Edeka: Keine Zeit für Feigenblätter.

von Gastautor am 17.Mai 2021 in Kommentar, News, Trends & Analysen

Von Wolfgang Kirsch

Man könnte ja meinen, dass das mit dem „Immer wieder die gleichen Fehler wiederholen“ so langsam überwunden wäre. Darüber, dass ich selbst eine digitale Sehrspätzündung mit-angeschoben habe, schrieb ich schon. Über das Vor- und Zurück der Schwarz Gruppe ebenfalls. Und nun Edeka.

Der dpa gegenüber sagte Edeka-Chef Markus Mosa: „Picnic wird der Online-Arm von Edeka werden“. Über eigene Online-Ambitionen hingegen spricht er kritisch und abwartend: „Kein stationärer Händler kann online am Ende besser sein als ein echter E-Commerce-Händler.“

Ich meine: Es ist ganz sicher so, dass sich stationäre Händler schwer tun, digital zu starten. Aber dieser Weg ist alternativlos und wird durch längeres Warten nur schmerzhafter und teurer. Die Marge der Supermärkte ist nicht üppig – wenn da mittelfristig 10% vom Umsatz wegfallen (und das wird passieren), werden viele Edeka-Kaufleute (also die Eigentümer der Gruppe) zum Aufgeben gezwungen. Dass die Edeka-Gruppe im Ganzen dann noch Picnic hat, wird diesen Kaufleuten ein schwacher Trost sein.

Will man diese Entwicklung umkehren, muss man sich überlegen, welche Rolle die Kaufleute in der modernen Welt spielen können – wie sie zum Kümmerer werden können. In Mittelstädten könnte das die Picnic-Lösung sein: Die Alltagswaren per Milchmann nach Hause und den Gern-Käufern ein hochqualitatives Einkaufserlebnis für Obst, Gemüse, Wein usw. in kleineren und weniger Läden zu bieten. In Ballungsräumen bräuchte man vielleicht eher einen Gorillas-Gegner und eine „richtige“ Online-Lieferinfrastruktur, wie Amazon sie hat. Und auf dem Land könnte man mit dem Zusammenstellen der Lieferung aus dem Laden beginnen und Click & Collect anbieten. Damit das den lokalen Kaufleuten hilft, müssten sie aber von diesen Services in der eigenen Region profitieren oder sie gar betreiben. Sie müssten dann die heutige Reichweite ihrer Läden nutzen, um die eigenen Kunden an die neue Welt zu gewöhnen – und all das müsste unter der Marke Edeka stattfinden; mindestens als Co-Branding. Denn so erspart man sich den Aufbau einer neuen Marke – und hilft der bestehenden.

Um einem beliebten Gegenargument entgegen zu wirken: Dass man die Marken zusammenführt, muss keineswegs heißen, dass man auch operativ alle Systeme zusammenführt. Denn natürlich ist es ineffizient, in Supermärkten Waren zusammenzustellen, also zu picken. Gleichzeitig KANN es aber – wie oben beschrieben – eine Lösung sein, um das Interesse von Kunden an einem Ort zu testen. Oder um Online Lebensmittel auf die Dörfer zu bringen. Insgesamt ist es dem Kunden total wurscht, wo seine Tüten gepackt werden – wichtiger ist, was draufsteht und wie teuer bzw. wie schnell sie zuhause sind. Für den Händler ist wichtig, Wissen aufzubauen: Ein Kunde lässt sich jede Woche Windeln per Picnic nachhause liefern – das wäre vielleicht ein Kandidat für den Kochkurs „Beikost zubereiten“. Eine Kundin bekommt alle vier Wochen Briketts nach Hause – dann sollte sie wissen, wie fantastisch ihre Steaks und ihr Gemüse im Laden sind.

Der Knackpunkt, wenn man sich für eine solche Strategie entscheidet, ist dass sie einen extrem anstrengenden Prozess erfordert. Zunächst erfordert er eine Menge Überzeugungsarbeit. Denn die zukünftig größten Profiteure (die Kaufleute) werden mutmaßlich zu Beginn die größten Bremser sein. Sie müssen schließlich all die Veränderungen umsetzen. Und dann wird es schlicht teuer. Denn wenn man ein Milliarden-Geschäft transformieren möchte, kommt man mit ein paar Millionen nicht aus – und das zusätzlich zur Beteiligung an Picnic. Diese geht zwar Medienberichten zufolge in die Hunderte Millionen, aber sie wirkt meines Erachtens ohne Transformation des Kerngeschäfts dennoch eher wie ein Feigenblatt.

Über den Autor:

Wolfgang Kirsch blickt auf über 25 Jahre Erfahrung im Einzelhandel zurück (© Martin Hangen)

Wolfgang Kirsch ist einer der anerkanntesten Experten für Consumer-Electronics und Handel in Europa. Er war für viele Jahre Geschäftsführer der MediaMarktSaturn Retail Group und arbeitet heute als Berater für Händler, Hersteller und Private Equity Unternehmen sowie als Senior Advisor bei der Unternehmensberatung McKinsey. Kirsch ist an mehreren Startups beteiligt, zum Beispiel an der Vitaboni AG, wo er auch als Aufsichtratsvorsitzender agiert. Vitaboni bietet nachhaltige Kapseln mit Bio-Kaffee für das Nespresso-System an.

Vor kurzem sprach Wolfgang Kirsch mit uns in einem Interview darüber, dass der Handel Mut zu Veränderungen braucht.


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