Interview: Dr. Martin Huber von Gogol Publishing über lokalen Bürgerjournalismus.

von Christian Bach am 11.August 2014 in Interviews

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Der Lokaljournalismus steckt in der Krise. Die Auflagen sinken mit den Anzeigenerlösen im Steilflug und das Online-Geschäft kann diese Verluste nicht auffangen. Dr. Martin Huber, Dipl. Ing. und promovierter Betriebswirt, hat im Lokalen in der Medienbranche Fuß gefasst und ist diesem treu geblieben. Als Geschäftsführer von Gogol Publishing ist er ausgewiesener Experte für den Bereich lokaler Bürgerjournalismus. Das Unternehmen betreibt mit myheimat.de, dem Lokalkompass und meinbezirk.at die drei größten Bürgerreporter-Plattformen im deutschsprachigen Raum. Er rät Lokalzeitungsverlagen in dieser schwierigen Situation deshalb auch, „nicht mehr alles selbst zu schreiben, sondern die Region einzuladen mitzumachen und wie ein guter Gastgeber eine Plattform anzubieten, auf der sich die Region austauschen kann.“ Nur so könne Lokaljournalismus funktionieren. Wie sein persönliches Konsumverhalten ist, welche Rolle Lokalblogs spielen und welche Lösungen er für einen wirtschaftlichen Erfolg parat hat, das verrät er uns im Interview.

Location Insider: Gogol Publishing hat kürzlich zwei Studien zur Situation der Lokalzeitungsverlage in Deutschland veröffentlicht. Da muss diese persönliche Frage folgen: Lesen Sie privat täglich bzw. regelmäßig eine gedruckte Zeitung? Und warum beziehungsweise warum nicht?

Dr. Martin Huber: Eine gedruckte Zeitung lese ich allenfalls sporadisch im Café oder auf Reisen. Die regelmäßige Versorgung mit Nachrichten erfolgt aber Online und Mobil.

Location Insider: Laut einer Ihrer Untersuchungen haben 87 Prozent der Lokalzeitungsverlage großes Ausbaupotenzial bei der Onlinereichweite. Woran liegt das?

Dr. Martin Huber: Online sind Lokalzeitungen vor die Herausforderung gestellt, sich noch klarer strategisch zu positionieren. Die Nachrichten des nationalen oder überregionalen (Mantel-)Teils einer Zeitung erhalten die Leser an vielen Anlaufstellen wie SPIEGEL Online, Focus Online und anderen nationalen Playern. Das Bündel Mantel plus Lokalteil, welches gedruckt für eine Lokalzeitung noch funktioniert hat, bricht also Online auseinander. Es bleiben dann nur noch die lokalen Nachrichten. Hier kann aber mit einem klassischen redaktionellen Vorgehen nur ein Bruchteil der für eine Region relevanten Inhalte abgedeckt werden. Daher gibt es für Lokalzeitungen zwei Möglichkeiten: Entweder das Feld der lokalen Nachrichten in vielen Bereichen Dritten zu überlassen – also Blogs, sozialen Medien u.a. – und damit Reichweite an andere abzugeben. Oder das klassische redaktionelle Modell zu ergänzen um ein Kuratieren von Inhalten. Also nicht mehr alles selbst zu schreiben, sondern die Region einzuladen mitzumachen und wie ein guter Gastgeber eine Plattform anzubieten, auf der sich die Region austauschen kann. Wir sehen bei vielen Kunden von uns, dass sich der zweite Ansatz hervorragend entwickelt.

Location Insider: Wie informieren sich die Nicht-Zeitungsleser über lokale Neuigkeiten?

Dr. Martin Huber: Die Zahlen sprechen da eine deutliche Sprache: Die Menschen googeln einfach, was sie gerade interessiert. Nutzer tippen heute nicht mehr die URL ihrer Lokalzeitung in den Browser ein. Daher kommt nur noch ein Bruchteil des Traffics auf ein Lokalzeitungsportal von der Startseite des Angebots. Die andere Variante ist: Sie bleiben über soziale Netzwerke im Gespräch, erfahren von Freunden durch das Teilen von Links interessante Neuigkeiten.

