„Fight, fly or freeze“: Umfrage zu aktuellen Retail-Trends

von Florian Treiß am 06.Juli 2023 in Highlight, Interviews, News, Trends & Analysen

Für unser neues Whitepaper „Retail Trends 2023: Wie Künstliche Intelligenz, Social Commerce & Co den Handel verändern“ haben wir sechs Experten gefragt, was für sie aktuell der wichtigste Trend im Handel/eCommerce ist. Die Antwortpalette ist breit, reicht von ethischem Konsum bis zu künstlicher Intelligenz, und bietet Ihnen und Ihrem Unternehmen Tipps, wie man „auch auf Dauer zu den Gewinnern zählt“.

Dr. Marcus Ackermann, Otto Group Konzern-Vorstand Multichannel Distanzhandel

„Klar, derzeit gibt es bestimmte Themen, die den Handel richtigerweise akut und dringend beschäftigen. Zu nennen seien da die Digitalisierung sowie Kostenmaßnahmen und Pricing aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen Situation. Nachhaltigkeit spielt für Kund*innen bei Kaufentscheidungen weiterhin eine wichtige Rolle – und wird zukünftig noch relevanter. Das zeigte zuletzt auch deutlich die sechste Trendstudie zu ethischem Konsum, die die Otto Group 2023 gemeinsam mit dem Trendbüro aufgesetzt hat: Für 62 Prozent der Kund*innen ist demnach Nachhaltigkeit ein fester Bestandteil der Kaufentscheidung. Den Unternehmen schreiben sie dabei eine klare Verantwortung zu: Für 68 Prozent der Befragten sollten Marken und Unternehmen der Motor auf dem Weg zur Klimaneutralität sein.

Dabei steht verstärkt die gesamte Wertschöpfungs- und Lieferkette des Handels im Fokus. Unternehmen können zahlreiche Maßnahmen ergreifen, um ressourcenschonender zu wirtschaften und Nachhaltigkeit zu fördern: Vom Sourcing nachhaltiger Grundstoffe und umweltschonenderer Zustellung durch Lastenräder oder E-Mobilität über kreislauffähige Versandverpackungen bis hin zu Second-Hand-Angeboten im Fashion-Bereich sowie Langlebigkeit und Reparaturservices bei Produkten – Konzernunternehmen der Otto Group übernehmen Verantwortung und leisten ihren Beitrag für einen nachhaltigeren Handel.

Dabei spielt auch KI eine wichtige Rolle: Mit intelligenter, datengestützter Sortimentsgestaltung können beispielsweise noch genauer Kund*innenbedürfnisse antizipiert und auf diese eingegangen werden. Dies verringert den Verbrauch von Ressourcen und senkt Retouren.

Der Trend zum bewussten Konsum wird weiterhin Fahrt aufnehmen und früher oder später entscheidend dafür sein, welche Unternehmen den Handel in Zukunft bestimmen. Zudem werden auch regulatorische Vorgaben wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz dafür sorgen, dass sich nachhaltiger Konsum vom Trend zum Standard entwickelt.“

Stefan Wenzel, Digitalexperte & Advisor

„Fight, fly or freeze? Die meisten Händler und Hersteller lassen sich einem der drei neurobiologischen Abläufe bei Gefahrensituation klar zuordnen. Während die einen mit Beständen, Prognosen, Lieferketten und gegen Kosten kämpfen, sind nicht wenige bekannte Namen aus dem Markt ausgeschieden oder sanieren sich unter anderem mit Staatshilfe. Und selbst die großen Online-Plattformen beschäftigen sich gefühlt aktuell mehr mit sich als mit dem Markt.

Die Opportunität liegt in der Beidhändigkeit (Ambidextrie) und damit der Kombination der Reaktionen: Wer mit der einen Hand die richtigen Antworten auf den gestiegenen Effizienzdruck findet und seine operative Exzellenz im Griff hat, wird durch die aktuellen Stürme segeln. Aber nur wer parallel mit der anderen Hand die Erlösströme von morgen identifiziert und aufbaut, wird auch auf Dauer zu den Gewinnern zählen. Viele vergessen dabei: Handel ist eine Funktion, kein Format. Es geht weder um unsere Firmenchronik noch unsere Kanal-Vorlieben. Es geht ausschließlich um unsere Kundinnen und Kunden und wie wir in deren durch das Smartphone geprägte Leben Wert stiften. Dafür muss man Handel als Service verstehen und nicht als POS und begehbare Lagerfläche. Kanäle und Technologien sind dabei Mittel zum Kunden-Zweck, kein Selbstzweck. ChatGPT wird es bestätigen. Beidhändig.“

Matthias Steinforth, Gründer und Geschäftsführer der Digitalagentur kernpunkt

„Nach einer unglaublichen Wachstumsphase während der Corona-Pandemie steht der E-Commerce aktuell in einer Phase der Konsolidierung und unter einem gestiegenen Effizienz- und Kostendruck. Geschäftsmodelle, die bisher weit von der Profitabilität entfernt waren, spüren nun den Druck zu zeigen, dass man im E-Commerce auch profitabel arbeiten kann. Dies wirkt sich auch auf die Investitionen in Technologie, Software und Infrastruktur aus: Die Total Cost of Ownership – kurz TCO – für den Betrieb von E-Commerce-Plattformen und Web-Shops werden zunehmen kritisch analysiert. Die Erwartung ist heute, dass mit gleichen oder sogar geringeren Ressourcen ein besseres Ergebnis und ein größerer Mehrwert generiert werden kann.

