Self Checkout & Self Scanning: Das Selbstkassieren nimmt Fahrt auf.

von Peter Wagner am 16.August 2019 in Highlight, News, Payment, Trends & Analysen

Selfscanning nimmt Fahrt auf. (Foto: Shutterstock)

Lange Schlangen in Geschäften werden zunehmend zu einem kritischen Erfolgsfaktor für das Wachstum des stationären Einzelhandels. Wie der Adyen Retail Report Europa aus dem Jahr 2018 herausgefunden hat, sind in Deutschland Umsatzeinbußen in Höhe von 6,7 Milliarden Euro allein auf Warteschlangen zurückzuführen: Wer zulange warten muss, bricht den Kauf ab. Self Checkout, Self Scanning und Läden komplett ohne Kassierer sollen Schlangen vermeiden. Eine Leseprobe aus dem Whitepaper „Payment-Trends für Händler, Marken & Finance“ von GS1 Germany und uns.

Bei Discounter ALDI beispielsweise hat die Optimierung der Kassendurchlaufzeit höchste Priorität. Das Einsparen von Millisekunden, die Beschleunigung, mit der Kunden kassiert werden gerechnet auf Kasse und Filiale bedeuten jährlich mehrere Millionen Euro an Effizienzgewinnen. Dementsprechend unterwirft sich auch das Design der Produktverpackungen: Strichcodes werden sehr prominent abgebildet, damit der Scanvorgang noch schneller funktioniert.

So sind Self Checkout an fest installierten Kassen sowie mobiles Self Scanning zu magischen Begriffen für den Einzelhandel geworden. Was dahinter steckt, sind verschiedene Methoden, um Personal von den Kassen abziehen zu können und an anderer Stelle einzusetzen. Konsumenten sind dann in der Lage, ohne Kassierer zu bezahlen.

Self Checkout in der Kassenzone

Die einfachste Form des Self Checkout ist eine Art Selbstbedienungskasse direkt in der Kassenzone. Kunden bedienen dort selbst den Kassenscanner und bezahlen ihre Waren anschließend. Falls es Probleme gibt, steht ein Mitarbeiter zur Verfügung. Etabliert ist dies zum Beispiel schon seit vielen Jahren beim Möbel­haus IKEA oder beim Sportfachhändler Decathlon, wobei die Kunden dort jeweils noch die Wahl zwischen der klassischen Kasse mit Kassierer oder dem Self Checkout haben. In manchen Filialen von REWE wiederum gibt es das in Form einer Express­kasse: Wer 15 Artikel oder weniger kaufen möchte, kann sich hier selbst schnell auschecken.

In den USA oder Großbritannien ist das bereits schon seit Jahren gang und gäbe. Einzelhändler wie Tesco und Sainsbury‘s sind den Konkurrenten weit voraus. Migros und Coop in der Schweiz haben Self Checkout ebenfalls erfolgreich eingeführt: Etwa jeder vierte Kunde nutzt inzwischen diese Möglichkeit. Ein positives Beispiel dafür, wie gut der Ansatz funktioniert. Warum ist Self Checkout dann noch nicht richtig in Deutschland angekommen? Eine Umfrage von Trendmonitor Deutschland im Jahr 2018 fragte nach der Aufgeschlossenheit der Deutschen gegenüber neuer Einkaufstechnologien im Lebensmittelhandel. Rund 56 Prozent der befragten Per­sonen bewerteten den Trend zu Selbstscanner-­Kassen als positiv. Weitere 43 Prozent zeigen sich sogar aufge­schlossen gegenüber „digitalen Supermärkten“ komplett ohne Kasse wie etwa Amazon Go in den USA.

