„Jetzt wird das Geschäft wieder abgewürgt“: Brotgefuehle-Gründerin im Interview.

von Kay Ulrike Treiß am 09.Dezember 2021 in Interviews, News

Wir von Location Insider haben zum Jahresende Händlerinnen und Händler nach ihrem persönlichen Jahresfazit gefragt. Kleinere Händlerinnen wie Martina Faßbender, Chefin der glutenfreien Bio-Backmanufaktur Brotgefuehle in Leipzig, hatten und haben im Corona-Jahr 2021 besonders zu kämpfen. Ehrlich und ernüchtert spricht sie im Interview über das ablaufende Jahr.

Location Insider: Welche schönen oder erfolgreichen Momente hatte das Jahr 2021 aus Händlerperspektive und warum?

Martina Faßbender: Das waren die Wieder-Öffnung nach dem längeren Lockdown im Frühjahr und gut gelaunte Kunden. Endlich wieder verkaufen können. Endlich wieder Besuch von Touristen in der Stadt.

Location Insider: Gab es in 2021 auch Momente/Ereignisse, die Ihr Unternehmen belastet haben?

Martina Faßbender: Lockdown-bedingt haben wir leider viele Tage schließen müssen – weil zu wenige Kunden in die Innenstadt kamen. Das Geschäft war nicht mehr rentabel. Wir konnten nicht alle Mitarbeiter halten.

Location Insider: Mit welchen Erwartungen gehen Sie ins Weihnachtsgeschäft?

Martina Faßbender: Ich hatte gehofft, wieder neue Mitarbeiter einstellen zu können. Aber jetzt wird das Geschäft wieder abgewürgt, da der vierte Lockdown statt findet. Nur mit staatlichen Subventionen ein Business zu betreiben, macht keinen Spaß mehr.

Location Insider: Haben Sie vielleicht sogar überlegt, sich beruflich in eine andere Richtung zu orientieren?

Martina Faßbender: Ja, aus der Innenstadt raus, um den hohen Mieten zu entkommen.

Location Insider: Verraten Sie uns Ihr Vorbild im Handel, die/der Corona mit neuen Ideen und Kreativität erfolgreich getrotzt hat?

Martina Faßbender: ….mmmhh. Leider fallen mir nur Negativbeispiele ein wie Amazon, das gleichzeitig Krisengewinner ist. Oder Douglas, die Präsenzgeschäfte in die Insolvenz führen, dann Mieten für ausgesuchte Geschäftslagen neu und nach unten verhandeln, und schlussendlich ihren Store mit neuem Gesellschafter weiter betreiben…

Location Insider: Welchen Rat oder welche Lehre bzw. Erkenntnis nehmen Sie mit ins neue Jahr?

Martina Faßbender: Der Betrieb eines Geschäfts in Innenstadtlage ist mit höchsten Risiken verbunden. Nur durch hohe Eigenleistung kann man den Risiken z.T. entkommen und das Business voranbringen. Das Geschäft in der Innenstadt ist auf Dauer nicht mehr rentabel. Die Mieten sind zu hoch – und damit ist die Rendite zu gering. Als inhabergeführtes Geschäft auf Mindestlohnniveau zu kommen ist dabei eine wahre Herausforderung.

Location Insider: Wie sieht der Handel in 2022 aus?

Martina Faßbender: Aufgrund des neuen Lockdowns ist fraglich, wieviele inhabergeführte Einzelhändler das überleben werden. In der Konsequenz erwarten wir leere Geschäfte. Große Kettengeschäfte in der Innenstadt werden vermutlich auch restrukturieren oder schließen. Es wird noch langweiliger, shoppen zu gehen. Innenstädte werden immer austauschbarer. Ob man in Leipzig oder Dortmund in die Innenstadt geht – alles sieht gleich aus: H&M, Rossmann, dm, Barber-Shop, Nagelstundio, Bubble Tea Laden, nächster Modeladen (natürlich Kette), nächster Schuhladen (natürlich Kette)…

Kleine kreative Einzelgeschäfte wie z.B. Brotgefühle (glutenfreie, vegane Bio-Backmanufaktur), kleine Taschenläden, attraktive Boutiquen etc. wird es wahrscheinlich nur noch ganz vereinzelt geben. Die Attraktivität nimmt immer weiter gravierend schnell ab.

Location Insider: Vielen Dank für die spannenden Antworten!

Lesen Sie auch die Jahresrückblicke von Johann Kiener, Geschäftsführer der Witt-Gruppe und Jan Sperlich, Gravis-Chef.


Newsletter abonnieren

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter von Location Insider. Wir liefern darin täglich gegen 11 Uhr business-relevante Hintergründe zur Digitalisierung des Handels.

Hiermit akzeptiere ich die Datenschutzbestimmungen.

Artikel teilen