Online-Handel für Lebensmittel: Warum Service das Maß aller Dinge ist.
von Gastautor am 21.Februar 2019 in Highlight, News, Trends & AnalysenSerien auf Knopfdruck oder Same-Day-Delivery des bestellten Geburtstagsgeschenks: Guter Service wird heutzutage vor allem mit Geschwindigkeit gleichgesetzt. Unser Gastautor Marcus Naumann vom Frankfurter Strategiestudio child erläutert, inwiefern guter Service die Geschwindigkeit schlägt und wie Anbieter diese Herausforderungen meistern können.
Obwohl der Lebensmittelhandel von der Aussage „Online ist das neue Normal“ noch meilenweit entfernt ist und die Umsatzzahlen hinter den enormen Wachstumserwartungen herhinken, gibt es schon einige Nutzergruppen, die das Prinzip Lebensmittel-Onlineshopping für sich entdeckt haben: Etwa das berufstätige Paar, das Wert auf regionale Bio-Produkte legt und sich deshalb einmal pro Woche die Gemüsekiste vor die Tür stellen lässt. Oder die städtische Familie ohne Auto, die für ihren Wocheneinkauf und die schweren Getränkekisten auf einen Lieferservice zurückgreift.
Die Krux mit der Zeit: Wenn Timing (nicht) alles ist
Grundsätzlich steigt die Bereitschaft, Lebensmittel im Netz zu kaufen, analog zur Summe, die ein Haushalt für Lebensmittel ausgibt. Wer viel Geld ausgibt, muss viel Geld verdienen, und wer viel verdient, hat wenig Zeit, so lautet die Kausalkette zur Erklärung von ziemlich jedem Convenience-Produkt. Und doch ist genau der Faktor Zeit und damit verbunden auch das Thema Logistik die Krux des Lebensmittel-Onlineshoppings: Online-Handel mit Lebensmitteln ist nur dann interessant, wenn der Kunde seine Bestellung am selben oder spätestens am nächsten Tag erhält. Sobald das Zeitfenster für die Lieferung mehr als 48 Stunden beträgt, ist die vermeintliche Zeitersparnis hin – der Konsument muss dann doch selbst einkaufen.
Online-Supermärkte müssen zum On-Demand-Händler werden: Nur wer Same-Day-Delivery leisten kann und den Couscous pünktlich zum Abendessen liefert, wird langfristig erfolgreich sein. Ob die Anbieter die Lieferung über eigene Flotten abwickeln, wie bei Rewe, oder über externe Logistikdienstleister wie DHL, ist für den Konsumenten letztlich irrelevant. Hauptsache es geht schnell.
„Erfolgreich zugestellt“…in der nächsten Postfiliale
Wäre Schnelligkeit allein das Erfolgsrezept, müssten die auf Geschwindigkeit getrimmten Anbieter wie InstaCart oder GetNow den Markt eigentlich im Handumdrehen erobern – tun sie aber nicht. Denn natürlich ist es seitens der Händler nicht damit getan, die bestellte Ware zügig an den Logistikpartner zu übergeben. Die Zustellung an den Kunden ist oftmals ein ebenso ungelöstes Problem. Zum einen ist die Lieferung in der Regel mit Versandkosten verbunden und deshalb für viele ein Grund, Lebensmittel nicht online zu bestellen. Zum anderen stellt die Übergabe der Bestellung in die richtigen Hände eine Herausforderung für Händler wie Logistikpartner dar: Der Komfortvorteil, sich nach der Arbeit nicht an der Supermarktkasse anstellen zu müssen, wird mit einer Lieferung bei dem leider abwesenden Nachbarn oder in der nächsten Postfiliale umgehend zunichte gemacht.
Nicht zu unterschätzen: Rituale und Inspiration
Lebensmittel ausschließlich online zu kaufen bedeutet auch, das Ritual aufzugeben, auf dem Weg zwischen der Arbeit und dem Zuhause etwas Konkretes vorzuhaben. Viele Konsumenten wissen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, was sie am Abend essen wollen — Inspiration zu bieten ist sicher ein Kernvorteil der Supermärkte. In vielen ländlichen Gegenden spielt auch das Thema Verbundenheit eine wichtige Rolle: Im Laden trifft man auf bekannte Gesichter und erlebt beiläufig und ungezwungen seine Nachbarschaft und Umgebung.
