Handel im Wandel: Durch die Woche mit Ayhan Yuruk von #Showrooming.

von Kay Ulrike Treiß am 05.September 2018 in Fragebögen, News

Ayhan Yuruk (Bild: Showrooming GmbH/Robert Lehmann)

„Auch wenn viel über Online-Handel geredet wird, finden über 80% der Verkäufe ja immer noch offline statt. Und die Onliner wollen was vom Kuchen abhaben“, sagt Ayhan Yuruk. Er ist der Gründer und Managing Director von #Showrooming und hat gemeinsam mit Visa, Roland Berger und Spielfeld Digital Lab im Mai in Berlin ein Retail Experience Lab eröffnet. Sein Kreativstudio vereint ein internationales Team aus den Bereichen Retail-Strategie, Visual Marketing, Digital Merchandising, E-Commerce, Customer Relationship Management (CRM) und Architektur. Als Creative Director hat Ayhan Yuruk zahlreiche Konzepte und Designs für Showrooms, Laufstege und Geschäfte in London, Mailand und Paris entwickelt und etablierte Marken wie Ermenegildo Zegna, Peek & Cloppenburg und Villeroy & Boch mit seinen Visionen bereichert. Mit #Showrooming hat es sich Yuruk zum Ziel gesetzt, Online-Unternehmen dabei zu helfen, einen stationären Auftritt zu entwickeln, um ihre Markenidentität im Sinne eines Point of Experience in ein reales Markenerlebnis zu verwandeln. Im Fragebogen von Location Insider erfahren Sie, worüber sich der Handelsexperte ärgert und wieso „Technologien die Stores nicht zupflastern“ dürfen.

Location Insider: Wie würden Sie die momentane Situation des stationären Handels in einem Satz beschreiben?

Ayhan Yuruk: Um ganz offen zu sprechen: Der stationäre Handel steht nur noch wenige Schritte vor einer Straßengabelung, von der eine Abzweigung eine Sackgasse ist. Die Entscheidung, wo es langgeht, muss schon ganz bald fallen, doch veraltete Prozesse nehmen den Unternehmern die klare Sicht.

Location Insider: Welcher Tag der vergangenen Woche war der Beste aus Händlerperspektive und warum?

Ayhan Yuruk: Der verkaufsoffene Sonntag war das Highlight der Woche. Das Wetter hat mitgespielt und die Leute waren entspannt in den Malls unterwegs. Wenn wir im Handel solche Tage noch mit emotionalen Aktivitäten verbinden und dem Kunden ein außerordentliches Shopping-Erlebnis bieten würden, wäre der Erfolg noch grandioser. Händler sollten nicht einfach nur ihre Läden aufschließen und auf Besucher warten. Werdet aktiv, bietet dem Kunden einen Mehrwert, zeigt, dass ihr ihn liebt!

Location Insider: Worüber haben Sie sich diese Woche besonders beim Einkaufen im Laden gefreut?

Ayhan Yuruk: Dass ein Ersatzteil auf Lager war, da das heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr darstellt.

Location Insider: Und worüber haben Sie sich geärgert?

Ayhan Yuruk: Dass ich nach dem stationären Vorrat eines Produktes online nicht in Echtzeit suchen konnte. Ich musste die Stores einzeln abtelefonieren. Die Technologie dafür ist schon lange reif und der Kunde auch. Die Händler müssen verstehen, dass sich selbst der loyale Kunde in Zukunft für den gemütlicheren Weg entscheiden wird. Dazu kam aber noch, dass der stationäre Laden einen höheren Preis für dasselbe Produkt aufgerufen hat. So etwas darf es heutzutage nicht mehr geben.

Location Insider: Mit wem wollen Sie nie an der Kasse stehen, wenn Sie Unterwäsche kaufen? Oder kaufen Sie diese deshalb nur online?

Ayhan Yuruk: Ich bin da ziemlich schmerzfrei. Aber da dieser Artikel für mich einen reinen Wiederholungskauf darstellt, bestelle ich in der Tat nur online.