Der digitale Supermarkt

Noch traut sich allerdings kaum ein Händler an komplett kassenlose Läden heran. Ein Ansatz, der aber immer häufiger zur Anwendung kommt, ist das mobile Self Scanning direkt am Regal: Das Kaufen funktioniert dann meist, in dem der Kunde mit seinem Smartphone oder einem vom Händler zur Verfügung gestellten Handheld, den Barcode eines Produkts abscannt oder hierfür die Kontaktlos-Funktion NFC nutzt. Bei Saturns Smartpay-App beispielsweise, die in einer großen Filiale in Hamburg zum Einsatz kommt, muss der Kunde am Ende lediglich zu einer Expresskasse gehen, um dort die Waren entsichern zu lassen und den Einkauf zu bestätigen. Das Bezahlen kann man auf dem Weg zur Kasse bequem mit der App vornehmen. Insgesamt hat das gesamte Verfahren lediglich vier Stufen. Ähnlich macht das auch der Freizeitmarkt Knauber. Getestet werden vergleichbare Lösungen von Hornbach, Edeka, REWE und anderen Retailern. Dabei kommen Apps z.B. von den Startups Snabble oder Scansation zum Einsatz. Zuletzt konnte Snabble den Möbelhändler Ikea für einen Test seiner Lösung gewinnen.

Diese Lösungen sind schon sehr komfortabel, entlasten die Kassen und das Personal zugunsten verringerter Warte­zeit für den Verbraucher. Komplett nahtloses Einkaufen ganz ohne Kassenerfahrung am Ende ist aber das, was den digitalen Supermarkt der Zukunft auszeichnet.

Seamless Checkout

Dieses auch „Seamless Checkout“ genannte Verfahren bedeutet für Verbraucher: In den Laden gehen, sich die Ware nehmen und nach Hause zu gehen. Der niederländische Lebensmittelfilialist Albert Heijn hat mit seinem seinem „Tap to Go“-System auf NFC-Basis dabei sogar die Notwendigkeit abgeschafft, bei einem Kassen­automaten am Ende Halt zu machen und die Einkäufe zu bestätigen. Dadurch wurde die Checkout-Zeit auf 20 Sekunden reduziert.

Der intelligente Store

Noch einen Schritt weiter gehen Läden, bei denen Kun­den die Artikel nicht mal mehr scannen müssen: Mithilfe von Kameras, Sensoren, Algorithmen, RFID und künstlicher Intelligenz geschieht die Abrechnung vollautomatisch. Kunden authentifizieren sich am Eingang per Code oder Gesichtsscan und können dann ohne weitere Aufwände einfach Waren in ihre Taschen stecken. Die intelligenten Systeme erkennen, ob Waren zurückgestellt werden und welche Produkte im Einkaufswagen landen. Verlässt der Kunde den Laden, wird alles automatisch abgerechnet.

JD ist dabei derzeit der führende Anbieter: In über 20 personallosen X-Marts können Verbraucher in Asien bereits einkaufen ohne gesonderten Kassiervorgang. Der Umsatz der unbemannten Geschäfte an einem Jubiläumstag des chinesischen Technologieriesens soll 600 Prozent über den Vergleichsfilialen gelegen haben.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Amazon Go in den USA. Und Amazon will sein System nicht nur selbst nutzen, sondern auch Retailpartnern anbieten. Dabei bekommt es Konkurrenz von dem jungen Tech-Startup Sensei, das mit Unterstützung der Metro Group im Prinzip dasselbe macht wie Amazon, dabei allerdings auf kostspielige Sensoren verzichtet und allein auf die KI und Bilderkennung setzt. Wie viele andere Lösungen auch befindet sich Sensei noch in der Testphase. Auch das gestern vorgestellte Konzept Grab & Go von Wirecard verfolgt einen ähnlichen Ansatz.

Dieses Einkaufen ohne jegliche Hürden scheint für viele noch gespenstisch, doch die Potentiale sind unvorstellbar groß. Hier steht eine Welt in den Startlöchern, in der sich für viele Kunden der Akt des Einkauf­ens zunehmend nahtlos in den Alltag integriert.

Kundengold

Egal ob nun Self Checkout an stationären Kassen, mobiles Self Scanning oder vollautomatisierte Läden, der wahre Nutzen für Unternehmen, die solche Lösungen nutzen, entfaltet sich auf der Ebene der Nutzerdaten: War der Kunde am POS bisher anonym, zieht man jetzt gleich mit den Vorteilen des Online-Handels. Dort weiß man, woher Kunden kommen, was sie sich wie lange anschauen, was sie regelmäßig oder nur einmalig erwerben. Anhand der neuen Systeme für den stationären Einzelhandel kann das Kaufverhalten am POS besser kategorisiert, individuelle Angebote erstellt und spezielle Kundenbedürfnisse befriedigt werden.

