Handel auf Basis von RFID und anderer Technologien.
von Gastautor am 06.Juli 2015 in Trends & AnalysenEin Ansatz für die Verbindung von Off- und Online-Handel und (parallel) für einen Future Discount
Von Ulrich Eggert
Kürzlich war es mal wieder so weit: der gesamte Handel schrie vor Entsetzen, weil Amazon nun vom Online- zum Offline-Handel gehen wolle. Ursache des Geschreis: Amazon möchte sich eine stationäre Handelsvision patentieren lassen, so meldete es jedenfalls Recode.net im März 2015. Hintergrund: Amazon möchte wohl in der Tat ein Filialkonzept patentieren lassen, bei dem Kunden Online-Bestellungen abholen können, ohne dazu an irgendeiner Kasse anstehen zu müssen. Möglich soll das werden durch den Einsatz von Kameras mit Gesichtserkennungsfunktion, RFID (Radio Frequenzy Identification), Bluetooth und andere schöne Technologien. Mit Hilfe von Sensoren sollen Artikel und Kunden eindeutig identifiziert und auch ohne Kasse einen automatischen Check-Out durchlaufen können.
Durch massiven Technik-Einsatz können so Filialen enorm kostengünstig betrieben und die geschäftlichen Prozesse mit dem Kunden entscheidend beschleunigt werden. Aber das Ganze ist keineswegs neu, wesentliche Aspekte dazu habe ich bereits 2009 in einem Whitepaper auf meiner Homepage www.ulricheggert.de und um 2010 – wenn auch ohne Verbindung zum Online-Shopping – unter dem Stichwort „Future-Discount“ in dem Buch Zukunft Handel ohne Patent-Anspruch veröffentlicht, andere Autoren haben später ähnliches berichtet.
Zur Ausgangslage
Der Online-Handel boomt, der stationäre Handel leidet hingegen. Deshalb ist es sinnvoll, eine Verbindung zwischen beiden Seiten aufzubauen. Das geschieht gemeinhin durch Multi-Channel-Ansätze einerseits und durch Location-based Services mit Hilfe von Beacons etc. andererseits immer häufiger, allerdings in der Regel mehr schlecht als recht. Deshalb erscheint es ratsam, neue Konzepte zu entwickeln, die stationäre Ansätze und den Online-Handel schon vom Prinzip her kombinieren durch den Aufbau eines engmaschigen Filial- oder Franchise-Netzes mit integrierten Click & Collect- sowie Service-Stationen, die in sich rentabel geführt werden können. Diese Outlets müssen nicht zum Anbieter eines Online-Shops gehören, sondern sie können mit eigenem Geschäftsmodell als Stand-alone, Filialist oder auch Franchiser frei im Markt agieren für mehrere Partner im Online-Handel.
Die Konzeptidee:
- Ein möglichst breites, aber nicht allzu tiefes Sortiment soll auf der einen Seite möglichst kostengünstig möglichst nah an die Verbraucher herangebracht werden, damit sie hier ihren täglichen im Wesentlichen Non-Food-Bedarf decken können – es gibt ja schon seit langem kein Eisenwaren-/Hausratgeschäft mehr – und wodurch regelmäßige Besuche angesagt sind.
- Das Konzept will auf der anderen Seite aber auch erreichen, dass Bestellungen im Internet/Online-Handel möglichst wohnort-nah abgeholt (Click & Collect) und ggfls. auch wieder zurückgebracht werden können, dass eine regionale Service-Station vorhanden ist.
- Ein direkter Kassier-Vorgang für Online-Ware soll zur Beschleunigung entfallen können, falls bereits bezahlt, anderenfalls aber nicht.
- Aus Kostengründen wird eine nahezu Voll-Automatisierung angestrebt, sodass wegen niedriger Kosten auch Klein(st)-Filialen tragbar sind.
Zur RFID-Technologie
RFID (Radio Frequency IDentification) ist eine Methode der automatischen Erfassung von Gegenständen mithilfe von Radiofrequenzen neben anderen Erkennungsverfahren (Übersicht 1). Ein Transponder, in den ein Mikrochip integriert ist, wird an Waren, Kartons oder ganzen Paletten angebracht und ein Schreib- bzw. Lesegerät, das in der Regel fest montiert ist, sendet Signale aus, die der Transponder durch Radiofrequenzen beantwortet. Damit kann Ware – und zwar wenn es sein muss, jeder einzelne Artikel, also jede Zigarettenschachtel innerhalb einer 10er Packung innerhalb eines größeren Umkartons auf einem Container – identifiziert werden.
Transponder sind Radioempfänger und -sender zugleich, sie können aktiv oder passiv sein, es gibt sie als Stifte, als Folien, als Scheiben, als Scheckkarten und in vielen anderen Formen. Lesegeräte können stationär an Packstraßen oder Kassen angebracht sein, aber auch mobil als Handlesegeräte genutzt werden, etwa um Inventuren durchzuführen. Das Entscheidende dabei ist, dass Chips und Lesegeräte, die noch vor einigen Jahren extrem teuer waren, heute relativ preiswert sind und in Zukunft noch billiger werden, da es mittlerweile technische Möglichkeiten gibt, die Transponder durch „streichen auf die Produkte zu bringen“.