Location Insider: Inwiefern können Lokalblogs lokale Zeitungen ersetzen?

Dr. Martin Huber: Lokale Blogs nehmen Zeitungen Reichweite und Relevanz- insbesondere in der Summe der vielen kleinen Blogs. Aber lokalen Blogs fehlt bisher auch ein nachhaltiges Geschäftsmodell. Deshalb bietet sich hier lokalen Verlagen eine hervorragende Chance eine Plattform für die Region zu stellen, auf der jeder Inhalte einstellen kann, aber auch ein kuratierender Rahmen gegeben ist. Beispielsweise hat auf diese Weise das Online-Portal meinbezirk.at bereits über 250.000 Leser gewonnen, die als „Regionauten“, also Leser-Reporter auf der Plattform unterwegs sind. Es muss also nicht ein Ersetzen sein, sondern lokale Zeitungen haben jetzt eine große Chance, wieder ihren ursprünglichen Auftrag zu erfüllen.

Location Insider: „35 Prozent der Online-Auftritte deutscher Lokalzeitungen haben weniger als 100.000 Besuche im Monat“, so eine der Aussagen der März-Studie. Wie kann man diese Angabe einschätzen, wenn man nicht weiß, ob die Online-Plattformen eine Paywall oder ähnliche Bezahl-Schranken aufweisen? Auch wenige Leser können viel Geld in die Hand nehmen, oder?

Dr. Martin Huber: Das Argument ist im Prinzip richtig, aber es ist schwer vorstellbar, dass eine Lokalzeitung mit Klickzahlen dieser Größenordnung gleichzeitig ein florierendes Geschäft mit Paid Content hat. Wir haben jedenfalls kein Beispiel dieser Art gefunden und beobachten den Markt ja sehr genau.

Location Insider: Große europäischen Verlage, wie FUNKE, Madsack, Springer, Moser oder Styria, nutzen Ihr Redaktionssystem Gogol Publishing. Wird Ihnen bei dem Stellenabbau und dem Zeitungssterben nicht angst und bange, Ihre Kunden zu verlieren?

Dr. Martin Huber: Im Gegenteil. Wir sehen bei unseren Kunden, wie sie planvoll die Zeitung der Zukunft weiterentwickeln, Journalismus neu denken und die Weichen für zukünftige Erlösmodelle und den digitalen Medienkonsum stellen. Dabei spielen technische Plattformen eine immer größere Rolle. Journalismus wird zukünftig nicht mehr ohne Technik, Systeme und Plattformen denkbar sein. Wenn man sich dem Wandel stellt, entstehen spannende und vielversprechende Möglichkeiten.

Location Insider: Welche Lösungen würden Sie lokalen Zeitungen mitgeben, um über 2014 hinaus erfolgreich wirtschaften zu können?

Dr. Martin Huber: Wer als lokales Medium überleben möchte, muss sich neuer Wege bedienen, wirtschaftlich lokale Informationen anzubieten und gleichzeitig immer tiefer in die Region vorzudringen. Wir sehen hier nur eine Lösung in einem strukturell veränderten Vorgehen. Das heißt: Keine reine Redaktion, sondern Kuratieren von Inhalten auf dafür hochspezialisierten Plattformen. Das ist aber gleichzeitig auch die Chance, weil Leser auch bereit sein werden für ein professionelles Kuratieren zu bezahlen und gleichzeitig verstehen, dass ein lokales Medium nur unter Einbindung des Lesers seine maximale Stärke entfalten kann. Daneben wird entscheidend sein, dieses Angebot und die Plattform systematisch auf eine mobile Nutzung zu optimieren oder sogar einer Mobile-First-Strategie zu unterstellen.

Location Insider: Vielen Dank für das Gespräch.

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