„Mit Mut und Entschlossenheit voran“: Interview mit Wolf-Jochen Schulte-Hillen zur Corona-Krise.

von Kay Ulrike Treiß am 22.April 2020 in Interviews, News

„Ein ‚Back to Normal‘ wird es meines Erachtens garantiert nicht geben“, sagt Wolf-Jochen Schulte-Hillen, Gründer von SH Selection. Der Grand Seigneur des deutschen Handels bewertet für Location Insider die aktuelle Lage im Handel während der Corona-Krise. Schulte-Hillen fängt derzeit aus seinen umfangreichen internationalen Kontakten Tendenzen und Best Practices ein und gibt uns ein Bild für das „Übermorgen“ im Handel. Dabei gilt auch künftig, wie von ihm schon 2017 für uns geschrieben, dass der Kunde in den Mittelpunkt gehört.

Location Insider: Bei Facebook haben Sie gepostet: „CORONA – Brandbeschleuniger für überholte Geschäftsmodelle / NEW RETAIL –  Let’s move forward with High Speed!“. Was meinen Sie damit?

Wolf-Jochen Schulte-Hillen: Ich halte Geschäftsmodelle, die sich nicht intensiv mit der digitalen Realität und dem Strukturwandel im stationären Einzelhandel beschäftigt haben und die sie nicht umsetzen wollen oder können, für nicht überlebensfähig.

Auch die Unternehmen, die sich bereits IT-mäßig gut aufgestellt haben, müssen sich an das rasante Tempo der Entwicklung vor allem im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) gewöhnen und das eigene Geschäftsmodell regelmäßig überprüfen.

Location Insider: Könnte eine gut aufgestellte Handelsbranche im digitalen Bereich Insolvenzen verhindern bzw. fehlende Stationär-Umsätze kompensieren?

Wolf-Jochen Schulte-Hillen: Es kommt ganz sicher zunächst auf das passende Waren- und Dienstleistungsangebot an. Ich bin sicher, dass der gekonnte digitale Einsatz wie in der Covid-19-Zeit, Insolvenzen verhindern wird.

Die Covid-19 Gewinner im stationären Non-Food-Bereich sind nicht nur die Händler, die ohnehin eine gut funktionierende Omnichannel-Struktur haben. Und/oder diejenigen, die sich sofort nach dem Shutdown u.a. der Klaviatur der sozialen Medien bedient haben und je nach Zielgruppe per WhatsApp, Instagram, YouTube, Tik Tok, Newsletter, Podcasts etc. ihre Kundenbindung aufrecht erhalten und sogar gefördert haben. Andere Händler haben zu ihren Stammkunden telefonisch Kontakt aufgenommen, Termine zur Verkaufsberatung abgestimmt und durchgeführt und mit Kunden gemeinsam abgestimmte individuell kuratierte Angebote geliefert, Pick-Up und Delivery Services organisiert. Auch die große Bereitschaft, an schnell eingerichteten Stadt- und Regionalportalen teilzunehmen, zeichnet die Fast Mover aus. Zwar konnte mit solchen Mitteln der stationäre Umsatz nicht gehalten werden, dafür aber die Kundenbindung als Bonus für die Zukunft optimiert werden.

Als sichtbare Neuerungen konnte ich zudem die Zunahme von Cashless Payment, Security-Einrichtungen zum Schutz des Personals usw. feststellen.

Location Insider: Was raten Sie Händlern?

Wolf-Jochen Schulte-Hillen: Durch die Wiedereröffnung des stationären Geschäftes ist den Händlern, die sich jetzt erstmals mit den neuen Distributionskanälen intensiv beschäftigt haben (mussten), deutlich zu raten, diesen neuen Weg nicht zu verlassen. In Zukunft ist der Verkauf auf den verschiedenen Kanälen unabdingbar. „Seinen“ Kunden auf allen Kanälen erreichen zu können, ist die Königsdisziplin. Wenn der Händler das erreicht hat, dann hat er eine erfolgreiche Zukunft sicher, unabhängig von Krisen.

Location Insider: Was macht Ihnen Mut und Hoffnung in dieser so schwierigen Zeit?

Wolf-Jochen Schulte-Hillen: Die Händler, die ohnehin sich den Bedingungen des „New Retail“ rechtzeitig angepasst haben und jetzt schnell umschalten konnten, um auch schwierige Phasen zu überstehen, werden überleben. Andere werden es wohl kaum schaffen, auch wenn es Überbrückungsgelder gibt. Das gilt im Übrigen auch für Shopping-Center.

Ein „Back to Normal“ wird es meines Erachtens garantiert nicht geben. Aber die Tendenzen, die international schon länger sichtbar sind und von mir mehrfach vorgetragen wurden, werden sich durchsetzen. Wie etwa:

  • Nachhaltigkeit
  • KI in der gesamten Wertschöpfungskette
  • den Kunden in den Mittelpunkt stellen
  • Verkaufspersonal auf Kunden-Augenhöhe zu trainieren
  • an Sortimenten sorgfältig zu feilen
  • Verkaufsräume zu Destinationen zu machen

Gute internationale Beispiele zeigen mir, dass man damit auch in schweren Krisenzeiten bestehen kann. Man muss nicht unbedingt Amazon heißen…

Location Insider: Vielen Dank für die positiven und spannenden Impulse!

Weitere Interviews rund um die Corona-Krise u.a. mit ECE-Geschäftsführerin Joanna Fisher, Fashion-Experte Sebastian Rieder und Payment-Profi Christine Bauer finden Sie hier.


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