Insights zu Corporate Venture Building & Direct to Consumer: Interview mit Peter Henssen.

von Florian Treiß am 19.November 2020 in Interviews, News

„Direct to Consumer (D2C) ist zum einen so spannend, weil die Margen bei einem Direktvertrieb natürlich deutlich höher sind, da der Zwischenhändler oder eben der Vertrieb entfällt. Zum anderen ist es so relevant, weil die Hersteller den direkten Kundenkontakt erhalten – und damit auch Kundendaten“, sagt Dr. Peter Henssen (39). Er ist Co-Gründer und Geschäftsführer bei Pacemakers Digital Ventures (PMDV), einem Corporate Venture Builder, der größeren Mittelständlern und Konzernen hilft, neue Marken und Geschäftsfelder aufzubauen. Wir haben mit ihm über die Vorteile des Corporate Venture Buildings gesprochen. Henssen illustriert den Ansatz unter anderem am Beispiel der Oetker-Gruppe, die mit selbst aufgebauten Durstexpress sowie der Übernahme von Flaschenpost im D2C-Bereich expandiert.

Location Insider: Herr Henssen, Sie haben mehrere eigene Startups gegründet – u.a. sugarhigh (Exit 2013) oder Scherk –, helfen jetzt aber größeren Unternehmen beim Aufbau neuer Geschäftsmodelle und Innovationsvehikel. Wie hilft Ihnen Ihre eigene Erfahrung als Gründer dabei?

Peter Henssen: Persönliche Erfahrungen sind essentiell. Nur wenn man selbst ein paar Mal gegründet hat, kann man andere beim Aufbau von neuen Geschäftsmodellen wirklich gut beraten. Etwas lediglich theoretisch anhand von Powerpoint Slides zu skizzieren oder aber es tatsächlich operativ umzusetzen, sind grundverschiedene Dinge. Beim Aufbau von neuen Geschäftsmodellen ist es vor allem wesentlich, dass man möglichst viele unterschiedliche Geschäftsmodelle gesehen hat und ein Bauchgefühl dafür entwickelt hat, was funktioniert und was nicht. Davon profitieren unsere Kunden und Partner.

Location Insider: Größere Unternehmen haben es oftmals schwer in neue Geschäftsfelder zu expandieren. Was sind dabei die größten Probleme?

Peter Henssen: Größere Unternehmen haben Respekt davor, in Geschäftsfelder zu expandieren, die weit von ihrem aktuellen Kerngeschäft entfernt sind. Zu Recht, denn dafür fehlt ihnen häufig das Know-how und sie wissen nicht, wie man konkret vorgehen sollte. Innovation ist aber ein wiederholbarer, überprüfbarer Prozess und kein Zufall. Wenn ein solcher Prozess einmal etabliert ist, dann lassen sich diese Hürden auch schnell überwinden.

Das größte Problem sehe ich aber in dem oftmals fehlenden Mindset – also vor allem die Akzeptanz einer Fehlerkultur und agiler Arbeitsweisen. Nur wenn diese vorhanden ist, können erfolgreich neue, attraktive Geschäftsfelder erschlossen werden.

Location Insider: Warum reicht es für Unternehmen heute nicht mehr, einfach externe Unternehmensberater für die Lösung ihrer Herausforderungen zu engagieren?

Peter Henssen: Zumindest für den Aufbau von neuen Geschäftsmodellen ist der eben genannte Punkt zu nennen: Unternehmensberater sind eben zumeist keine Gründer, d.h. sie können sicherlich einen Mehrwert stiften, aber eben nur bedingt beim Aufbau und der Umsetzung von neuen Geschäftsmodellen helfen. Ihnen fehlt schlichtweg die operative Erfahrung.

Location Insider: Corporate Venture Building soll etablierten Unternehmen beim Aufbau neuer Geschäftsmodelle helfen. Doch was ist das eigentlich?

