Kundennähe geht nur dezentral.

von Partnerunternehmen am 19.Februar 2021 in News, Trends & Analysen

Von Wolfgang Kirsch

Wenn stationäre Handelsketten umgebaut werden, setzen deren Top-Managements vielfach reflexhaft auf Zentralisierung. Erst kürzlich hat sich Handelsforscher Gerrit Heinemann in Bezug auf meinen Ex-Arbeitgeber bei Business Insider in diese Richtung geäußert: Die Geschäftsführer vor Ort und die dezentrale Struktur seien das Problem. In Wahrheit ist es aus meiner Sicht genau andersherum. 

Wieso überhaupt Zentralisierung?

Es gibt viele Dinge, die durch Zentralisierung besser oder effizienter werden: Der Onlineshop zum Beispiel, Buchhaltung, Abrechnung sowie der Großteil des Marketings und des Einkaufs. Zentrale Systeme können zudem Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dabei helfen, ihre Arbeit dezentral besser zu machen: Durch schnellen Zugriff auf die Bestände anderer Filialen und des Onlineshops, die Kaufhistorie des Kunden aus allen Filialen, einfache und schnelle Erledigung von Bestellungen usw.

Warum ist Dezentralität trotzdem wichtig?

Echte Kundennähe geht aber nur dezentral. Die Kundinnen und Kunden sind dezentral, ihre Wünsche sowieso (denn jeder Mensch hat eigene) und die schlussendliche Transaktion – ob Kauf im Laden oder Lieferung der Ware an die Haustür – auch. Es ist daher aus meiner Sicht essenziell für den Erfolg von Einzelhandel, ihn dezentral zu denken und aufzusetzen. Wie sowas toll umgesetzt aussieht, zeigen die dezentralen Lebensmittler wie Edeka – sie ergänzen bewusst die Milch von Bärenmarke durch die lokale Marke, die Äpfel aus Südtirol mit denen aus der Region. Und ganz selbstverständlich gibt es in Pfälzer Edekas eine große und lokale Weinauswahl und in den bayerischen lokale Biere. Auch in anderen Ländern gibt es tolle Beispiele dafür, dass dezentral besser ist, z.B. Leclerc in Frankreich, deren Franchise-Hypermarchés deutlich erfolgreicher agieren als die zentral gesteuerten Wettbewerber Auchan und Carrefour. Das alles spricht überhaupt nicht gegen zentrale Prozesse – aber diese haben eben am Ende nicht Vorfahrt. Wenn ein zentraler Prozess einem Kundenwunsch im Wege steht, muss der Kundenwunsch „gewinnen“. Das ist für mich Dezentralität.

Wie erreicht man Dezentralität?

Damit in einem großen Unternehmen Dezentralität funktionieren kann, braucht es an den Außenstellen Entscheidungsbefugnisse und Entscheidungsfreude. Ich kann nicht vom einfachen Verkäufer oder der Verkäuferin verlangen, kompromisslos kundenorientiert zu denken, wenn seine Vorgesetzte oder sein Vorgesetzter sich lediglich als Umsetzer zentraler Vorgaben versteht. Die Idee, Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer an den Läden zu beteiligen ist die Konsequenz dieser Denkweise. Und ich finde das auch heute noch einen guten Kompromiss aus Eigenverantwortung und Einbindung. Es ist dabei zu jederzeit klar, wer das Sagen hat – und man zieht trotzdem die unternehmerischen Typen an, die es braucht, um für Kunden erfolgreich zu sein.

Reine Abarbeiter sind so oder so überhaupt nicht mehr zeitgemäß.

Über den Autor:

Wolfgang Kirsch ist einer der anerkanntesten Experten für Consumer-Electronics und Handel in Europa. Er war für viele Jahre Geschäftsführer der MediaMarktSaturn Retail Group und arbeitet heute als Berater für Händler, Hersteller und Private Equity Unternehmen sowie als Senior Advisor bei der Unternehmensberatung McKinsey. Kirsch ist an mehreren Startups beteiligt, zum Beispiel an der Vitaboni AG, wo er auch als Aufsichtratsvorsitzender agiert. Vitaboni bietet nachhaltige Kapseln mit Bio-Kaffee für das Nespresso-System an.


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