Wie der stationäre Handel von digitalen Diensten profitieren kann.

von Florian Treiß am 13.September 2016 in Highlight, Trends & Analysen

Der stationäre Handel ist durch den Boom von Online-Händlern wie Amazon totgeweiht. Kaufhäuser werden zu Ruinen, Innenstädte werden zu Geisterstädten. Schuld daran ist der böse Kunde: Erst „klaut“ er im stationären Geschäft die Beratung von fachkundigem Personal, kauft dann aber online günstiger ein – und vernichtet so Arbeitsplätze in seiner Umgebung.

Professor Gerrit Heinemann

Prof. Gerrit Heinemann

Diese Meinung war in den letzten Jahren so weit verbreitet, dass mancher Laden sogar ein Smartphone-Verbot einführte. Doch mittlerweile hat die Trendwende eingesetzt: Händler wie Karstadt oder Breuninger bieten in ihren Filialen kostenloses W-Lan an und nutzen digitale Dienste, um Kunden in die Läden zu locken sowie vor Ort einen besseren Service beim Einkaufen anzubieten. Gerade in den Smartphones der Verbraucher steckt enorm viel Potenzial für den stationären Handel – es ist „die Brücke zwischen Online und Offline“, wie etwa Handelsforscher Prof. Dr. Gerrit Heinemann sagt. Denn „Smartphones können zu Wegweisern werden, die den Kunden in den Laden führen – vorausgesetzt, der Laden ist nicht nur eine Straße weiter, sondern auch online präsent“, so Heinemann weiter.

Die digitalen Kanäle haben bereits eine Zubringerfunktion für die stationären Geschäfte: Die Kunden recherchieren online, kaufen dann aber offline im Laden. Diesen Effekt nennt man in Fachkreisen „Webrooming“ oder ROPO (Research Online, Purchase Offline). Notebooksbilliger.de-Chef Arnd von Wedemeyer geht bei diesem Phänomen augenzwinkernd sogar so weit, von einem „Beratungsklau im Netz“ zu sprechen – denn „es gibt Kunden, die sich bei uns informieren und dann mit den Ausdrucken in den stationären Handel gehen“. Es gibt also offenkundig eine Wechselwirkung zwischen den Kanälen – wohl einer der Gründe, wieso einstige reine Onlinehändler wie Notebooksbilliger.de inzwischen dazu übergegangen sind, eigene Ladengeschäfte zu eröffnen.

Besagtes „Webrooming“ geschieht einerseits vom heimischen PC aus, andererseits aber immer öfter auch direkt auf dem Smartphone: Eine Studie von Google zeigt, dass weltweit 30 Prozent aller Suchanfragen auf Mobilgeräten einen lokalen Bezug haben. Stolze 76 Prozent der Smartphone-Nutzer, die nach etwas in ihrer Nähe suchen, betreten noch am selben Tag ein Ladengeschäft. Und immerhin 28 Prozent der lokalen Suchanfragen führen zu einem tatsächlichen Einkauf, so Google. Durch diese Zahlen wird deutlich, wie einflussreich lokale Suchanfragen sind. Und klar wird auch: Unternehmen sollten ihre Internetpräsenz unbedingt für die lokale Suche optimieren. Größere Ketten sollten jede einzelne Filiale im Netz schnell auffindbar machen für passende lokale Suchanfragen sowohl nach dem Unternehmensnamen selbst (z.B. „Karstadt in Leipzig“) als auch nach Produktkategorien (z.B. „Schuhe in Berlin kaufen“). Entsprechende Profile sollten auf Plattformen wie Google Maps oder meinestadt.de hinterlegt und ständig aktuell gehalten werden. Dazu gibt es mittlerweile Lösungen wie die des Berliner Startups Uberall, das ein „Premium Online Presence Management“ für Unternehmen bietet. Uberall ermöglicht es Firmen darüber, ihre lokalen Profile in über 50 sozialen Netzwerken, Kartendiensten, Branchenbüchern, Bewertungsplattformen, Navigationssystemen etc. aktuell zu halten.

