Sollten Händler die Technik von Amazon Go lizensieren?

von Stephan Lamprecht am 11.März 2020 in Kommentar, News

Amazon bietet die Technologie seiner kassenlosen „Go-Stores“ jetzt in Lizenz auch anderen Händlern an. Dazu hat das Unternehmen auch unter dem Motto Just Walk out eine eigene Website online gestellt, die aber eher Fragen aufwirft, als welche zu beantworten. Schmallippig gibt sich der Konzern auch, wenn es darum geht, die Händler zu nennen, die laut eigener Mitteilung bereits eine Lizenz erworben haben.

Wenn Amazon eine Neuigkeit vermeldet, erinnern viele Medien an die Deutschstunde, in der Gedichte interpretiert werden. Da gibt es ja immer einen, der seine mündliche Note dadurch aufpoliert, dass er nur das wiederholt, was der Lehrer ohnehin schon gesagt hat. So lautet der Tenor einiger Artikel, dass man ja schon immer prophezeit habe, dass Amazon seine Technologie in Lizenz vergeben wird. Daraus hat das Unternehmen allerdings nie ein Geheimnis gemacht, wenn man denn in den vergangenen Jahren auch andere Quellen gelesen hat, als das WSJ und den Business Insider.

Andere bauen regelrechte Luftschlösser. Da ist dann die Rede von einem milliardenschweren Business, das ähnlich groß sein könnte wie Amazon Web Services (AWS), die Cloudlösung von Amazon. Das ist natürlich insofern Quatsch, als noch nicht bekannt ist, was denn die Technologie in Lizenz eigentlich kosten soll. Genauso wenig steht fest, wie skalierbar Technologie und Geschäftsmodell überhaupt sind. Abgesehen davon, dass der Kundenkreis deutlich kleiner ist, als für eine universell einsetzbare Rechenplattform in der Cloud. Dazu müsste man wiederum nur verstanden haben, was denn AWS überhaupt so kann.

Was ist mit Personal, Bargeld und Datenschutz?

Halten wir uns also an die Fakten, die Amazon auf der eigens eingerichteten Website mitteilt. Und hier gibt es dann doch einige offene Punkte. Beginnen wir beim Anfang, nämlich dem Drehkreuz. In den eigenen Stores identifizieren sich die Kunden mittels der Amazon-App. Schließlich müssen Kameras und die Künstliche Intelligenz ja die vom Kunden aus dem Regal genommenen Artikel erkennen und abrechnen. Dies soll in den Läden von Dritten etwa durch eine Identifikation mittels Kreditkarte oder Debitkarte erfolgen. Nur was ist mit dem Kunden, die aus welchen Gründen auch immer, keine Lust darauf haben, ihre Karten in einen Türöffner zu stecken, von dem auch bekannt ist, dass er sie identifiziert? Und wie soll die Bezahlung mit dem Mittel Bargeld ablaufen? Schließlich gibt es ja in den USA inzwischen auch einige Verpflichtungen für Amazon, in seinen kassenlosen Geschäften Bargeld zu akzeptieren. Soll das Betreten des Geschäftes also an den Besitz einer Karte gekoppelt sein? Kaum vorstellbar, dass Händler freiwillig auf einen Teil der potentiellen Kunden verzichten, nur um kassenlos verkaufen zu können.

Auf der Website wird auch die Frage gestellt, was denn mit dem bisher eingesetzten Personal ist. Laut Amazon wird dies weiter benötigt, etwa um Regale aufzufüllen, den Kunden zu begrüßen oder für die Beratung. Offen gelassen wird dagegen, welchen Vorteil Händler gerade in Hinblick auf den Abbau von personellen Ressourcen haben. Gäbe es den nicht, würde die Lizenz der Technologie nur dazu führen, dass das Unternehmen lediglich für das stromlinienförmigen Einkaufserlebnis der Kunden eine (noch) nicht bekannte Menge Geld investiert. Angesichts der wichtigsten Frage eher riskant.

Die eigentliche Motivation dürfte Datenhunger sein

Die aus meiner Sicht wichtigste Frage, die Amazon weder stellt, noch beantwortet, lautet, warum Händler eigentlich Amazon in die eigenen Filialen hereinlassen sollten. Damit sind wir beim Thema Daten. In der FAQ der Website verweist Amazon darauf, dass Daten lediglich erhoben und solange verarbeitet werden, wie diese für die Erstellung der Kaufbelege notwendig sind. Weitere Details folgen natürlich nicht.

Man muss aber schon sehr naiv sein, um nicht zu erkennen, dass exakt diese Daten für Amazon mehr als interessant sind. Schließlich offenbart sich dem Unternehmen, das ja gleichzeitig in vielen Bereichen direkter Konkurrent des Händlers ist, zu welchen Preisen an welchem Ort Artikel besonders gut laufen. Wo also ein entsprechender Bedarf besteht, wie sich das Einkaufsverhalten im Zeitverlauf entwickelt. Da die Kunden im Laden verfolgt werden: Wird Amazon diese Daten auch mit anderen Quellen abgleichen, um Kunden zu identifizieren? Und sollte der Kunde im Zweifel eines Tages via PSD2 Amazon auch den Zugriff auf sein Bankkonto gegeben haben, wäre das für das Marketing des Unternehmens natürlich unbezahlbar.


Newsletter abonnieren

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter von Location Insider. Wir liefern darin täglich gegen 11 Uhr business-relevante Hintergründe zur Digitalisierung des Handels.

Hiermit akzeptiere ich die Datenschutzbestimmungen.

Artikel teilen