Peter Henssen: Corporate Venture Building bedeutet, dass Unternehmen strategisch neue interne Einheiten oder externe Ventures aufbauen. Diese können sehr nah am Kerngeschäft sein, oder auch völlig neue disruptive Geschäftsmodelle einschließen. Große Unternehmen können dabei einen unfairen Vorteil gegenüber Startups erzielen, indem sie ihre bestehenden Vermögenswerte – also bspw. Daten, Kundenbeziehungen, Know-how, Markenrechte – einsetzen, um systematisch neue Geschäftsmodelle und Innovationen hervorzubringen.

Location Insider: Wie geht Ihr eigener Corporate Venture Builder Pacemakers hierbei vor?

Peter Henssen: Wir sind alle selbst Gründer oder haben für namhafte Company Builder wie Rocket Internet gearbeitet und operativ neue Geschäftsmodelle umgesetzt. Über die Jahre haben wir eine Methodik entwickeln können, die auf Erfahrungen basiert und im Grunde eine Systematik vorgibt, wie man neue Geschäftsmodelle baut.

Das Ganze startet mit der „Ideation Phase“, in der wir neue Ideen entwickeln, aber auch mit bestehenden Ansätzen zusammenbringen. Diese werden dann evaluiert, um die vielversprechendsten Ideen für das Unternehmen zu identifizieren.

Sobald eine vielversprechende Idee gefunden ist, folgt die Validierungsphase. In dieser Phase erarbeiten wir zuerst ein detailliertes Geschäftsmodell, was dann auf die Probe gestellt wird. Wir schauen uns dabei immer drei Dimensionen an: den Kundennutzen, die Wirtschaftlichkeit und die Umsetzbarkeit. So testen wir beispielsweise mittels eines Prototyps, ob die von uns erdachte Idee von potenziellen Kunden tatsächlich als nützlich erachtet wird.

Ist das Ergebnis positiv, dann haben wir grünes Licht, um in die operative Umsetzung zu gehen und weitere Investitionen zu tätigen – das heißt, wir überführen das validierte Geschäftsmodell in ein markfähiges Unternehmen, entwickeln das Minimum Viable Product (MVP) und ergreifen die notwendigen Maßnahmen zur weiteren Verbesserung und Skalierung des neuen Ventures.

Location Insider: Unsere Leser kommen aus der Welt des Handels und von Markenherstellern. Können Sie spannende Beispiele für Corporate Venture Building aus diesem Bereich nennen?

Peter Henssen: Ein bekanntes Beispiel aus Deutschland ist sicherlich die Otto Group. Das Unternehmen hat es nicht nur geschafft, mit About You ein international erfolgreiches e-Commerce Venture aufzubauen, sondern arbeitet abseits davon auch an diversen anderen Geschäftsmodellen. Mit collectAI wurde beispielsweise eine Software-Plattform für digitales Forderungsmanagement aufgebaut, die inzwischen nicht nur im Kerngeschäft eingesetzt wird, sondern auch außerhalb des Konzerns sowie in anderen Branchen vermarktet wird.

Aus internationaler Sicht ist auch Amazon ein wunderbares Beispiel dafür, wie es gelingen kann, abseits des Kerngeschäfts neue Potenziale zu erschließen. Das Unternehmen hat es geschafft, aus eigenen Erfahrungen mit IT- und Server-Landschaften ein vielversprechendes Geschäftsmodell zu entwickeln. Inzwischen ist die Amazon-Tochter AWS – ein Anbieter für Cloud Computing – einer der profitabelsten Geschäftsbereiche des Unternehmens.

Natürlich ist auch der von der Oetker-Gruppe – nach dem Vorbild des Wettbewerbers Flaschenpost- aufgebaute Getränkelieferdienst Durstexpress ein gutes Beispiel für Corporate Venture Building in Deutschland.

Location Insider: Wieso? Ist Oetker mit Durstexpress denn nicht gescheitert, wenn es zugleich für angeblich 1 Milliarde Euro Flaschenpost übernimmt?

Peter Henssen: Ganz im Gegenteil. Oetker ist ein Pionier in der Food- & Getränke-Branche in Deutschland. Das Digitalteam aus ehemaligen Gründern, Beratern und Corporate Management hat gemeinsam mit dem Vorstand als eines der ersten Unternehmen in Deutschland das Potential von Direct-to-Consumer für Getränkelieferungen gesehen. Also vom Hersteller direkt zum Konsumenten, während andere Konkurrenten vor allem noch die B2B-Digitalisierung im Kopf hatten, nämlich von Gastronomie und Getränkefachgroßhandel.