Neben der Auffindbarkeit in Suchmaschinen wird auch die Präsenz in Location-based Services, also standortbezogenen Diensten, für Händler immer wichtiger: Sie können eine wesentliche Funktion als Frequenzbringer von Ladengeschäften übernehmen. Millionen von Nutzern verwenden bereits ortsbezogene Shopping-Apps: Um einen Angebotsprospekt eines Unternehmens zu finden oder auch ganz simpel den Standort oder die Öffnungszeiten, laden sich Nutzer nicht etwa von jedem Händler eine eigene App runter. Nein, sie verwenden oftmals händlerübergreifende, ortsbezogene Apps wie KaufDA, Marktjagd oder Marktguru. Diese haben nachweislich eine hohe Werbewirkung und können Filialbesuche steigern: Konkret haben laut Studie von KaufDA-Betreiber Bonial 54 Prozent mehr KaufDA-Nutzer einen Media Markt aufgesucht, wenn sie vorher bei KaufDA einen digitalen Prospekt des Händlers gesehen haben, als wenn kein Prospekt von Media Markt zu sehen war. „Wir freuen uns, durch die gemeinsamen Forschungsergebnisse von Bonial nun die Zahlen zu erhalten, die der stationäre Handel von digitalen Medien immer erwartet hat – basierend auf einer validen technologischen Messmethode. Diese liefern wertvolle Aussagen, wie wirksam digitale Prospekte für das tägliche Geschäft tatsächlich sind“, sagt Martin Wild, Chief Digital Officer von Media-Saturn.

Shopkick im Einsatz bei Douglas

Shopkick im Einsatz bei Douglas

Auch die händlerübergreifende App Shopkick eignet sich gut für Händler: Als der Möbelhändler Poco innerhalb der App 15 Prozent Rabatt gewährte, stieg die Anzahl der Shopkick-Nutzer, die die Filialen besuchten, um 130 Prozent. Teilweise trug die App bis zu 12 Prozent zum Umsatz des Möbelhauses bei. „Wer als Händler online über lokale Angebote, Standorte, Öffnungszeiten, Produkte und Services informiert, wer Online und Offline sinnvoll verknüpft und integriert, bindet und gewinnt Kunden für den stationären Handel“, sagt Prof. Dr. Gerrit Heinemann.

Welche Vorteile haben Location-based Services noch für Konsumenten?

  • Apps wie Shopkick belohnen Nutzer schon beim Betreten eines Ladens mit Punkten. Wenn genügend Punkte angesammelt sind, erhalten die Nutzer Einkaufsgutscheine.
  • Geschäfte können mittels Technologien wie iBeacon und Geofencing Push-Nachrichten mit Angeboten oder Coupons an Smartphone-Nutzer senden, wenn sie an einem Laden vorbeigehen oder schon im Laden sind. Diese Push-Nachrichten sollten aber wohl dosiert und idealerweise auch personalisiert eingesetzt werden, damit sie vom Verbraucher nicht als Spam wahrgenommen werden.
  • Internationale Händler wie Macy’s oder Ikea in Kanada zeigen ihren App-Nutzern bereits, wo die Produkte in den Filialen liegen – gerade in großen Geschäften ein Vorteil bei der Suche nach einer bestimmten Ware.
  • Service-Mitarbeiter können über das Eintreffen bestimmter Kunden informiert werden und z.B. reservierte Waren aus dem Lager holen, noch bevor der Kunde am Abholschalter angelangt ist. Das verringert die Wartezeit für den Kunden.
  • Verbraucher können die Lieferung von Bestellungen tracken und fühlen sich dadurch besser informiert: Wo befindet sich mein Paket? Wann genau trifft es bei mir bzw. im Laden ein? Hierbei spielen auch Trends wie Same Day Delivery und Click & Collect eine wichtige Rolle.

Gerade Click & Collect und Same Day Delivery zeigen das Zusammenspiel von Online und Offline sehr schön – und sind aktuell wohl die wichtigsten Multichannel-Trends: Hierbei kann der Onlineshop mit den Filialen eines Händlers vernetzt werden. Bei Click & Collect geht es darum, dass online bestellte Waren im Laden abgeholt werden können – und der Händler dem Kunden vor Ort noch weitere Produkte empfehlen und verkaufen kann wie etwa das passende Zubehör. Der auf Apple-Produkte spezialisierte Händler Gravis hat hiermit bereits sehr positive Erfahrungen gemacht. Bei Same Day Delivery geht es hingegen darum, dass gekaufte Waren noch am selben Tag nach Hause geliefert werden. Dabei handelt es sich meist um online bestellte Produkte, die von den örtlichen Filialen ausgeliefert werden wie etwa bei Cyberport oder bei Media Markt. Hierbei können Filialisten die Nase vorn gegenüber Amazon und Co haben – denn welcher Onlinehändler hat schon in jeder großen Stadt ein eigenes Versandlager, um den taggleichen Versand realisieren zu können? Auch können Kaufhäuser und Shopping-Malls einen solchen taggleichen Lieferservice für Kunden im stationären Bereich anbieten, die ihre schweren Einkaufstüten nicht selbst nach Hause tragen wollen.

