verfolgt die Elektronikkette Saturn, die im Herbst einen eigenständigen VR-Shop lancierte. Allerdings muss der Kunde einigen Aufwand betreiben, um die neue Einkaufsmöglichkeit zu benutzen. Er benötigt einen schnellen PC sowie die passende Datenbrille. Beides keine Schnäppchen. Die Abhängigkeit von der bisher notwendigen Datenbrille, wie etwa der HoloLens von Microsoft, gilt gemeinhin auch als Hemmschuh für die weitere Verbreitung der Technologie in privaten Haushalten. Die Investitionskosten und der eher bescheidene Tragekomfort der großen Brillen dürften mit dafür verantwortlich sein, dass der zuletzt für das Jahr 2017 prognostizierte Durchbruch von VR im Massenmarkt (erneut) ausgeblieben ist.

Direkt am POS eingesetzt, sorgt Virtual Reality aber immer noch für Aufsehen und kann das Kundenerlebnis eindeutig verbessern, wie die Beispiele aus dem Möbel- und Autohandel zeigen. Die Konzepte elektrisieren jedenfalls nach wie vor den Handel. So sammelt der Bundesverband für Digitale Wirtschaft (BVDW) jetzt Praxisbeispiele auf einer eigenen Website.

Die neuen Technologien eröffnen neue Möglichkeiten. Umso wichtiger wird es damit, dass die zugrundeliegenden Daten möglichst grenzenlos zwischen den verschiedenen Anwendungen und Lösungen fließen können und nicht in einem Webshop gefangen sind. Denn der ist eben nur noch einer von vielen Touchpoints in der Kundenerfahrung.

Whitepaper „Jenseits des Webshops“

Dieser Beitrag erschien zuerst in unserem neuen Whitepaper „Jenseits des Webshops – wie Händler Chatbots, Voice & Co einsetzen können“. In dem Whitepaper erklären wir auf 36 Seiten, warum man mit neuen Touchpoints experimentieren sollte, welcher tatsächliche geschäftliche Mehrwert dahinter steckt und wie eine konkrete Umsetzung aussehen kann.

Lesen Sie in dem Whitepaper „Jenseits des Webshops“ u.a. folgende Themen:

  • Warum Unternehmen mit neuen digitalen Touchpoints experimentieren sollten
  • Eyerywhere Commerce: Was uns jenseits des Webshops erwartet
  • Conversational Commerce: Wenn Mensch und Maschine sich unterhalten
  • Wie das Internet der Dinge in Küche und Bad einzieht

Das Whitepaper können Sie über den folgenden Link kostenlos als PDF anfordern:

Whitepaper „Jenseits des Webshops – wie Händler Chatbots, Voice & Co einsetzen können“ 


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