Expertenumfrage: Was sind 2017 die größten Herausforderungen des Handels?

von Florian Treiß am 12.Januar 2017 in Highlight, News, Trends & Analysen

Deutschlands Handel steht 2017 vor vielschichtigen Herausforderungen, wie eine Umfrage von Location Insider unter führenden Händlern, Forschern sowie Dienstleistern des Handels zeigt. So muss der Handel endlich nicht mehr nur über Omnichannel und die Verzahnung von Online und Offline reden, sondern das Thema konsequent umsetzen, sind sich dm-Boss Erich Harsch, Gravis-Chef Jan Sperlich und Jens Lappoehn (Geschäftsführer Telefónica Germany NEXT) einig. Thomas Schenk von der Otto Group fordert mehr „Überraschungsmomente, Erlebnis und Entertainment“ in Deutschlands Geschäften. Und EHI-Geschäftsführer Michael Gerling sorgt sich angesichts der weltweiten Terrorgefahr um die Sicherheit von Mitarbeitern und Kunden: „Die Menschen müssen sich im Handel sicher fühlen können und das muss der Handel deutlich machen“, sagt Gerling. Die ausführlichen Statements von sieben Experten lesen Sie hier im Überblick:

Erich Harsch

Erich Harsch

Erich Harsch, Vorsitzender der dm-Geschäftsführung:

Die wichtigste Herausforderung für den Handel liegt 2017 darin, den Kunden den Einkauf auf verschiedenen Wegen zu ermöglichen und die richtige Mischung aus Online- und stationärem Handel zu finden. Wir möchten dafür die digitalen Kanäle intensiver und vielfältiger nutzen. Deutschland ist aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte geeignet für Onlinehandel mit kurzen Lieferzeiten, da in den meisten Teilen der Republik viele Menschen ohne lange Fahrstrecken erreicht werden können. Seit 2015 finden Kunden in unserem Onlineshop dm.de ein Angebot von mehr als 12.000 Artikeln. Dennoch bleibt der stationäre Handel ein wichtiges Feld: So kommen Tag für Tag in jeden einzelnen unserer mehr als 1.800 dm-Märkte rund 1.000 Menschen zum Einkaufen. Eine weitere Herausforderung 2017 ist der intensivierte Wettbewerb: Die Anzahl der Mitbewerber im Lebensmittel- und Drogeriehandel vergrößert sich, da die großen Supermärkte ihr drogistisches Sortiment ausweiten.

Jan Sperlich

Jan Sperlich

Jan Sperlich, Geschäftsführer von Gravis:

2017 steht im Zeichen von Omnichannel. Unsere Branche tut gut daran weniger über das Thema zu reden, als es vielmehr konsequent umzusetzen – wir müssen Omnichannel beherrschen. Für jeden Händler gilt auch in diesem Jahr, dass er seinen Mehrwert klar kommunizieren, seine Marktposition schärfen und das Einkaufsversprechen einlösen muss. Dabei ist es wichtig den eigenen Kunden genau zu kennen, gezielt auf seine Bedürfnisse einzugehen und mit dem eigenen Geschäft einen Mehrwert zu bieten. Im Wettbewerb mit den Online-Playern kann der stationäre Handel mit Persönlichkeit, Vertrauen und Service punkten und muss Antworten auf Shopping-Schnittstellen wie Alexa finden.

Thomas Schenk

Thomas Schenk

Thomas Schenk, Direktor Retail Excellence Otto Group:

Die Zeiten von ‚Warenmenge erzeugt Umsatz‘ sind meines Erachtens vorbei, der Preiskampf tobt und Online wird auch weiterhin stark wachsen. Der stationäre Handel steht daher vor der großen Herausforderung, sich die Digitalisierung zu Nutze zu machen und sich neu zu erfinden. Der natürliche Einsatz digitaler Techniken im Front- sowie Backend, die individuelle Kundenansprache sowie sorgfältig kuratierte und inszenierte Warenwelten, die immer wieder zum Besuch und zum Verweilen einladen, werden dabei genauso entscheidend sein für den Erfolg wie Überraschungsmomente, Erlebnis und Entertainment.

Professor Gerrit Heinemann

Professor Gerrit Heinemann

Prof. Dr. Gerrit Heinemann, eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein:

Die Verbraucher in Deutschland haben in den vergangenen Jahren die Online-Aktivitäten stationärer Handelsunternehmen – zeitweise unter Schmerzen – sehr wohlwollend unterstützt. Jetzt kommen sie an einen Punkt, wo sie sich wieder verstärkt den besser funktionierenden Online-Shops der großen Pure-Plays zuwenden, was sich auch in den aktuellen Online-Zahlen wiederspiegelt. Das ist eine große – aber auch selbst verschuldete – Gefahr für den stationären Handel. Er muss endlich aus seinem Dornröschenschlaf erwachen. Auch der Online-Shop eines stationären Händlers muss vollumfänglich funktionieren und Click&Collect sollte kein Etikettenschwindel (mehr) sein. Beides darf in 2017 nicht mehr ein unzeitgemäßer Appendix darstellen, wie das in 2016 noch vielfach der Fall war. Viele Kunden in Deutschland sehen sich mittlerweile dazu gezwungen, ihre Produkte bei Amazon&Co. zu kaufen, auch wenn sie manchmal ein schlechtes Gewissen dabei haben.  Deutsche Händler schieben damit Amazon&Co. quasi die Kunden zu und beschimpfen sie zusätzlich noch als „Beratungsdiebe“, auch wenn zu Hause eigentlich online bei diesen Stammhändlern kaufen wollten. Leider finden sie aber häufig dort das im Geschäft angebotene Produkt nicht. Eine fatale Entwicklung und zugleich die größte Herausforderung in 2017!

