Was Ceconomy, die SPD und viele Fußballvereine gemeinsam haben.

von Gastautor am 28.Oktober 2019 in Highlight, Kommentar, News

von Nils Seebach, etribes.

Man ist es zwar mittlerweile gewohnt, schlechte Nachrichten über einstige Pfeiler des deutschen Einzelhandels zu lesen – aber die Führungskrise bei MediaMarkt-Saturn-Mutterkonzern Ceconomy, die zuletzt wieder hochgekocht ist, hat mich schon irgendwie überrascht. Und nicht, weil ich davon ausging, dass es dem erst im Frühjahr bestellten Chef Jörn Werner im Handumdrehen gelingen würde, den Konzern zum Erfolg zurückzuführen: Solche Aufgaben sind ja nicht mal eben erledigt. Ganz im Gegenteil: Und gerade, weil die Aufgabe, einen Konzern in dieser Größe zu sanieren, einiger Zeit bedarf, habe ich eben nicht erwartet, dass er nach bloß sieben Monaten wieder geschasst werden würde.

Wir erinnern uns: Erst zu Anfang März dieses Jahres war Werner vom Aufsichtsrat bestellt worden. Ihm weichen mussten langjähriger Konzernleiter Pieter Haas samt Finanzvorstand, deren Amtszeiten ruhmlos nach einem Hagel von Gewinnwarnungen ein unvermitteltes Ende gesetzt wurde. Nun, gerade sieben Monate später, darf Werner ebenfalls den Posten räumen.

Nicht wenige werden sagen: „Wer das Schwert ergreift…“ – und dies als alltägliches Vorstandsdrama interpretieren, wie es das eigentlich nur in der deutschen Wirtschaft mit so viel Sturm und Drang, so viel Emotion und Pathos gibt: gestern die Epik „Piëch und Winterkorn“ oder die Tragödie namens „John Cryan“, heute das etwas billigere Melodrama „Werner“. Wiederum andere werden kopfschüttelnd aufführen, dass der Werner halt nicht geliefert habe und deswegen gehen müsse. Normal. Es sei ja klar: Er sollte den Konzern endlich verschlanken, fürs digitale Zeitalter fit machen und so wieder auf Wachstumskurs bringen. Das habe er halt nicht gemacht. Man könne sich folglich nicht wundern, wenn der gefeuert wird.

Aber gerade letztere Ansicht müssen wir einem kurzen Realitätscheck unterziehen: Was kann ein einzelner Mensch in sieben Monaten eigentlich erreichen? Wie viel Zeit sollte man realistisch für die vollständige Sanierung und digitale Transformation eines Großkonzerns einplanen? Sagen wir es mal so: Ein volles Geschäftsjahr hat nach wie vor zwölf Monate. Eine normale Schwangerschaftsdauer liegt bei neun Monaten. Selbst eine Bundesligasaison dauert länger als ein so verkürzte Amtszeit.

Apropos Bundesliga: Bei solchen Personalquerelen und -rochaden, bei stetigen Wechseln an der Spitze, Stuhltänzen, Reisen nach Jerusalem und sämtlichen anderen Metaphern, die immer wieder in den Meldungen zu solchen Änderungen in Unternehmensführungen auftauchen, muss ich immer an Fußball denken. Nicht, weil ich der größte Fan aller Zeiten bin, sondern deswegen, weil außerhalb von Großkonzernen nur da – und vielleicht in der Politik – dieselbe irrige Annahme herrscht, dass man bei anhaltendem Misserfolg nur so lange immer wieder die Führungspersönlichkeit austauschen muss, bis der Wendepunkt erreicht wird und die goldenen Zeiten wieder anbrechen.

Es gibt unter meinen Lesern bestimmt den einen oder anderen Hobby-Bundesliga-Historiker, der mir ein genaues Beispiel dafür liefern kann, aber den Satz kennen wir doch alle von der alltäglichen Sportberichterstattung: „Nach einer weiteren Niederlage gegen Union Schießmichtot musste der Trainer von Eintracht KeineAhnung seinen Hut nehmen. Das ist der dritte Wechsel an der Spitze der unten in der Tabelle dümpelnden Mannschaft seit Saisonbeginn…“

Oder nehmen wir mal die Politik: Hat einer die genaue Abfolge von SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten der letzten zehn Jahre noch parat? Weiß irgendwer noch, wie viele das überhaupt gewesen sind? Dieselbe Frage könnte man den CDU-Landesverband in Hamburg fragen.

Ob Fußball, Politik, oder Wirtschaft: Es ist so verständlich wie logisch, dass die als ‚Sanierer‘ bestellten Spitzenkräfte sich die Klinke in die Hand geben, solange sich an der Substanz der Mannschaft/der Partei/des Unternehmens nichts ändert – oder solange sie keine Zeit haben, solche strukturelle Änderungen anzustoßen. Ich meine, was soll ein einzelner Manager in sieben Monaten bei einem immer noch vorwiegend stationär aufgestellten Händler ausrichten, dessen Segment schon zu knapp 15 Prozent von Amazon abgedeckt wird? Man beruft ja einen Menschen in den Vorstand, keinen Magier.

Jedenfalls: Ein Unternehmen, das über Jahre strategisch (gelinde gesagt:) nicht mehr ganz zeitgemäß ausgerichtet wurde und nicht gerade konsequent digitalisiert wurde, kurzfristig zu optimieren ist leider nicht möglich. Egal wie ‚hart‘ oder ‚entschlossen‘ der Sanierer: Ohne die Zeit und Ressourcen, echte, im heutigen Commerce relevante Assets aufzubauen und das Unternehmen von lästigem Legacy zu lösen, ist er von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Eine Konzernspitze falsch eingestellt? Okay, kann schonmal passieren. Eine zweite Wahl ging daneben? Vielleicht sollte man als Aufsichtsrat seine Strategie überdenken. Aber eine dritte Berufung in nur wenigen Monaten, nachdem Nummer Zwei gehen musste? Nicht die Vorstände waren das Problem, sondern die Aufsichtsräte! Bevor also Ceconomy noch einmal einen neuen Topmanager einstellt, wäre die Führungskrise wahrscheinlich schon damit ein Stück weit gelöst, wenn der komplette Aufsichtsrat erst einmal ausgetauscht würde.

Über den Autor:

Nils Seebach ist Digital-Unternehmer, -Stratege und -Innovator. Als Serien-(Co-)Gründer von zwei Dutzend Unternehmen und Berater für digitale und E-Commerce-Strategien arbeitet er aktiv an der Digitalisierung Deutschlands. Heute ist er vor allem als CFO der strategischen Digitalberatung Etribes, Gründer der Wald & Wiese Holding und als Aufsichtsrat der Phoenix Pharma SE tätig.


Newsletter abonnieren

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter von Location Insider. Wir liefern darin täglich gegen 11 Uhr business-relevante Hintergründe zur Digitalisierung des Handels.

Hiermit akzeptiere ich die Datenschutzbestimmungen.

Artikel teilen