Wie Gravis mit Abo-Modellen und dem „Projekt Ara“ nachhaltiger werden will.

von Florian Treiß am 07.Mai 2021 in Interviews, News

„Ich bin der Meinung, dass Nachhaltigkeit so wesentlich ist, dass es keine Eintagsfliege ist“, sagt Gravis-Geschäftsführer Jan Sperlich. Deshalb bietet sein Unternehmen neuerdings iPhone, iMac und Co. im Abo an, um die Geräte nach Ende der Vertragslaufzeit zurück in den Kreislauf zu bringen.  Im „Projekt Ara“ verfolgt Gravis zudem noch weitere Ansätze, um nachhaltiger zu werden. Wir haben mit Jan Sperlich ausführlich darüber sowie über den Einzelhandel in Corona-Zeiten gesprochen.

Elektronikgeräte bei Gravis nicht zu kaufen, sondern zu leihen, ist grundsätzlich nicht ganz neu: Schon seit längerem bietet der auf Apple spezialisierte Händler viele Produkte zur Miete über den Kooperationspartner Grover an. Doch beide Modelle unterscheiden sich stark, wie Jan Sperlich erläutert: „Wir sehen, dass es Kunden gibt, die kurzfristig ein Interesse an Hardware haben. Das kann eine Drohne für einen Urlaub sein, die man sich zu einem bestimmten Monatsbetrag über Grover bei uns mieten kann. Es kann aber auch ein leistungsstarker Rechner für eine Abschlussarbeit sein, die vielleicht nur drei oder vier Monate dauert, wo man sagt, mein Standardrechner ist mir zu gering und ich brauche für drei Monate einen starken Rechner. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei unserem neuen Gravis-Abo um eine Art Langzeitmiete über 24 oder 36 Monate. Dieses Abo-Modell ist für die Kunden deutlich günstiger als beim Grover-Modell, was eher auf kurzfristige Mieten angelegt ist.“

Benutzen statt besitzen

Zugleich beobachtet Jan Sperlich eine Veränderung im Verbraucherverhalten: „Für mich ist in allererster Linie interessant, was unsere Kunden wollen, und für die wollen wir einen Mehrwert liefern. Immer mehr Kunden wollen Geräte nicht besitzen, sondern einfach nur benutzen und für die Nutzung zahlen. Das ist wie bei Musik, die haben wir früher mal gekauft und heute abonnieren wir stattdessen Streaming-Dienste. Oder wie bei Fahrrädern, die man heute auch einfach mieten kann.“ Und bei solchen Modellen geht es auch immer mehr um Nachhaltigkeit, sagt Jan Sperlich: „Wenn Du nach 24 Monaten ein iPhone wieder zurück in den Kreislauf gibst, dann ist ein iPhone je nach Ausstattung noch 20 bis 35 Prozent wert.“ Der Begriff „Kreislauf“ sei bei diesem Modell besonders wichtig, denn das Abo-Modell sei nachhaltig, sagt Sperlich. Schließlich kann ein solches Smartphone entweder für einen weiteren Nutzungszyklus aufbereitet werden oder aber dem Recycling zugeführt werden, so dass dabei wertvolle Materialien zurückgewonnen und wiederverbaut werden können.

Dabei soll Nachhaltigkeit bei Gravis in Zukunft viel stärker gelebt werden: „Unser Verständnis ist, dass Nachhaltigkeit mehr ist als Papier sparen und Nachhaltigkeit mehr ist als Elektroautos, sondern Nachhaltigkeit eine Verhaltensänderung bedeutet. Doch was heißt das für uns als Einzelhändler? Unser Kernlieferant Apple macht ja schon eine ganze Menge, verzichtet auf seltene Rohstoffe. Die Geräte sind schadstofffrei und zum Teil aus recycelten Materialien. Doch an der Stelle können wir nicht aufhören!“, so Jan Sperlich.

