Strategien für stationäre Händler im Umgang mit Amazon & Co.

von Gastautor am 28.August 2018 in Highlight, News, Trends & Analysen

Von Olaf Rotax (dgroup)

Der Handel unterlag in den letzten Jahrzehnten immer wieder Paradigmenwechseln: Lange standen das Geschäft und dort das Produkt im Mittelpunkt, es galt den Kunden mit einem möglichst großen Sortiment zu inspirieren und Kaufbedürfnisse zu wecken. Die Digitalisierung, also die Optimierung bestehender Geschäftsprozesse und die Etablierung neuer Prozesse bei Verwendung moderner Informationstechnologien, hat das Einkaufsverhalten jedoch nachhaltig verändert: der Fokus liegt heute auf dem Kunden und dessen Einkaufserlebnis.

Amazon und Co. haben das früh erkannt und sind dank zahlreicher Services aus dem Kundenalltag nicht mehr wegzudenken. Sie sind den meisten traditionellen Händlern hierzulande weit voraus. Amazons Lieferoptionen sind beispielsweise perfekt in den Kundenalltag integrierbar. So können Kunden sich einen Wunschtermin mit eingegrenztem Zeitfenster für die Lieferung auswählen, ein Teil des Sortimentes kann innerhalb von wenigen Stunden bzw. eines Tages geliefert werden. Während Amazon hierzulande zudem gerade seine eigenen Packstationen ausbaut, geht es in den USA bereits einen Schritt weiter – hier werden Bestellungen in den Kofferraum des Kunden geliefert, egal wo er sich gerade befindet. Egal was, egal wo, egal wann: Der Kunden kommt nicht mehr zum Produkt, sondern das Produkt zu ihm.

Herausforderungen

Diese Entwicklung bereitet den traditionellen Händlern große Sorgen. Sie fürchten mit dem Tempo, der kompetitiven Preispolitik sowie den Omnichannel-Services der großen Plattformanbieter nicht mithalten zu können. Das eigene Marketingbudget scheint oft zu niedrig, um den Kunden für die eigenen Kanäle begeistern zu können. Darüber hinaus geht die Frequenz in den stationären Einkaufstätten immer mehr zurück, Mieten steigen, es gibt zu wenig Parkplätze und der POS als Einkaufskanal wird generell in Frage gestellt. Die Optionen, den Handel von Grund auf neu zu gestalten, erscheinen zu groß und aufwändig, um damit schnelle Erfolge verzeichnen zu können. Die größten Herausforderungen sind hierbei die bestehenden Infrastrukturen und Prozesse. Sei es die eigene IT oder die Logistik – oder die Sortimentsprozesse, die sich nur bei enormen Aufwand flexibilisieren lassen. Und selbst dann hätten sie nur annährend die Schnelligkeit á la Amazon – kanalübergreifend, kundenfokussiert und nahezu in real-time.

Handlungsoptionen

Die Plattform-Ökonomie sollte von Händlern als Türöffner verstanden werden (Bild: Shutterstock)

Plattformen wie Amazon sollten jedoch nicht nur als potentielle Gefahr und Gatekeeper gesehen werden, sondern als eine Art Türöffner für den initialen Kundenkontakt. Die Herausforderung: den Kunden für die Folgekäufe direkt über die eigenen Kanäle abzuholen. Dies kann über exklusive Sortimente, wertstiftende Services und durch das Erzeugen positiver Erlebnisse erreicht werden. Ein Plus für die Händler: Für viele Kunden ist der stationäre Handel an sich relevant, wenn es um die Bedürfnisse der sofortigen Mitnahme oder um haptische, emotionale Aspekte geht. Wichtig ist sich bewusst zu machen, dass der Kaufprozess heute über alle Kanäle hinweg geschieht. Egal, ob der Kunde während seiner Customer Journey (seines Informations- und Kaufprozesses) über die mobile App, den Online-Shop, das Callcenter oder am POS mit dem Unternehmen in Kontakt tritt – die Angebote müssen aufeinander abgestimmt sein.Doch wie lässt sich das für die Händler umsetzen?

