Was die Coronakrise für Baumärkte bedeutet: Interview mit BHB-Hauptgeschäftsführer Dr. Peter Wüst.

von Kay Ulrike Treiß am 16.April 2020 in Interviews, News

Bei Baumärkten ist die Situation in der Coronakrise besonders unübersichtlich: In manchen Bundesländern dürfen sie geöffnet bleiben, in manchen nicht. Am Wirrwarr dürften auch die Ergebnisse der Telefonschalte gestern zwischen Bund und Ländern wenig ändern. Insgesamt sind derzeit etwas weniger als ein Drittel der Bau- und Gartenmärkte geschlossen, erzählt Dr. Peter Wüst. Er ist Hauptgeschäftsführer des BHB – Handelsverband Heimwerken, Bauen und Garten e.V. und spricht für eine Branche, die in Deutschland mit rund 480.000 Beschäftigten vergangenes Jahr einen Umsatz von 19,46 Milliarden Euro erzielte. Er freut sich, dass viele Menschen in der Coronakrise „entdecken, dass ein ‚Dach über dem Kopf‘ nicht selbstverständlich ist und gepflegt werden muss“ – und deshalb neue Projekte in Haus und Garten starten. Dennoch: Selbst bei Baumärkten, die derzeit geöffnet sind, führen die gestiegenen Sicherungsmaßnahmen „zu einer deutlich geringeren Kundenfrequenz und damit zwangsläufig zu weniger Umsatz“.

Location Insider: Wie sehr trifft die Corona-Krise die Bau- und Gartenmärkte?

Peter Wüst: Auch die Bau- und Gartenfachmärkte sind seit Beginn des Ausnahmezustandes durch die Corona-Krise von deren Auswirkungen betroffen. Durch die Restriktionen in einzelnen Bundesländern sind aktuell etwas weniger als ein Drittel der rund 4.200 Bau- und Gartenfachmärkte geschlossen. Die Kosten für die oft filialisierten Unternehmen laufen weiter und sind – der Größe der Betriebsflächen geschuldet – sehr hoch.

Ein typischer deutscher Baumarkt hat durchschnittliche 5.700 qm Verkaufsfläche, die Spannbreite reicht dabei von 1.000 bis über 20.000 qm – hier entstehen enorme Kosten für Personal, Energie, Pachten und nicht zuletzt den meist vorfinanzierten Warenbestand. Bei einem Durchschnitt von ca. 60.000 Artikeln im stationären Angebot kann allein der Warenbestand eines Baumarktes schnell in die Millionen Euro gehen, die als Kapital gebunden sind.

Und bei den Baumärkten, die derzeit geöffnet sind, führen die Sicherungsmaßnahmen zu einer deutlich geringeren Kundenfrequenz und damit zwangsläufig zu weniger Umsatz. Dieser negative Effekt wird von zusätzlichen Kosten für Sicherheitspersonal, Absperreinrichtungen, Reinigungs- und Desinfektionsmittel und weiteres, verstärkt.

Location Insider: Wie erklären Sie sich die deutsche Kleinstaaterei, dass in manchen Regionen die Märkte offen bleiben dürfen und in manchen nicht?

Peter Wüst: Ein schwieriges Thema, da es ja nicht bei den Bundesländern aufhört, sondern runter bis auf Stadt- und Dorfebene geht. Im Endeffekt darf auch ein Bürgermeister eine Öffnung untersagen. Die Komplexität für die Händler, die Lieferanten und die Logistikunternehmen ist relevant und kostet Zeit und Geld. Auf der anderen Seite haben wir regional sehr unterschiedliche Corona-Probleme, was wiederum für eine differenzierte Öffnungsregelung spricht.

Location Insider: In wieweit arbeiten Sie bereits an einer einheitlichen Linie auf politischer Ebene?

Peter Wüst: Wir sind aktuell sehr beeindruckt von unseren Politikern, die verstanden haben, welche Relevanz unsere Branche für die Versorgung der Bevölkerung mit essentiellen Gütern und Leistungen hat, siehe auch unser Positionspapier zur Systemrelevanz von Bau- und Gartenfachmärkten. Aufgrund der regional individuellen Ausprägung der Infektionen werden wir weiterhin mit Unterschieden leben müssen.