„Projekt Ara“ für mehr Nachhaltigkeit bei Gravis

„Wenn du nachhaltig sein möchtest, dann wird in dem Moment, wo du dich ernsthaft damit beschäftigst, klar, dass das ein langer Weg ist, dass das ein Prozess ist und dass es in der Regel gar keine einfachen Antworten gibt“, erläutert Jan Sperlich weiter. Deshalb wurde bei Gravis die Idee zum „Projekt Ara“ geboren. Benannt nach einem vom Aussterben bedrohten Papagei aus dem brasilianischen Regenwald, ist das Projekt auf Geschäftsführerebene angesiedelt. „Im Rahmen des Projekts haben wir in unserem Unternehmen in allen Abteilungen auf allen Ebenen Botschafter, die die Dinge hinterfragen. Das geht soweit, dass wir im Unternehmen kaum noch Papier haben. Wenn ich was notieren will, suche ich oft vergeblich Papier.“ Doch der Papier-Verzicht sei eigentlich eine Trivialität, es gehe um viel mehr: Zum Beispiel in den Stores Strom zu sparen, aber die Produkte dennoch hell auszuleuchten, in dem man komplett auf LEDs umrüstet. Oder dass ein Wasserspender besser ist als Wasser in Flaschen. Und bei der Zubehör-Eigenmarke Networx arbeitet Gravis selbst intensiv daran, nachhaltigere Produkte zu entwickeln, die z.B. in Graspapier verpackt werden und weniger Plastik verbrauchen. „Das geht jetzt mit kleinen Schritten los. Mit unseren Lieferanten diskutieren wir über dieses Thema, versuchen dort auch Druck auszuüben und listen auch bewusst Produkte in dieser Kategorie ein. Es ging mit Handyhüllen zum Beispiel letztes Jahr schon los, die ökologisch abbaubar sind und nicht im Plastikmüll landen müssen.“

Das Wesentlichste von „Projekt Ara“ sei aber auch die Bewusstseinsänderung bei den Mitarbeitern, um Nachhaltigkeit zu leben. „Gravis ist für mich eine Firma, die ist greifbar. Die ist anfassbar. Die hat ein Gesicht. Die lebt. Die ist nicht anonym wie ein großer Versandhändler mit den grauen Kartons. Wenn unsere Leute Nachhaltigkeit leben, dann können wir es auch unseren Kunden vermitteln. Ich bin mir sicher, dass das unseren Kunden etwas wert ist. Zu unserer DNA gehören derzeit vier Dinge: Unsere Kunden legen auf eine Vorauswahl von Produkten wert, sie legen auf eine persönliche Beratung wert, sie legen auf einen Service wert und auf Erlebnis. Wenn dazu dann Nachhaltigkeit als fünftes DNA-Element hinzukommt, dann werden unsere Kunden das ganz sicher genauso zu schätzen wissen, weil sie merken: Die bei Gravis meinen das ernst, die leben das wirklich und die versuchen das. Die sind nicht von heute auf morgen grün, sondern die arbeiten daran und haben eine Roadmap. Das ist das, was wir in dem ‚Projekt Ara‘ tun.“

Handel in Corona-Zeiten

Erstaunlich, dass Gravis die Energie hat, solch ein Projekt trotz der starken Herausforderungen der Corona-Pandemie durchzuziehen. Jan Sperlich sieht es so, dass das „Projekt Ara“ seinen Mitarbeitern eine „Perspektive in diesen sich ein bisschen perspektivlos anfühlenden Zeiten“ bietet. Denn natürlich ist auch bei Gravis seit Ausbruch der Pandemie kaum noch etwas so, wie es früher mal war, speziell was die 40 Stores des Multichannel-Händlers angeht. „Es ist uns gelungen, dass wir die ganze Zeit fast durchgängig alle Shops offen hatten, zumindest für unseren Repair-Service. Gerade für Home Office und Homeschooling ist dieser Service essentiell und wurde glücklicherweise auch nahezu überall als systemrelevant eingestuft.“ Doch im Verkauf kam auch Gravis an manchen Standorten nicht um Kurzarbeit für seine Belegschaft herum, zumal der Verkauf von Geräten während der Lockdowns verboten und allenfalls noch Click & Collect möglich war. Doch was Jan Sperlich dabei wichtig ist: „Als Konzern  stocken wir die Gehälter aller Leute in Kurzarbeit auf unsere eigenen Kosten auf.“

Doch 40 Standorte bedeuteten in Zeiten der Corona-Pandemie zuletzt ein regelrechtes Regelwirrwarr, was erlaubt ist und was nicht. 40 Gravis-Filialen in verschiedenen Städten bedeuteten teilweise 40 unterschiedliche Regelungen. „Der Aufwand, der dahintersteckt, ist enorm und man muss sagen, nach einem Jahr auch wirklich kräftezehrend. Wir checken tatsächlich jeden Tag, was sind die aktuellen Regelungen in der jeweiligen Gemeinde und wie hoch sind die Corona-Inzidenzen.“ Das sei keinesfalls mehr ein Standard-Business, so Jan Sperlich: „Was wir hier machen, ist schon eine Herausforderung für alle Beteiligten. Nevertheless, es gelingt uns: Das Kunden-Feedback ist, dass alle dankbar sind, dass wir da sind, wenn wir gebraucht werden“, sagt Jan Sperlich.

Hörtipp

Jan Sperlich war im Herbst 2018 bei uns im Podcast zu Gast und sprach darin unter anderem über seinen persönlichen Werdegang und über Omnichannel bei Gravis. Lesen Sie hier unsere Zusammenfassung oder hören Sie direkt rein:

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Location Insider · Gravis-CEO Jan Sperlich: "Der Kunde steht im Zentrum."

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