Größter Konkurrent eines Online-Supermarktes ist nicht ein anderer oder stationärer Anbieter, sondern eine leichtere Lösung, um satt zu werden, etwas zwischen Büro und Zuhause zu tun zu haben, Inspiration zu finden, Menschen zu treffen und sich lokal geerdet zu fühlen. Folglich müssen Online-Händler andere Mittel und Wege finden, um bei den Konsumenten zu punkten und um sich erfolgreich gegen den klassischen Supermarkt zu positionieren.
Vom Lieferservice zum Homeservice
Online-Supermärkte können den Vorteilen des stationären Handels nur dann Paroli bieten, wenn sie eine neue Beziehung zum Kunden aufbauen. Ein Supermarkt sollte sich von einem Ort, zu dem man geht, hin zu einem Service, den man bekommt, wandeln – und zwar digital. Dabei geht es um mehr als die reine Bestellung und Anlieferung. Aus einem „Lieferservice” muss ein „Homeservice“ werden. Das Haus ist als funktionierende Einheit zu sehen, für dessen reibungslosen Ablauf man nun mitverantwortlich ist. Homeservice bedeutet, sich zu überlegen, welche neuen Dienstleistungen man andocken kann, wenn man den Zugang zur Haustür des Kunden erst einmal erobert hat. Wäscheservice, Pfandrückgabe, Müllentsorgung, Küchenutensilien – Service-Expansion ist nicht neu, allerdings geht es in diesem Fall um das Selbstverständnis. Dieses Selbstverständnis interpretieren Anbieter ganz unterschiedlich: So profitiert beispielsweise Amazon Fresh als einer der prominentesten Online-Lieferanten von der Infrastruktur und den langjährigen und fundierten Kundenbeziehungen seines Mutterkonzerns Amazon. Und so könnte Amazon Fresh, zumindest in der Theorie, in Windeseile Homeservice-Provider werden. Dafür sprechen u.a. die zunehmende Verbreitung und Weiterentwicklung der Amazon-Echo-Geräte und deren Funktionen sowie Akquisitionen wie die des Herstellers von Haussicherheitssystemen Ring. Schnelle Lieferung ist über Amazon Prime bereits ohnehin gang und gäbe.
Ein anderes Beispiel und ein echter Angreifer im Markt ist PicNic. Der Online-Supermarkt mit Gratis-Lieferung baut eine neue Art Wertschöpfungskette zum Kunden auf. Im Zentrum stehen drei Bausteine: Ein Zentrallager mit Anschluss zu (lokalen) Händlern und Anbietern. Eine mobile App, die als ‚Remote-Bestell-Device‘ zu verstehen ist. Und eine Lieferflotte, die bewusst und clever nicht mit einem Paketlieferanten verwechselt wird. PicNic bezeichnet sein Logistik-Konzept als neuen Milchmann und versucht durch Regelmäßigkeit eine Beziehung aufzubauen. Die Fahrer fahren jeden Tag die gleiche Strecke und nehmen sozusagen immer neue Kunden hinzu – und bauen so persönliche Beziehungen zu den Kunden auf. Und das ist der Kern des Service-Gedankens.
Einen ganz anderen Weg gehen Mealkit-Anbieter, hier mit dem deutschen Vorzeige-Start-Up HelloFresh. Lebensmittel im Webkontext als vorportionierte Kochboxen zu begreifen, ist sehr schlau. Eine Kochbox ist der nötige Serviceschritt und bietet die Möglichkeit, einen festen Platz im Haus zu erobern. Das Modell ist von Haus aus ein Abo-Modell, denn Kontinuität ist entscheidend. Auch hat HelloFresh viel mehr Hebel, regelmäßig mit dem Kunden in Kontakt zu treten, sich als Partner zu beweisen und so eine Beziehung aufzubauen. Bestandskunden in Zukunft auch noch Joghurt und Müsli fürs Frühstück mit an die Tür zu bringen, ist auch nicht mehr weit hergeholt.
Die Chance von Online-Supermärkten liegt letztlich darin, sich nicht als Ort zu verstehen, von dem aus etwas verschickt wird, sondern als Service, den Kunden in Anspruch nehmen können. Natürlich sind auch bei den Bestrebungen von Amazon Fresh, HelloFresh & Co. die Komfortfunktionen die kritischen Komponenten, weil Nutzer nicht vom Produkt selbst beeinflusst werden, sondern von den vielen Produktwirkungen drum herum – den „Layers of Experience”. Letztlich ist es jedoch an den Online-Supermärkten, diese mit Hilfe von passenden Services positiv zu gestalten.
Über den Autor:
Marcus Naumann verantwortet die Strategie und inhaltliche Führung der Kunden des Strategiestudios child in Frankfurt am Main mit Schwerpunkt Organisationsberatung, Retail-Innovation und e-Commerce.
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