Location Insider: Wie gut ist Ihre Branche im digitalen Bereich aufgestellt, z.B. um jetzt fehlenden Stationär-Umsätze online zu kompensieren?

Peter Wüst: Fast alle unsere Handelsmitglieder haben in den vergangenen Jahren das Thema E-Commerce im Zuge des Change-Prozesses angenommen und Online-Shops am Markt erfolgreich etabliert. Diese haben sich bereits vor der Corona-Krise positiv entwickelt. Die Verbraucher nutzen das immer umfangreicher werdende Online-Sortimentsangebot regelmäßig und besonders gern bei sperrigen Gütern, die so bequem nach Hause geliefert werden.

Die derzeitige Ausnahmesituation wird sicherlich die Nutzung der Onlinekanäle verstärken. Ob sich daraus aber auch eine erkennbare Umsatzwirkung ergibt, kann in diesem Stadium nicht belastbar festgestellt werden, da die Branchen-Zahlen noch nicht ausgewertet sind. Zudem sind manche Umsatzanteile nicht eindeutig dem E-Commerce-Shop zuzuordnen (z.B. bei Online-Reservierungen wie der Click&Reserve-Dienstleistung). Auch gibt es kurzfristig keine ausreichenden Strukturen, die die Umsatzverluste im stationären Bereich ausgleichen könnten.

Location Insider: Können Sie Beispiele aus der Branche nennen, mit welchen Ideen und Innovationen Bau- und Gartenmärkte auf lokale Shutdowns reagieren?

Peter Wüst: Es ist ja nicht immer der komplette Shutdown, der die Umsätze der Märkte vor Ort deutlich beeinflusst. Durch umfangreiche und aufwändige Sicherungsmaßnahmen in den Standorten übererfüllt die Branche die behördlichen Empfehlungen deutlich – was zu einem freiwilligen Verzicht auf Kundenfrequenz führt, die jetzt gerade bei dem wettertechnisch brillianten Frühjahresstart enorm hoch läge. Hier kommt es ganz wesentlich auf die Kreativität der Marktleitung vor Ort an, Umsatzausfälle zu kompensieren. Das kann dann zum Beispiel ein kostenloser Lieferdienst für Pflanzen aller Art sein, den ein großer Baumarktbetreiber aus Rheinland-Pfalz zum Osterfest erfolgreich initiiert hat. Weitere Lösungen sind Click&Reserve-Angebote mit Übergabe auf den Parkplätzen oder auch kontaktloses Bezahlen. Beratungsangebote haben sich ins Netz verlagert – auch mit Unterstützung durch erweiterte Apps. Q&A-Sessions werden zunehmend als Video-Chats umgesetzt. Unsere Branche ist hier sehr kreativ unterwegs.

Location Insider: Was macht Ihnen Mut und Hoffnung in dieser so schwierigen Zeit?

Peter Wüst: Hier fällt die Antwort nicht schwer: Wie uns unsere Mitglieder berichten, werden neben Lebendgrün und Gartenzubehör derzeit enorm viele Produkte des klassischen Heimwerkens gekauft. Das heißt, die Menschen nutzen die Zeit, ihre kleinen oder großen „Baustellen“ rund um das eigene Heim (innen und außen) anzugehen – und somit wieder Heimwerkerqualitäten zu aktivieren, die viele bereits verloren geglaubt haben. Menschen entdecken, dass ein „Dach über dem Kopf“ nicht selbstverständlich ist und gepflegt werden muss. Individualität lässt sich auch daheim umsetzen und zeigen.

Dieses neue „Wohlfühlen daheim“ wird sich auch den nächsten Monaten fortsetzen. Wenn die Restriktionen schrittweise aufgehoben werden, werden die dann wieder erreichbaren Urlaubsziele nahezu zwangsläufig überlastet sein. Hier werden sich viele Menschen für einen Urlaub zuhause entscheiden (müssen) – und ihr Umfeld sicherlich dahingehend verschönern.
Unglaublich begeistert bin ich von den Mitarbeitern unserer Branche. Sie stehen zu ihren Unternehmen und ermöglichen es mit ihrem Engagement, all die neuen Aufgaben zu erfüllen und weiterhin für die Bürger und Bürgerinnen da zu sein.

Location Insider: Vielen Dank für die spannenden Antworten!


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