Christian Gaiser

Christian Gaiser

Christian Gaiser, CEO und Gründer Bonial.com:

Jeder Händler muss dort auffindbar sein, wo die Kunden sind, nämlich auf dem Smartphone.“Mobile is eating the world” heißt es derzeit auf dem US-Markt. Der Shift zum Smartphone ist Realität. Das zeigt auch die aktuelle Studie von HDE, eWeb Research Center und Bonial: 77 Prozent der Menschen in Deutschland nutzen mobile Geräte zu Hause, bevor sie entscheiden, welchen Händler sie besuchen. Hier fehlt es im Handel zuweilen noch an Bewusstsein. Um in diesem Jahr in einem kompetitiven Umfeld erfolgreich sein zu können, muss der stationäre Einzelhandel unbedingt optimieren und dort auffindbar werden, wo die Shopper sind, nämlich auf dem Smartphone.

Jens Lappoehn

Jens Lappoehn

Jens Lappoehn, Managing Director der Telefónica Germany NEXT GmbH:

Eine der größten Herausforderungen bleibt die konsequente Umsetzung des Omnichannel. Alle Customer Touchpoints müssen besser miteinander verknüpft werden, damit der Handel dem Kunden ein nahtloses Erlebnis bietet und ihn mit den richtigen Angeboten zur richtigen Zeit erreicht. Dafür braucht der Handel detailliertere Informationen über seine Zielgruppe. Zudem besteht die Herausforderung darin, die unmittelbare Interaktion mit dem Kunden im Store zu verbessern. Onlinehändler sind hier schon wesentlich weiter: Sie stimmen ihre Angebote sekundenschnell auf die Zahl der Kunden, ihre Verweildauer im Online-Shop und ihre Produktpräferenzen ab. Big Data sowie IoT-Lösungen werden die Customer Journey im stationären Handel zukünftig genauso differenziert unterstützen: Mit Erkenntnissen aus Big Data erhalten Händler rund um die Uhr u.a. Informationen zum Kundenverhalten in und um den Store sowie Einblick in Präferenzen der Zielgruppe. IoT-Lösungen unterstützen die digitale Interaktion im Store. Durch Verknüpfung mit Warenwirtschaft, Pricing, persönliche und mediale Kommunikation können so individuelle Angebote punktgenau geschaffen und verkauft werden. Diese Entwicklung bedeutet für Handelsunternehmen zahlreiche Veränderungen sowohl technischer als auch prozessualer und organisatorischer Natur. Deshalb muss Omnichannel zur Chefsache erklärt werden.

Michael-Gerling-EHI

Michael Gerling

Michael Gerling, Geschäftsführer EHI:

Terroranschläge gehören heute fast zum Alltag. Da Einzelhandel bevorzugt dort stattfindet, wo viele Menschen sind, ist es kein Wunder, dass sich die dort tätigen Menschen zunehmend Gedanken über ihre persönliche Sicherheit machen. Bin ich an meinem Arbeitsplatz einer besonderen Gefährdung ausgesetzt? Wie verhalte ich mich, wenn Gewaltakte unmittelbar vor der Ladentür geschehen? Egal, wie gering die Wahrscheinlichkeit tatsächlicher Gefahr ist, die Menschen müssen sich im Handel sicher fühlen können und das muss der Handel deutlich machen.

Soziale Ungleichheit ist eine Quelle von Gewalt. Gerade in dieser Zeit ist es wichtig, dass wir Arbeit dorthin bringen, wo der Wohlstand deutlich unter dem globalen Durchschnitt liegt. Produktion in Niedriglohnländern ist gut, denn sie steigert den Wohlstand der Menschen in den armen Ländern. Die Verantwortung des Einzelhandels dabei ist aber ausgesprochen groß. Arbeitsbedingungen, Entlohnungssysteme und Umweltstandards sind nicht allein Sache der Produktionsbetriebe. Jeder Auftraggeber trägt einen Teil dieser Verantwortung, egal, was die Gerichte in Deutschland dazu entscheiden werden. Der Einzelhandel hat hier die Chance, einen enormen Beitrag zum Abbau von Ungleichgewichten zu leisten. Gut, dass viele Unternehmen dies bereits lange erkannt haben und sich alleine oder in Bündnissen dazu bekennen, diese Verantwortung zu übernehmen.

Dominik Brokelmann, BrodosDominik Brokelmann, CEO Brodos:

Die Zeit der Forderung, dass sich stationäre Händler verändern müssen, haben wir hinter uns lassen können, denn diese Erkenntnis ist gewachsen. Nun ist die Frage: Wie stellen wir den stationären Händler auf die gleiche Stufe wie den Onlinehändler und wie schaffen wir durch stationäre Präsenz einen Vorteil? Sowohl die Notwendigkeit als auch das Konzept Cross Channel ist jedem stationären Händler klar, jetzt muss er sich an die Umsetzung machen. Für Brodos wird es ein spannendes Jahr, da wir unsere Plattform weiter ausbauen und so Endkunden kleiner und mittelständischer Händler echte Cross Channel Vorteile bieten können. Ich persönlich freue mich auf ein Jahr, in dem wir unsere Konzepte verbessern und nicht nur darüber reden. Es wird ein Jahr der Arbeit. Die Jahre zuvor haben wir über die Notwendigkeit gesprochen, 2017 müssen stationäre Händler in der Digitalisierung weiterkommen. Die Tätigkeiten auf unserer Plattform sind super, diese werden wir nun weiter ausbauen.

Lesen Sie auch Teil 2 unserer Expertenumfrage zum #Handel2017 u.a. mit Wolfgang Kirsch (CEO Media-Saturn Deutschland) und Jens Peter Klatt (Vice President Multichannel bei Mister Spex).


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