Durstexpress war bereits sehr erfolgreich, insbesondere am Standort Berlin. Nach einem erfolgreichen Piloten hat sich Oetker nun mit der Wachstums- und Skalierungsphase des nun erfolgserprobten D2C-Modells auseinandergesetzt und hier auf eine „Buy-Strategie“ statt einer eigenen „Build-Strategie“ gesetzt. Durch den Zukauf ist Oetker nun also quasi Monopolist in Deutschland für D2C-Getränkelieferung. Durstexpress kann somit vielmehr als sehr erfolgreiches Pilot-Programm gesehen werden.

Location Insider: Nicht nur die Oetker-Gruppe, zu deren Portfolio ja auch Getränkemarken wie Radeberger, Jever, Schöfferhofer und Selters zählen, setzt auf D2C. Wieso ist Direct to Consumer denn generell so spannend für Hersteller?

Peter Henssen: D2C ist zum einen so spannend, weil die Margen bei einem Direktvertrieb natürlich deutlich höher sind, da der Zwischenhändler oder eben der Vertrieb entfällt. Zum anderen ist es so relevant, weil die Hersteller den direkten Kundenkontakt erhalten – und damit auch Kundendaten. Dies gibt ihnen wiederum die Möglichkeit, die Kundenbedürfnisse besser zu verstehen und neue Produkte näher am Kunden zu entwickeln. Nehmen Sie beispielsweise das Online-Magazin Into The Gloss, das es geschafft hat, eigene Kosmetik gemeinsam mit dem Kunden zu entwickeln und diese in einem D2C-Modell zu vertreiben. Wenn Sie sich überlegen, dass dieses Unternehmen inzwischen zum Unicorn aufgestiegen ist – also zu einem Unternehmen mit einer Bewertung von mehr als 1 Milliarde Euro – warum soll das im Getränkemarkt nicht auch möglich sein?

Außerdem mindert D2C für Hersteller wie Oetker die Gefahr, auf fremden Vertriebskanälen schlechter platziert zu werden als beispielsweise die Eigenmarken des Einzelhandels. Da haben D2C-Geschäftsmodelle einen erheblichen Vorteil, denn der Hersteller behält die volle Kontrolle über die Platzierung der eigenen Produkte.

Location Insider: Wo sehen Sie ansonsten spannende Zukunftstrends für Hersteller und Handel, um neue Geschäftsfelder zu erschließen?

Peter Henssen: Wie in nahezu allen Branchen, sehen wir auch im Handel seit Jahren, dass die Erwartungshaltung der Konsumenten erheblich ansteigt. Das ist natürlich eine Herausforderung, doch hieraus entstehen ebenfalls vielversprechende Chancen, sich als Hersteller oder Händler mit innovativen Lösungsansätzen zu differenzieren.

Viele Konsumenten wollen Marken und Produkte möglichst nah und authentisch erleben. Neue Technologien können in diesem Fall dabei helfen, das Erlebnis für den Konsumenten noch besser zu machen – beispielweise durch die Hyperpersonalisierung von Produkten.

Ein weiterer wichtiger Trend ist die Neo-Ökologie – also die wieder stark zunehmende Bedeutung von Nachhaltigkeit in der Gesellschaft. Diese manifestiert sich sehr stark im Handel. Unternehmen müssen hier innovative Lösungen finden, um Produkte, Herstellung und Handelswege so nachhaltig und transparent wie möglich zu gestalten. Auch hier bieten D2C-Ansätze sicherlich spannende Möglichkeiten.

Als letzten Punkt möchte ich noch mal auf den Offline-Handel eingehen. Aktuell sehe ich hier noch viel Potenzial, das Kundenerlebnis weiter zu verbessern. Dabei denke ich etwa an smarte Check Out-Technologien oder den Einsatz von KI, um ganz neue Services zu ermöglichen. Hier werden wir in nächster Zeit sicherlich noch viele spannende Ansätze sehen.

Location Insider: Vielen Dank für das ausführliche Interview!


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