Erfolgsfaktor Smarter Checkout – wie neue Technologien die Effizienz und das Einkaufserlebnis verbessern.
von Gastautor am 12.Juli 2019 in News, Payment, Trends & AnalysenAccenture-Geschäftsführer und Retailexperte Mathias Gehrckens zeigt sechs ausgewählte Lösungen zur Digitalisierung des Checkouts im stationären Handel auf.
In der analogen Welt ist der Checkout-Prozess oft das „unvermeidbare Übel“. Lange Wartezeiten an den Kassen, genervtes und gelegentlich überfordertes Kassenpersonal und langwierige Bezahlvorgänge gehören – vor allem in Stoßzeiten – immer noch zum „Einkaufserlebnis“ des Kunden dazu. Auf Händlerseite wiederum ist das Thema Checkout mit ineffizienten Prozessen, hohen operativen Kosten, unzufriedenen Kunden und vor allem einer verpassten Chance verbunden: den Kunden über eine positive Kaufabschlusserfahrung stärker an das Unternehmen zu binden oder sogar die Bereitschaft zu erwirken, wertvolle Daten über ihn sammeln zu dürfen.
In Zeiten von Amazon, Zalando & Co., in denen die Verbraucher zunehmend digital shoppen, ist ein rückständiges Verhalten im Offline-Kanal mit hohen Risiken verbunden. Die Erfahrungen im E-Commerce haben die Ansprüche der Kunden an das Einkaufserlebnis signifikant verändert. Sie erwarten, dass auch der Einkauf im stationären Handel genauso nahtlos verläuft, wie das One-Click-Shopping bei Amazon. Was tun? Neue Technologien, die mobile Geräte, Tracking, Sensoren und Künstliche Intelligenz beinhalten, ermöglichen smarte Checkout-Lösungen, um auch offline das Kundenerlebnis und die Profitabilität zu verbessern. Durch das Live-Auswerten des Browsing- und Einkaufsverhaltens der Kunden sind stationäre Händler in der Lage, ihre Konversionsrate zu erhöhen und die durchschnittlichen Warenkörbe zu vergrößern sowie durch Analytics die profitablen Kundensegmente zu identifizieren. Automatisierte Lösungen ermöglichen, auf einen Teil des Kassenpersonals zu verzichten und dieses zur Kundenberatung oder bei anderen wichtigen In-Store-Prozessen (z.B. Replenishment) einzusetzen oder auf diese Kostenposition gänzlich zu verzichten. Weitere Vorteile sind ein effektiveres und Daten getriebenes Bestandsmanagement sowie Marketing-Personalisierung. Wird der Checkout, dieser so wesentliche Bestandteil des Offline-Einkaufs, auf eine smarte Art neu gedacht, kann er zum zentralen Erfolgsfaktor des Retail-Geschäftsmodells werden.
Ansätze und Beispiele für den Checkout der Zukunft
Man kann grundsätzlich zwischen sechs Arten des smarten Checkouts differenzieren. Die Lösungen unterscheiden sich im Hinblick auf die Kosten und die technische Komplexität, das Kundenerlebnis sowie den geschäftlichen Mehrwert:
1. Kontaktloses Bezahlen: Diese Checkout-Methode ist bereits in den USA, in Großbritannien und seit einiger Zeit auch Deutschland für kleinere Beträge unter 25 Euro möglich. Der Kunde hält einfach seine Giro- oder Kreditkarte (mit Funksymbol & NFC-Chip (NFC = Near Field Communication) an das Kartenlesegerät und bezahlt binnen einer Sekunde. Bei höheren Beträgen muss der Kunde weiterhin seine Geheimnummer eingeben.
2. Checkout an Selbstbediener-Kassen: Das ist eine relativ einfache Lösung, die bereits ausgereift ist und durch beispielsweise Walmart, ALDI (UK), Esselunga, EDEKA und REWE ausgerollt wurde. Der Kunde scannt die Produkte am Terminal und kann mobil oder konventionell bezahlen. Vorteile dieser Lösung sind eine relativ einfache Umsetzung und weniger beanspruchte Fläche pro Kasse. Jedoch führt sie im Lebensmittelhandel nur bedingt zur Verbesserung des Kundenerlebnisses: Warteschlangen gibt es zum Teil immer noch und an Self-Checkout-Terminals muss der Kunde den Kassierer-Job erledigen. Ein Erfolgsbeispiel im Modebereich ist das „Touch & Go“ von Zara. Kunden müssen die Teile am Self-Checkout-Kiosk vorhalten, über das smarte Label wird das Produkt automatisch erkannt und kann bezahlt werden.