Location Insider: Tante Emma oder Supermarkt?

Ayhan Yuruk: Beide Modelle haben ihre Daseinsberechtigung und diverse Vor- und Nachteile, je nach Situation und der Länge der Einkaufsliste.

Location Insider: Chatbots, Sprachassistenten, Virtual Reality, Internet der Dinge – Welche Technologie optimiert aus Ihrer Sicht das Einkaufserlebnis für Kunden?

Ayhan Yuruk: Technologien dürfen die Stores nicht zupflastern. Sie müssen sinnvoll eingesetzt werden, um die Serviceleistung zu steigern und dem Kunden mehr zu bieten als das reine Produkt. Im Zeitalter des E-Commerce muss der stationäre Store auf Technologien zurückgreifen, um nicht benachteiligt zu sein. Wir sagen immer, das Ladengeschäft darf keinen Nachteil gegenüber dem Onlineshop haben. Jede Branche und jede Marke muss für sich die Technologien selektieren oder kuratieren lassen, die einen echten Mehrwert bieten – für die Kunden, aber auch für die internen Prozesse. In einem Sneaker-Shop darf heutzutage beispielsweise die virtuelle Regalverlängerung nicht mehr fehlen, Augmented Reality als Wegweiser in einer Mall, Virtual Reality für die Reisebüros, um das Reiseziel erlebbar zu machen, oder Chatbots im Servicebereich und auf Booking-Portalen.

Location Insider: Verraten Sie uns Ihr Vorbild im Stationärhandel und warum der alles richtig macht?

Ayhan Yuruk: Alles richtig zu machen, ist schier unmöglich und wird auch nicht erwartet. Wir müssen Fehler machen, daraus Lehren ziehen und die Sache optimieren. Jede Marke muss seinen eigenen richtigen Weg finden. Demnach gibt es Vorbilder im stationären Handel wie zum Beispiel der Samsung Flagship Store in NYC, der den Kunden durch Erlebnisse interaktiv abholt und jeden Besucher registrieren lässt. Zara hat ein Echtzeit-Bestandsverwaltungssystem. Der Verkäufer muss nur ein Preis-Etikett scannen und sieht sofort, ob, in welchen Größen und Farben und in welcher Filiale ein Artikel verfügbar ist. Auch das Warenwirtschaftssystem von Nespresso ist 1A-vernetzt und bietet unter anderem eine Same-Day-Lieferung. Wir helfen unseren Kunden individuell, das richtige Model zu finden und entwickeln das passende Storekonzept.

Location Insider: Ist Ihr Job für Sie Beruf oder Berufung?

Ayhan Yuruk: Wir entwickeln eine neue Generation von Retail, das kann nur Berufung sein! Ich könnte 24/7 damit verbringen Retail-Konzepte und neue Tech-Lösungen zu entwerfen. Mit jedem neuen Auftrag bestätigt sich unsere Vision, die Retail-Welt neu zu gestalten.

Location Insider: Welche Schlagzeile wollen Sie auf keinen Fall über sich im „Handelsblatt“ lesen?

Ayhan Yuruk: Netter Versuch! 🙂

Location Insider: Nehmen wir an, Sie hätten einen Wunsch frei: Wie sähe der stationäre Handel in fünf Jahren aus, wenn Sie es sich aussuchen könnten?

Ayhan Yuruk: Das fragen unsere Kunden auch oft. Wenn wir den Store dann wie eine Art Erlebnispark für Erwachsene konzipieren – ein Ort, an dem man emotional, mit viel Spaß, Überraschung, Service und Entertainment einkaufen kann – schrecken sie manchmal etwas zurück. Wir reduzieren dann ein wenig und voilà: Alice im Wunderland – nur digital verknüpft!

Location Insider: Vielen Dank für die spannenden Antworten!

Lesen Sie auch die vorherigen Fragebögen unserer Serie “Durch die Woche mit…”.


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