Die Gründe für die Anwendung von RFID sind viererlei:
- Kostensenkung
- Mehr Information
- Mehr Sicherheit
- Mehr Wert
Anwendungsgebiete findet man in der Logistik, in der Produktion, in der Produktsicherheit, als Zugangskontrollen, auf Kundenkarten, im Gesundheitswesen (Gesundheitskarte), im Sport, in der Freizeit, im Haushalt, aber auch im Öffentlichen Dienst.
In der heutigen, mehr oder weniger 1. Stufe der Nutzung von RFID-Technik dient diese Technologie vor allen Dingen dem Supply Management, insbesondere der Verfolgung der Ware in der logistischen Kette, s. auch Übersicht 2. Wird eine Ware in China produziert und mit einem Transponder versehen, so ist diese Ware eindeutig identifiziert und kann vom Lieferanten in China über den Logistiker in den verschiedenen Häfen von Hongkong bis Rotterdam oder Duisburg über die Spedition in Deutschland bis hin zum Zentrallager des Unternehmens verfolgt werden, ja, später auch bis zum Kunden und Endverbraucher.
Zum Konzept
Zur Optimierung der Abläufe in hoher Geschwindigkeit in den Läden verlangt das Konzept, dass im Prinzip das ganze örtlich vorhandene Sortiment SB-gerecht verpackt angeboten wird und jeder einzelne Artikel mit RFID-Tags ausgerüstet ist. Dadurch wird es möglich, an besonderen Terminals im Shop durch bloße Auflage des RFID-Tags nähere Informationen zu den einzelnen Produkten zu liefern (z.B. Informationen zur Beschaffenheit, Anwendung oder auch Recycling). Zugleich wird es so aber auch möglich, mithilfe der Tags die Kassen durch Scanning-Tunnel zu automatisieren, ja, sie zu ersetzen und eine schnelle automatisierte Bezahlung mittels direkter Geldabbuchung durch das Einschieben von Kredit-, Kunden- oder Geldkarten vorzunehmen. Online-bestellte und bereits bezahlte Ware ist entsprechend im RFID-Chip gekennzeichnet, sie läuft ebenso durch den Tunnel und dafür wird dann auch nicht mehr kassiert.
Das Sortiment kann in zehn bis zwölf Grundmodulen zusammengestellt werden, wobei es jedes Modul aufeinander aufbauend in drei bis fünf Größenordnungen geben kann:
- Je nach Standort werden die zu führenden Module definiert.
- Je nach Flächenangebot wird der Umfang eines jeden Moduls definiert.
Auf diese Art und Weise ist es möglich, die Läden mit ein bis max. zwei Personen, prinzipiell sogar völlig ohne Personal zu führen. Nahegelegene Großmärkte eines Verbunds können als „Warenlager“ für die Kleinläden fungieren, wobei eine kurzfristige Warenanlieferung aus den Großmärkten in die kleinen Läden möglich ist. Das Ziel dabei ist ein kostengünstiger, automatisierter Kauf-Akt für den täglichen Bedarf im Non-Food-Bereich bzw. die In-Empfangnahme und/oder Rückgabe von online bezogenen Artikeln. Dazu kann zusätzlich ein Service-Center mit Bedienung für Rückgabe, Reklamationen, Reparaturen etc. integriert werden.
Es sind für dieses Konzept einerseits Stand-alone-Märkte von 300 bis 500 qm Größe im Franchise denkbar oder mit einer Größe von 400 bis 700 qm sogar als Filialen, aber auch mit lediglich 250 bis 300 qm als Verbundstandorte mit anderen Märkten zusammen. Verbundstandorte auf Grundstücken von Discountern oder in Fachmarktzentren können von der vorhandenen Frequenz profitieren, genauso bei einer Integration dieser Läden in Einkaufszentren und Fußgängerzonen. Es ist aber auch genauso möglich, die Sortimente als „Shops in Shops“ in Verbraucher- oder sogar Supermärkten zu führen mit Größenordnungen von lediglich 50 bis max. 150 Quadratmeter, wobei dann wenige Module in den kleinsten Größenordnungen integriert werden.
Detaillierte Ausführungen und Beispiele zu einem solchen Konzept, wie es Amazon in anders strukturierter aber ähnlicher Form wohl gerade entwickelt hat und angeblich auch patentieren lassen möchte, finden Sie als kostenlosen, etwa 20 seitigen Download auf www.ulricheggert.de/kostenlosestudien. (Artikelbild: RFID via shutterstock.com)
Über Ulrich Eggert
Dipl.- Kfm. Ulrich Eggert ist seit über 35 Jahren mit und für den Handel sowie die Absatz- und Konsumgüterwirtschaft beratend und forschend tätig. Bevor er sich als freiberuflich aktiver Unternehmensberater und Forscher niederließ, war er über 30 Jahre für die frühere BBE-Unternehmensberatung GmbH in Köln aktiv. Er ist heute tätig als Handels-, Trend- und Zukunftsforscher, Unternehmensberater, Fach-Autor, Referent und Moderator sowie Organisator vielfältiger Veranstaltungen.
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