3. Checkout mit einem mobilen Endgerät: Dabei führt der Kunde das Scannen aktiv durch und bezahlt per Smartphone. Händler können eigenes Mobile Payment anbieten oder durch Partner wie Ali Pay oder Apple Pay ermöglichen. Vorteile dieser Lösung sind geringere Transaktionsgebühren sowie Einkaufsdaten der Kunden, die für Treueprogramme und Marketingpersonalisierung genutzt werden können. Häufig als „Scan & Go“ bekannt, sehen wir das bei mehreren Händlern wie Sam’s Club oder Fairway, einer Grocery-Kette aus den USA. Die Fairway-Kunden können mit der App Produkte einscannen und mobil auschecken. Auch lose Ware oder Food-Bar-Produkte können an digitalen Waagen gewogen werden und durch QR-Code-Scannen zum Warenkorb hinzugefügt werden.
4. Eine Erweiterung dessen ist der Smarte Einkaufswagen: Bei dieser Lösung wird der konventionelle Einkaufswagen um einen Produkt-Scanner und eine Tablet-Oberfläche ergänzt. Dadurch kann der Kunde die Items selbst scannen und direkt am Wagen auschecken. Einen ersten Ansatz können Besucher von EDEKA Minden erleben, wo solche smarten Einkaufswägen von EasyShopper pilotiert werden. Kunden melden sich beispielsweise mit der Deutschland Card an und können das Scannen am Wagen durchführen. Zum Checkout benutzen sie in der initialen Phase noch ein Terminal im Ausgangsbereich. Über das Tablet werden Kunden des Weiteren mit relevanten Angeboten und Promotionen basierend auf ihrer Browsing- und Einkaufshistorie bespielt. Dieser smarte Empfehlungsmechanismus, in der Fachwelt Marketing Recommendation-Engine genannt, ermöglicht weitere service-basierte Umsatzströme für den Betreiber der Lösung. Die Besonderheit an EasyShopper sind die zusätzlich am Wagen installierten Kameras. Diese erkennen, welche Produkte in den Wagen gelegt werden und dienen somit als Kontrollmechanismus gegen Diebstahl. Zusätzlich können Händler durch die Kameras Out-Of-Stock-Vorfälle erkennen und das Personal benachrichtigen lassen.
5. Checkout mit biometrischen Daten: Dies ist eine relativ neue Methode des Checkouts, beispielsweise mit einem Fingerabdruck oder dem Gesicht, wie bei KWC in China mit dem „Smile To Pay“-System von Ali Pay. Auch JD.com testet smarte Displays in zwei Fashion-Stores, um Erkenntnisse über die Produktpräferenzen zu gewinnen. Diese Lösung muss noch Hürden überwinden. Kritische Faktoren sind Kundenakzeptanz sowie technische Präzision und Skepsis der Datenschützer.
6. Grab & Go / Automatisierter Checkout: Das bekannteste Beispiel für diese Form des Checkouts ist der „Amazon Go“-Store. Heute betreibt Amazon zehn solche automatisierten Läden und plant den Rollout auf 3.000 bis 2021. „Amazon Go“ ist ein kleines Lebensmittel-Geschäft und basiert auf der „Sensor Fusion“-Technologie. Der Kunde loggt sich bei Betreten des Ladens über die „Amazon Go“-App bei Betreten des Ladens ein. „Amazon Go“ erkennt automatisch, welche Waren in den Einkaufskorb gelegt werden. Der Kunde verlässt den Store – Checkout und Bezahlung werden automatisch ausgelöst. „Amazon Go“ ist jedoch für größere Flächen ungeeignet, das präzise Erkennen von Gegenständen noch eine Herausforderung. Auf dem Markt gibt es Alternativen wie Sensei oder AiFi. Wie „Amazon Go“ setzt der AiFI-Store Kameras ein und erkennt Produkte im Warenkorb. Den Checkout muss der Kunde jedoch aktiv über die App oder per Kreditkarte durchführen. Nach Angaben von AiFi laufen Tests mit Carrefour und Valora.