Viel weiter führt das, wenn Bilderkennung, Sensorik und künstliche Intelligenz hinzukommen: So lassen sich beispielsweise Heatmaps erstellen und Laufwege für bestimmte Kundenklassen oder Zeiträume identifizieren. Ladenpersonal weiß nun, wann an welcher Stelle etwas fehlt und nachbestellt und eingeräumt werden muss. Auch für das Ladendesign selbst lassen sich so neue Erkenntnisse gewinnen.

Auch die Kette 7Eleven erprobt bereits vollautomatisierte Läden ohne Personal wie hier in Taipeh. (Bild: PeiQi Teh/Shutterstock.com)

Diese Einsichten in das Verhalten der eigenen Kunden sind das echte Gold der technologischen Neuerungen, die Self Checkout, Self Scanning und Seamless Checkout begleiten. Personal wird dabei nicht überflüssig werden, ganz im Gegenteil: Fachkräften im Geschäft kommen andere Aufgaben zu, die Effizienz und Effektivität der geschäftlichen Aktivitäten steigen.

Läden, die komplett auf Self Checkout, Self Scanning oder Seamless Checkout setzen, dürften in Deutschland jedoch zunächst die Ausnahme bleiben. Wir werden aber immer mehr Geschäfte mit einer „Zwitter-­Lösung“ sehen, wo sowohl klassische Kassen mit Kassierer zum Einsatz kommen als auch Selbstkassierlösungen, die anfangs sicher eher von Millennials und Digital Natives genutzt werden. Das machen einige First Mover wie Decathlon, IKEA, REWE oder Saturn bereits erfolgreich vor.

Zusammenfassung

  1. Immer mehr Händler setzen Lösungen ein, bei denen der Kunde seine Einkäufe selbst erfasst und bezahlt. Diese reichen von Selbstscanner-Kassen am Ausgang (stationär installiertes Self Checkout) bis hin zu ortsunabhängigen Lösungen, bei denen der Kunde direkt am Regal seine Waren mit einem Mobilgerät erfasst (mobiles Self Scanning). Dadurch steigern Händler ihre Effizienz und können Mitarbeiter von der Kasse abziehen, um sie andernorts einzusetzen.
  2. Intelligente Läden wie Amazon Go in den USA oder die X-Marts von JD in China gehen noch deutlich weiter und verzichten komplett auf das Scannen der Produkte. Stattdessen geschieht die Erfassung der Einkäufe z.B. über Sensoren, Kameras und künstliche Intelligenz komplett im Hintergrund. Schnelleres Auschecken bedeutet einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber Läden mit Warteschlangen.
  3. Die durch solche Lösungen gewonnenen nutzer- und warenbezogenen Daten helfen Händlern dabei, ihr Sortiment, Ladendesign und Verständnis der eigenen Kunden zu verbessern. Dadurch können Verkaufs-, Promotions- und Logistikprozesse optimiert werden.

Lesetipp

Dieses Beitrag erschien zuerst im Whitepaper „Payment-Trends für Händler, Marken & Finance: Zahlungssysteme und Mehrwertdienste für eCommerce und POS“ von GS1 Germany, Location Insider und mobilbranche.de und wurde für die heutige Online-Veröffentlichung aktualisiert. Lesen Sie in dem Whitepaper zudem folgende Themen:

  • Ba-Bing! Mobile Payment auf dem Vormarsch
  • Wallet-Apps: Die neue Heimat für Kundenkarten und Coupons
  • Digital Identity: Mit einem Account auf diversen Websites einloggen
  • Kurz-Interviews mit Experten von Adyen, CCV und NCR

Das Whitepaper „Payment-Trends für Händler, Marken & Finance“ können Sie hier kostenlos herunterladen!


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