Die Feuerwalze am Horizont.

von Gastautor am 02.April 2014 in Trends & Analysen

Prof.-Dr.-Gerrit-HeinemannVon Prof. Gerrit Heinemann

Manchmal reicht eine kurze Zugfahrt aus, um nach einem Wechselbad der Gefühle mit einem sehr faden Beigeschmack in den Tag entlassen und bis in die Nacht hinein mit einem Grübeln ausgestattet zu werden. So neulich im Zug während und nach der Lektüre der FAZ, die auf Seite 1 des Feuilleton-Teils mit der Überschrift „Schlag ins Kontor“ offenbarte, dass der Buchhändler Hugendubel am Münchener Marienplatz aufgeben muss.

Die Horrornachrichten über Weltbild sind noch nicht abgeebbt und die Meldung, dass das erste, in 1979 auf fünf Etagen und 3500 Quadratmetern eröffnete, Buchkaufhaus Deutschlands seine Pforten im Frühjahr 2016 schließen wird, macht den buchinteressierten Leser schon mehr als nachdenklich.

Wie der Artikel ausführt, handelt es sich nicht um ein Einzelschicksal, sondern einen Wandel, der die ganze Branche angeht. Ein Wandel, der in den USA bereits auf andere Branchen übergreift und derzeit Staples sowie RadioShack im ersten Fall zur Schließung mehrerer hundert und im zweiten Fall von über tausend Filialen veranlasst. Das Wallstreet Journal spricht bereits von einer regelrechten Feuerwalze, die mit dem US-Internethändler Amazon unter Jeff Bezos den amerikanischen Einzelhandel überrollt.

Diese ist jetzt – nach den Zahlen des letzten Jahres – auch am Horizont des deutschen Einzelhandels sichtbar. Mit mittlerweile über 10 Milliarden Euro Handelsvolumen in Deutschland reicht das Wachstum von Amazon in Höhe von offiziell 21 Prozent – durch Ausweitung des Marktplatzgeschäftes wahrscheinlich eher 25 Prozent im letzten Jahr – aus, um dem gesamten Non-Food-Einzelhandel in diesem unserem Lande in nur einem Jahr mehr als 1 Prozent Marktanteil abzunehmen.

Bei weiterhin stabilen Wachstumsraten vergrößert sich diese Zahl progressiv, da der Sockeleffekt überproportional zu greifen beginnt. Seltsam nur, dass in dem Hugendubel-Artikel Amazon als Verursacher dieses Wandels nicht benannt wird. Vor allem, obwohl dieser nicht nur den deutschen Buchhandel bereits zerhackt hat, sondern in der Belletristik sowie auch in den Fachbuchsortimenten mit jeweils rund 40 Prozent Marktanteil bereits eine marktbeherrschende Stellung eingenommen hat.

Diese wird offensichtlich – aufgrund von Ängsten vor Repressalien nur mit vorgehaltener Hand ausgesprochen – bereits gegenüber Verlagen missbraucht. Nicht nur missbraucht, sondern von der „Jeff-Bezos“-Maschine auch noch regelrecht massakriert, in dem sie eigene Verlagsprogramme aufsetzt und so zum direkten Zerstörer seiner bisherigen Lieferanten mutiert.

Wer aber stoppt diese Maschine? Wo bleiben die deutschen Handelskonzerne mit Taten statt Worten, um systemtechnisch aufzurüsten und alle Kräfte gegen die nahende Feuerwalze zu mobilisieren? Wo bleibt das Kartellamt, um eine ganz offensichtliche Monopolbildung zu verhindern? Wo bleiben die Handelsverbände und allen voran der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, um die Alarmglocken zu läuten und vor der herannahenden Feuerwalze zu warnen?

Letzterer sieht nicht nur tatenlos zu, sondern relativiert Amazons Marktanteile durch die Veröffentlichung überhöhter Umsätze des deutschen Buchhandels, in dem er diese durch Plüschgedöns- und sonstige Nichtbuchumsätze schönt.

Und das Kartellamt stärkt auch noch Amazon kräftig den Rücken, indem es auf seinem Marktplatz auch noch den hemmungslosen Preisverhau von Marken bis hin zu Untereinstandspreisen zulässt und den Markenherstellern wie explizit Adidas jede Möglichkeit nimmt, dagegen vorzugehen. Experten schätzen die im letzten Jahr dadurch vorgenommene Wertevernichtung auf bis zu 1 Milliarde Euro in Deutschland.

Nun ja, könnte der unbedarfte Leser denken, dass das schon nicht so schlimm sei und zum Wirtschaftsteil der FAZ greifen. Aber dort erscheint die nächste „Horror-Meldung“ vom gebeutelten deutschen Einzelhandel: „Otto kommt nicht vom Fleck“. Während demnach in 2013 der Versandhandelsmarkt um etwa ein Fünftel größer geworden sein soll, konnte das Handelsgeschäft der Otto-Gruppe nur um nominal 1,7 Prozent zulegen. Und das, obwohl der deutsche Versandhändler als einziger Handelskonzern gilt, der Amazon die Stirn bieten könne.

Auch hier wird wiederum der eigentliche Verursacher nicht benannt, obwohl mittlerweile mehr als ein Drittel des gesamten Versandhandelswachstums in Deutschland auf Amazon entfällt. Nun denn, denkt der Leser, jetzt ist die Politik gefragt, und blättert weiter. Siehe da, ebenfalls im Wirtschaftsteil, taucht der Name Amazon im Zusammenhang mit der Politik auf, aber anders als erwartet: In einer ganzseitigen Anzeige zum Innovationspreis der deutschen Wirtschaft, dessen Schirmherrschaft das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie innehat.

In welchem Zusammenhang? Mit Jeff Bezos, dem Gründer und CEO von Amazon, als Sieger des Titels „innovativster CEO international“. Ja herzlichen Glückwunsch! Innovativster CEO international vor allem in Hinblick auf die Ausnutzung europäischer Steuer-Nischen in Luxemburg und Irland, innovativster CEO beim Umgehen von Umsatzsteuerpflichten, innovativ auch beim Diktieren von Konditionen gegenüber Lieferanten und Verlagen, sehr innovativ auch beim Nichtbezahlen von Einzelhandelstarifen oder auch jetzt besonders innovativ beim Austausch von Mitarbeitern durch Roboter.

Diesbezüglich vor allem einen ganz besonderen Glückwunsch an die Jury und die Schirmherren für die Wahl. Deswegen mein Vorschlag: „Jeff Bezos for President“!

Über Prof. Dr. Gerrit Heinemann

Prof. Dr. Gerrit Heinemann ist Leiter des eWeb Research Centers der Hochschule Niederrhein mit Schwerpunkt Trade und Retail. Der Forschungsschwerpunkt des eWeb Research Centers liegt in der empirischen Sozialforschung zur Analyse des onlineinduzierten Kaufverhaltens. Dabei geht das Kompetenzzentrum der Frage nach, welche Auswirkung das veränderte Käuferverhalten auf den Handel hat. Im Rahmen seiner praxisorientierten Forschung verbindet das eWeb Research Center Multi-Channel-Expertenwissen mit betriebswirtschaftlichem Know-how. Weitere Informationen unter: http://www.hs-niederrhein.de/forschung/eweb-research-center/

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