Asiatische Händler wie JD hatten bereits vor den USA mit ähnlichen Technologien experimentiert. Nach dem initialen Boom kämpfen sie mit profitabler Skalierung. Die größte Marge im FMCG wird durch den Verkauf von frischer Ware generiert, was entsprechende In-Store-Maßnahmen erfordert. So hatte JD.com erst 6 Monate nach einer Roll-Out Ankündigung die Initiative eingestampft. Eine weitere Lösung für den automatisierten Checkout bietet Trigo Vision. Eine Kombination aus Overhead-Kameras und Computer Vision (maschinelles Sehen) mit entsprechenden Algorithmen wird Händlern im Subscription-Modell zur Verfügung gestellt. Kunden bleiben anonym, auf Gesichtserkennung wird verzichtet. Im Laden können sie sich entweder über die App identifizieren und lösen die Bezahlung automatisch aus – oder Identifikation und Bezahlung erfolgen am Kiosk. Durch diese Flexibilität eignet sich Trigo Vision auch für größere Stores. Ein Pilot bei Shufersal ist bereits live, Vorbereitungen laufen mit Tesco in Großbritannien.
Implikation für Händler: Checkout-Lösung abhängig von Format und Warenkorb
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der smarte Checkout durch neue Technologien zunehmend die Effizienz und das Erlebnis im Kaufprozess und beim Kaufabschluss verbessert und zum Erfolgsfaktor wird – insbesondere durch die Möglichkeit der Zuordnung kundenbezogener Daten. Checkout-Systeme werden weiter an Akzeptanz gewinnen, was zahlreiche Kundenumfragen demonstrieren. So sollte der Handel laut einer 2017 durchgeführten Verbraucherstudie von Accenture dringend in digitale Tools investieren, um potenzielle Käufer der jungen Generation Z für sich zu gewinnen und dauerhaft zu halten. Deren Aufmerksamkeit erreiche man über Bilder und der Dialog mit ihr verliefe kanal- und geräteübergreifend. Eine 2018 durchgeführte Konsumentenbefragung von PWC-Befragung in Deutschland ergab, dass über die Hälfte der unter 40-Jährigen Produkte im Laden gerne selbst einscannen und über das Mobilgerät bezahlen. Laut einer McKinsey-Analyse soll im Fall von „Amazon Go“ der geschäftliche Mehrwert die Investitionen kompensieren: Sie kalkulieren mit fünf bis zehn Prozent Verbesserung der Top-line aufgrund reduzierter Wartezeiten und Daten-Insights zur Operations- und Marketing-Optimierung. Weitere Verbesserungen ergeben sich durch die Reduktion der Personal- und Fixkosten – zwei bis vier Prozent der Bottom-Line.
Größere Ladenflächen bleiben eine Herausforderung – in den nächsten Jahren rechnen wir mit initialen Proofs Of Concept, also Beweisen, dass Geschäftsmodelle wie Trigo Vision funktionieren. Heute empfehlen wir Händlern über smarte pragmatische Lösungen wie das „Touch & Go“ von Zara oder den IRL („Intelligent Retail Lab“) Store von Walmart nachzudenken. Letzterer verfügt noch über Personal und konventionelles Checkout, dafür erledigen smarte Kameras das Inventory Management. Grundsätzlich sollten Händler verschiedene Lösungen in Form von Proofs Of Concept ausprobieren und bei der Skalierung zwischen „as a Service“-Modellen versus Eigenentwicklung abwägen. Die Ersten sind flexibel und günstig, jedoch an einen externen Anbieter gebunden. Die Eigenentwicklung erfordert höhere Initial-Investitionen, wird sich aber langfristig amortisieren.
Über den Autor:
Mathias Gehrckens ist Geschäftsführer der Accenture GmbH im Bereich „Consumer Goods & Retail“ mit besonderem Fokus auf agile Organisation und digitale Transformation. Zudem ist er Co-Gründer der dgroup, seit 2016 Teil des globalen Accenture-Netzwerkes.
Gehrckens veröffentlicht regelmäßig Fachbücher zum Thema Handel und Digitalisierung, zuletzt gemeinsam mit dem Accenture-Geschäftsführer Thomas Täuber sowie Professor Dr. Gerrit Heinemann „Handel mit Mehrwert – Digitaler Wandel in Märkten, Geschäftsmodellen und Geschäftssystemen“ (*).
Lesetipp
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