Mobile Payment im Handel – geht’s irgendwann los in Deutschland?
von Markus Gärtner am 10.November 2016 in News, Payment, Trends & AnalysenDie Warteschlange an der Kasse des Supermarktes ist wohl gefühlt einer der größten Lebenszeitkiller: Geld oder Karte rauskramen, PIN eingeben oder aufs Wechselgeld warten, nachzählen, „Brauchen sie den Bon?“ Dabei wäre es so einfach: Smartphone raus, hinhalten – zack, fertig. Das ist zumindest das Idealbild der Branche – aber noch nicht das des Kunden, wie es zumindest in Deutschland den Anschein hat. Denn 70 Prozent der Deutschen haben noch nie kontaktlos bezahlt, hat eine PriceWaterhouseCoopers-Umfrage offenbart. Und rund ein Drittel will auch in Zukunft nichts davon wissen. Die Vorbehalte liegen vor allem im Datenschutz und der Sicherheit: 85 Prozent glauben, dass beim Mobile Payment Daten gehackt oder missbraucht werden könnten. Auch die unübersichtliche Anzahl an Methoden (NFC, Bluetooth,…) und Anbietern dürfte ein weiterer Faktor für das Ausbremsen sein. Das Unternehmen GFT sagte schon 2012 den weitflächigen Start von mobile Wallets voraus – vier Jahre später ist man fast noch beim Status Quo von damals. Als Gründe vermutet GFT u.a. zu wenig Mehrwert und ein zu komplizierter Einstieg für den Kunden, außerdem zu wenige Terminals im Handel. Dafür sollen bald Anbieter aus China wie Alipay und Firmen aus Skandinavien auf den deutschen Markt stoßen, so die jetzige Prognose im Whitepaper „Mobile Payment 2016“. Die Autoren betonen die Wichtigkeit der gemeinsamen Kooperation – auch wenn die verschiedenen Akteure – Banken, Händler, IT-Unternehmen etc. – natürlich verschiedene Ziele und unterschiedliche Business-Modelle verfolgen.
Dabei muss jedem aufmerksamen Nutzer klar sein, dass das Smartphone mit seiner Durchdringung fast aller Lebensbereiche in absehbarer Zeit auch zum Portemonnaie werden wird. GFT prognostiziert für 2019 ein mobiles Transaktionsvolumen von mehr als 1 Billion US-Dollar.
Aktuelle Beispiele zeigen das Dilemma des Mobile Payment. Die Telekom, eigentlich mit einem enormen Kundenstamm ausgerüstet, kündigte Anfang der Woche an, ihre Bezahl-App MyWallet dichtzumachen. Grund: Die schleppende Entwicklung des mobilen Bezahlens in Deutschland und die fehlende Kooperation der Banken. Die Nutzerzahl lag laut Angaben des Unternehmens im niedrigen fünfstelligen Bereich. Der Dienst war 2014 in Deutschland gestartet. Zuvor hatte schon der Telefonkonzern Telefónica O2 seinem Handy-Bezahldienst M-Pass den Laufpass gegeben.
McDonalds hingegen will seinen Kunden in den USA Bezahlen via Smartphone erleichtern und hat ebenfalls in dieser Woche eine entsprechende App gestartet. Nur ist das eben die Einzellösung eines Unternehmens und kein übergreifendes Standardmodell für alle Händler und Kunden. Das Fehlen eines solchen Standards ist eine der weiteren Hürden für eine breite Nutzung. NFC (Near Field Communication) ist zu instabil und schließt etwa alle Apple-Nutzer aus – eine gutsituierte Käuferschicht, auf die kein Händler verzichten möchte. Apple selbst hingegen plant schon seit einiger Zeit den Start seines Mobile-Payment-Dienstes Apple Pay in Deutschland. Wann genau er kommen wird – unklar. Der Konzern muss mit jeder Menge Banken verhandeln, die sich nicht unbedingt als Treiber der Entwicklung hervortun – siehe Telekom. Bei unseren Nachbarn in Frankreich und der Schweiz läuft der Dienst bereits. Und in den USA unterstützen 90 Prozent der Banken Apple Pay. Der Vorteil bei dieser Art Mobile Payment: Wie auch bei Samsung oder Android ist der Service ein Feature des Smartphone-Betriebssystems, kein Extra-Dienst für den der Nutzer sich erst noch registrieren oder auf eine neue Kreditkarte warten muss.
Nötig ist also ein breiter Konsens zwischen Nutzern, Anbietern und anderen beteiligten Unternehmen über die Relevanz, Sicherheit, technische Struktur und Umsetzung eines Systems. Hoffnungsvoll schauen bei letzterem viele Experten auf die so genannte Host Card Emulation (HCE), eine Technologie zur Virtualisierung von Chipkarten in NFC-basierten mobilen Bezahlverfahren. Eine Bezahl-App wäre nicht mehr auf physische Sicherheitsmodule angewiesen und daher unabhängig vom Gerät selbst, die Kunden müssten nicht ständig die neueste Version der Gerätehardware anschaffen, um möglichst sicher bezahlen zu können. Das Konsortium GS1 Germany versucht branchenübergreifend Standards für mobile Bezahlverfahren zu schaffen.
Kleiner Lichtblick ist die in diesem Jahr gestartete App Payback Pay, die ihren Mehrwert daraus zieht, dass sie kein reines Bezahlverfahren ist, sondern im Rahmen des Payback-Programms auch zum Sammeln von Bonuspunkten dient und so immerhin bei den teilnehmenden Händlern einsetzbar ist und man nicht für jede Filiale eine eigene App braucht. Payback hat nach eigener Aussage über 8 Mio aktive App-Nutzer. Die Praxis des schlichten Mobile Payment wird langfristig verschwinden, meint Jan Wolter von Applause. Stattdessen kommen „stabil und sicher entwickelte, gut designte und umfassend getestete Mobile-Engagement-Plattformen, die Nutzern ein nahtloses Einkaufserlebnis bieten“ – wie eben die Payback-App. Auch der mögliche baldige Start von Apple Pay könnte ein kleiner Weckruf im Dornröschenschlaf von Mobile Payment in Deutschland sein.
In unserer Serie „Future Commerce“ beleuchten wir jeweils donnerstags eine Innovation, ihre Möglichkeiten und Auswirkungen auf den stationären Handel. Bisher sind erschienen:
- Sensorkameras – Analytiker an der Ladendecke.
- Indoor Navigation – Digitale Wegweiser im Laden-Labyrinth
- Kleine Sender mit großen Erwartungen – was können Beacons?
- Geofencing im Handel: Den Kunden locken, aber mit Zurückhaltung.
- Zeitsparer oder Preistreiber – Elektronische Preisschilder im Handel.
- Wie kann Big Data im stationären Handel helfen?
- Wie Virtual Reality im Handel den Kunden in neue Welten führt
- Pokémon Go – Wie kleine Monster dem Handel helfen können
- Wie können Chatbots dem Handel helfen?
- 3D-Druck – Chancen und Risiken für den Handel
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