  1. Zunächst einmal sollte der Händler sein Alleinstellungsmerkmal finden und seine relevante Zielgruppe identifizieren, um das Einkaufserlebnis und die Services an deren Bedürfnissen auszurichten und sich eindeutig zu positionieren. Der Sportbekleidungshersteller Lululemon zeigt in seinem neuen Store in Silicon Valley wie das funktioniert: Das stationäre Sortiment umfasst u.a. limitierte und nur online exklusiv erhältliche Teile, die dann aus dem Laden heraus nach Hause bestellbar sind – der Laden wird zum Showroom. Zudem wird In-Store Technologie genutzt, um digital Produktinformationen analog zum Online-Kanal zur Verfügung zu stellen, sowie produktnahe Services wie inspirierende Laufrouten. Der Fokus liegt hierbei auf dem Storytelling und der Vermittlung der Markenbotschaft.
  2. Anstatt neue Konzepte lange in der Theorie zu entwickeln und den Erfolg abzuwägen ist Experimentierfreude gefragt. Nur wer neue Konzepte schnell am Markt testet und sich Kundenfeedback einholt, kann sukzessive erfolgreiche und für den Kunden nutzstiftende Prozesse und Leistungen umsetzen.
  3. Zudem ist es für die Händler nicht zwangsläufig notwendig, gleich zu Beginn große Investitionen in technische Eigenentwicklungen oder den Aufbau neuer Prozesse und Fähigkeiten zu tätigen – es empfiehlt sich vielmehr, bereits bestehende Lösungen anderer Unternehmen wie Start-Ups zu nutzen, mit diesen zu kooperieren und bereits bestehende Services gemeinsam weiterzuentwickeln. So testet beispielsweise Walmart gemeinsam mit dem Start-Up Alert Innovation eine Robotic-Lösung, die es ermöglichen soll den Pick Prozess von Click & Collect Bestellungen zu optimieren und so die Wartezeit des Kunden gegen null zu optimieren, unabhängig von seinem Bestellzeitpunkt. Ein weiteres Beispiel ist MediaSaturn: Das Unternehmen hat seinen Piloten des „ersten kassenlosen Stores“ in Europa mit dem Start-Up MishiPay in einem Pop-Up Store in Innsbruck umgesetzt, um die Technologie auszuprobieren und weiterzuentwickeln. MishiPay erlaubt es dem Kunden Ware selbständig zu scannen und anschließend per App zu bezahlen (bspw. via PayPal), es werden weder eine Kassenzone noch Personal für den Prozess benötigt. Nach erfolgreicher Beendigung der ersten Testphase plant der Händler bereits eine Weiterentwicklung des Konzeptes inkl. der Umsetzung eines neuen Piloten.

Fazit

Online-Shopping ist ein dynamischer Markt. Wenn Händler schneller werden, brauchen sie ihn nicht scheuen (Bild: Shutterstock)

Amazon & Co. stellen eine Herausforderung für stationäre Händler dar. Sie passen sich in hoher Geschwindigkeit den sich in unserem dynamischen Internet-Zeitalter sehr schnell verändernden Kundenbedürfnissen an. Anstatt zu verzagen, sollten Händler dies als Impuls sehen sich neu zu definieren, zielgruppengerechte Services anzubieten und so ein positives Gesamt-Erlebnis für den Kunden zu schaffen. Passend dazu empfiehlt es sich, Partner für mögliche Kooperationen und die Bereitstellung von „fertigen“ Lösungen zu identifizieren und diese schrittweise zu testen. Nur die Händler, die den Kunden konsequent in den Fokus ihres Handels stellen, ein positives Erlebnis und echte Mehrwerte schaffen, werden sich gegen die Ökosystemanbieter behaupten können.

Über den Autor

Olaf Rotax ist Gründer und Managing Director der dgroup aus dem globalen Accenture-Netzwerk.


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