Kevin Besthorn

Kevin Besthorn

Laut der e-matters-Studie „Die Bedeutung von Beratung beim Einkaufen – online und stationär“ ist ein Verkommen stationärer Filialen zu reinen Abholstationen und Showrooms kaum im Sinne der (Online-) Käufer. Die allermeisten Internetnutzer (96 Prozent) kaufen weiterhin bewusst in Ladengeschäften ein und sind dabei bestimmten Händlern treu (88 Prozent). Kevin Besthorn, Geschäftsführer von e-matters, sagt: „Aus meiner Sicht sollten stationäre Händler in die ausgestreckte Hand der Internetnutzer einschlagen, die den festen Willen haben, Ladengeschäfte zu nutzen. Neben dem klassischen Vorteil, Produkte direkt vor Ort ausprobieren und sofort mitnehmen zu können, gilt es vor allem den Wunsch nach kompetenter Beratung vor dem Kauf, bzw. effiziente Problemlösung nach dem Kauf, zu bedienen.“ Voraussetzung dafür sei eine „grundsätzliche Bereitschaft des stationären Handels zur Veränderung“, so Besthorn: „Um den hohen Erwartungen und Anforderungen der Kunden gerecht zu werden, müssen Verkäufer stets optimal informiert und in Sachen Service sofort handlungsfähig sein.“ Denn selbst in der Generation der Digital Natives, also Konsumenten zwischen 18 und 24 Jahren, sind die meisten der Ansicht, dass in Sachen gute Produktinformationen und Beratung der stationäre Handel dem Webshop klar überlegen ist, zeigt die Studie.

Wieso auch Onlineshopper gerne stationär einkaufen, zeigt diese Tabelle von e-matters

Wieso auch Onlineshopper gerne stationär einkaufen, zeigt diese Tabelle von e-matters

Dennoch: Allein seit 2007 fiel die Zahl der Ladenbesuche in Deutschland um 19 Prozent, wie der Experian Footfall Index zeigt. Die Strategieberatung OC&C warnt, dass sich die Entwicklung noch verschärfen dürfte, und zwar durch noch mehr Online-Einkäufe von Verbrauchern, den demografischen Wandel sowie Standortproblemen in strukturschwachen Regionen und Städten. Aber auch das sollte für stationäre Händler kein Grund sein, den Kopf in den Sand zu stecken. Sie sollten laut OC&C von Onlinehändlern vor allem drei Dinge lernen, um eine passenden Frequenzstrategie zu entwickeln:

  1. Kundensegmente und deren Bedürfnisse identifizieren: Hierzu zählt die Erhebung von Kundendaten bzgl. Soziodemographie, präferierten Produktgruppen, Preissensitivität und präferierten Preislagen, Qualitätsbewusstsein, Markentreue, Kauffrequenz sowie Informations- und Beratungsbedarf.
  2. Einzelne Kunden den Segmenten zuordnen: Einzelhändler mit eigener Kundendatei sind im Vorteil, denn sie können zumindest die Stammkunden mit einem individuellen Angebot ansprechen. Hilfestellung können ansonsten spezialisierte Dienstleister mit umfangreichen Konsumentendatenbanken leisten. So lassen sich Streuverluste von Massenkommunikation vermeiden.
  3. Kundenbedürfnisse in Angebote übertragen: Dieses „Angebot“ berücksichtigt passende Produkte, Rabatte oder den entsprechenden Beratungsbedarf. Dabei gilt es, den richtigen Mix der Ansprache aus Massenkommunikation und Direktansprache zu bestimmen und das Marketingbudget entsprechend einzusetzen. Nur so lassen sich „Unterinvestitionen“ in preissensitive Kunden und „Überinvestitionen“ in Kunden, denen der Preis egal ist, vermeiden.

Dass das Ladengeschäft keinesfalls ein Auslaufmodell ist, attestiert die Studie „Total Retail“ von PwC: Demnach lassen sich Kunden im Geschäft gern beraten und inspirieren oder probieren dort Produkte aus. Rund 75 Prozent der Konsumenten bestätigten, dass sie mindestens einmal monatlich im Laden Non-Food Produkte einkaufen (davon 11,7 Prozent täglich, 34,4 Prozent wöchentlich, 29,2 Prozent monatlich). Wie schon die e-matters-Studie zeigt auch die PwC-Studie, dass sich auch die Gruppe der Digital Natives klar zum stationären Handel bekennt. Voraussetzung für den stationären Kauf ist aber, dass Kunden im Geschäft gut beraten werden und ein besonderes Einkaufserlebnis erwarten dürfen, etwa durch ein ansprechendes Ambiente. „Hier zeigt sich, wie wichtig die konsequente Verzahnung aller Shopping-Kanäle für die Kundenbindung ist. Kunden kombinieren heute online und offline, um sich umfassend zu informieren. Omnichannel ist daher zur Erfolgsformel für den Handel geworden“, so PwC-Partner Gerd Bovensiepen.


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