Trotz Jahrhundertflut: NeueTischkultur arbeitet weiter an innovativen Handelskonzepten.
von Matthias Hell am 07.Januar 2014 in Local HeroesNeueTischkultur ist nicht zuletzt deshalb eine besonders spannende Handels-Story, weil hier die Herkunft des Geschäfts mit der an den Tag gelegten Innovationsbereitschaft in einem reizvollen Kontrast steht: Der Online-Händler ist gewissermaßen der Webshop des bereits seit 1980 bestehenden, in der sächsischen Kleinstadt Döbeln beheimateten Fachgeschäfts Tischkultur Kretschel. Juniorchef Rico Kretschel baut das Online-Geschäft seit 2008 unter dem Namen NeueTischkultur.de auf und sorgte bereits in einem früheren „Local Heroes“-Beitrag für Aufsehen: Der Unternehmer hatte unabhängig von ähnlichen Initiativen der großen E-Commerce-Anbieter mithilfe von im Schaufenster platzierten QR-Codes den Einkauf auch außerhalb der Ladenöffnungszeiten ermöglicht und 2012 die Mischung aus Showroom und QR-Shopping im Rahmen eines saisonalen Konzeptstores weiter optimiert. Für 2013 plante Kretschel für den stationären Handel kleinformatige Shop-in-Shop-Module, die dem Sortiment von NeueTischkultur zusätzliche Reichweite verschaffen sollten.
Daran, dass im vergangenen Jahr dann doch alles anders kam, hat vor allem die Natur Schuld: Die Innenstadt von Döbeln, in welcher sich auch das Stammhaus von NeueTischkultur befindet, liegt auf einer Insel inmitten der Freiburger Mulde und wurde von dem „Jahrhunderthochwasser“ im Juni voll erfasst. „Zu diesem Zeitpunkt hatte unser neuer Konzeptstore, der der Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit mit den stationären Händlern in der Region sein sollte, gerade einmal zwei Wochen geöffnet“, berichtet Rico Kretschel gegenüber Location Insider. Sowohl in dem 190 qm großen Tischkulturgeschäft wie auch in dem nebenan gelegenen, 30 qm kleinen Konzeptstore, standen die Regale daraufhin mehr als einen Meter tief im Wasser. Es entstand dadurch ein Schaden von mehr als 200.000 Euro. Den Rest des Jahres verbrachte Kretschel mit dem Wiederaufbau des Stammgeschäfts sowie damit, das Versandgeschäft von NeueTischkultur wieder in Gang zu bringen. Für Gedanken an zukunftsweisende Innovationen war da nicht mehr viel Platz.
Positive Erfahrungen mit dem Konzeptstore
Dass seine Geschäftspläne buchstäblich „ins Wasser fielen“, bedauert Kretschel aus zweierlei Gründen – zum einem wegen des materiellen Schadens, zum anderen aber auch deshalb, weil der Konzeptstore ausgesprochen vielversprechend anlief. In dem kleinen Geschäft bot der Sachse eine eingedampfte Version seines Online-Sortiments an und setzte dabei ausschließlich auf die Warenpräsentation. Diese wurde auf verschiedenster Ebene mit Verbindungen ins Web ergänzt: durch QR-Links zu den entsprechenden Online-Produktseiten, durch Tablets mit Video-Demonstrationen zu den ausgestellten Produkten sowie durch QR-Codes im Schaufenster.
Wie Kretschel berichtet, seien die Erfahrungen in den zweieinhalb Wochen bis zum Juni-Hochwasser dabei durchwegs positiv gewesen: So seien die geringeren Kosten in dem überschaubaren Showroom in einem attraktiven Verhältnis zu den erzielten Umsätzen gestanden. Bei den Kunden habe das neue Handelskonzept für Neugier gesorgt und es dem Verkaufspersonal erleichtert, ins Gespräch zu kommen. Zudem hätten sich die Verkäufer noch besser auf die Beratung konzentrieren können, da ihnen per Tablet jederzeit sämtliche Informationen wie Produktbeschreibungen oder lieferbare Artikelvarianten zur Verfügung gestanden hätten. „Außerdem konnten wir ein höheres Service-Niveau bieten“, erklärt Kretschel: „Die Kunden gingen ohne Ware nach Hause und bekamen diese stattdessen angeliefert, bei Elektrogeräten wie beispielsweise einer Espressomaschine auch inklusive Aufbau und Altgeräteentsorgung. Zudem konnten die Kunden über die Ladenöffnungszeiten hinaus unseren Online-Kundenservice nutzen.“
Stationäre Pläne stehen 2014 erneut auf der Tagesordnung
Der nächste Schritt wäre bei dem Konzept die Einbindung regionaler Handelspartner gewesen. „Wir hätten zum Beispiel in einem Weingeschäft, das keine Gläser führt, zwei laufende Meter Glas ausgestellt, die per QR-Code bestellbar gewesen und innerhalb von 48 Stunden nach Hause geliefert worden wären.“ Nach dem gleichen Muster hätte auch das Weingeschäft anderen Händler-Partnern eine Sortimentsauswahl als Shop-in-Shop-Modul angeboten. „Wir hätten das wie ein Portal aufgezogen“, erklärt Kretschel, der damit zusätzlich in eine Dienstleisterrolle geschlüpft wäre. Der Sachse ist überzeugt, mit seinem Konzept eine der wichtigsten Zukunftsfragen im Handel zu adressieren: „Es gibt heute zu viele Flächen und zu viele Kosten, aber zu kleine Umsätze.“ Deshalb will Kretschel seine Pläne auch nach dem Hochwasser nicht aufgeben und hat sich das Thema für 2014 erneut auf die Fahnen geschrieben.
In einem Punkt hat der Chef von NeueTischkultur jedoch dazugelernt: Er will künftig nicht mehr alles als Einzelkämpfer angehen. Denn vieles von dem, was Kretschel im kleinen Döbeln ausprobiert, wäre im aufgeregten Berlin schnell als Multichannel-Revolution gefeiert worden. Das Interesse an den Plänen des erfindungsreichen Sachsen ist aber auch so inzwischen sowohl in der Tischkultur-Branche wie auch in Online-Kreisen hoch. Seit vergangenem Herbst ist NeueTischkultur mit einem eigenen Store auf eBay vertreten und kann sich auch weitere Kooperationsschritte mit dem E-Commerce-Riesen vorstellen. Und betrachtet man die Begeisterung für das Thema QR-Shopping, sollte es nicht wundern, wenn NeueTischkultur in der eBay-Tochter PayPal einen Seelenverwandten findet.
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