Wir glauben, dass MACH-Architekturen mit skalierbaren Software-as-a-Service-Komponenten hier eine sehr gute Antwort liefern: Die Kosten für den Betrieb und die Entwicklung sinken und sind deutlich planbarer. Erst bei steigenden Umsätzen, bei mehr Traffic und mehr Bestellungen steigen auch die Betriebskosten. Vorab-Investitionen in teure Lizenzen oder den Aufbau notwendiger Infrastrukturen sind nicht notwendig. Für uns bei kernpunkt ist daher einer der wichtigsten Trends heute die Plattformen aufzubauen, die sowohl Wachstum als auch einen profitablen Betrieb ermöglichen.“

Prof. Martin Fassnacht, Handelsforscher

Martin Fassnacht (Foto: WHU/Katharina Sparwasser)

„Verbraucher sind verunsichert und möchten ihre monatlichen Budgets reduzieren. Handelsunternehmen müssen diese Herausforderungen aktiv angehen. Aus meiner Sicht ist ein professionelles und damit durchdachtes Preismanagement unabdingbar. Das Thema Preismanagement wird weiter an Brisanz gewinnen, da ich davon ausgehe, dass sich die Gewinnsituation vieler Handelsunternehmen kurz- und mittelfristig verschlechtern wird. Das Top-Management muss das Thema Preis – von der Strategie, über die Analyse, hin zur Entscheidung und Umsetzung – ganzheitlich angehen. Preise werden oft noch zu aktionistisch gemanagt. Auch orientieren sich Handelsunternehmen bei ihrer Preisbildung zu stark am Wettbewerb und zu wenig an ihren eigenen Wettbewerbsvorteilen.

Eine besondere Rolle in diesem Kontext spielen die Handelsmarken. Handelsmarken sind ca. 30 Prozent günstiger als Herstellermarken und eine sehr interessante Option für Verbraucher, Geld zu sparen. Damit Handelsmarken ‚richtige‘ Marken werden, müssen sie stärker emotional aufgeladen werden. Zudem muss die Systematik der Handelsmarken – ihre Architektur – überarbeitet werden. Es stellen sich hier Fragen nach der Verbindung und Anordnung der Handelsmarken auf der Produkt-Markenebene in Relation zur Unternehmensmarke. Auch sind Antworten hinsichtlich der Anzahl der Handelsmarken, der Positionierung und Anordnung der Handelsmarken zueinander und des Umfangs der verschiedenen Warengruppen, die eine Handelsmarke umfasst, zu finden. So testet Aldi Süd momentan eine neue Dachmarke ‚Einfach gut‘, deren Artikel preisgünstiger im Vergleich zu den klassischen Preiseinstiegsprodukten sind. Auch Netto offeriert Waren, die Verbraucher mit knappem Budget adressieren sollen. Im Gegensatz zu Adi Süd wendet Netto für diese Produkte keine einheitliche Dachmarkenstrategie über mehrere Warengruppen an.“

Per Dalheimer, Geschäftsführer Hugendubel Digital

„Aktuell wichtiger Trend bei Hugendubel.de ist die Online-Buchbestellung über das Handy in die Filiale. Nach der Pandemie ist dieser Anteil noch einmal deutlich gestiegen. Unsere KundInnen prüfen mit ihrem Mobiltelefon spontan von unterwegs, wie sie am schnellsten an ihren Buchtitel kommen. Je nach Bedürfnis und Verfügbarkeit können wir den KundInnen eine Reservierung der Ware zur Abholung in unseren Filialen am gleichen Tag anbieten, wahlweise ist auch die Overnight-Lieferung in die Filiale oder eine Versandlieferung nach Hause möglich. Im Dezember 2022 verzeichneten wir einen Tagesspitzenwert von Online-Bestellungen zur Filialabholung: Über 50% der Bestellungen erfolgten über Hugendubel.de mobil, über 50% davon wurden zur Abholung in die Filiale geordert. Diese Entwicklung hat unter anderem damit zu tun, dass sich aktuell sehr viele jüngere KundInnen über TikTok und den Hashtag #Booktok für Bücher und besonders für englischsprachige Titel begeistern. Diese KundInnen sind digital ‚always on‘, suchen aber gleichzeitig den persönlichen Kontakt und lassen sich ihre Bücher über unseren Webshop oder digitale Wege in die Filiale senden.“

Andreas Westendörpf, Chief Technology Officer Emma Sleep

„Aktuell gibt es viele wichtige Trends im Handel und eCommerce. Meineserachtens ist der Wichtigste darunter die KI-basierte Hyper-Personalisierung. Die neue Generation großer generativer KI-Modelle wird zweifellos einen signifikanten Einfluss auf die Personalisierung im Handel und eCommerce haben. Ebenso wie OpenAIs GPT allseits überraschend treffsicher das nächste Wort eines Satzes errät, so werden solche Modelle, mit den relevanten Daten trainiert, in der Lage sein, den nächsten Warenkorb vorherzusagen.

Durch Hyper-Personalisierung können Unternehmen Empfehlungen auf einer bisher unerreichten Ebene anbieten. Der Kunde profitiert direkt von der Passgenauigkeit dieses von Anfang bis Ende optimierten Kundenerlebnisses. Die Modelle analysieren das vergangene Kaufverhalten, die Produktpräferenzen und vielleicht sogar Social Media Profile der Kunden, um ein umfassendes Bild ihrer Interessen und Bedürfnisse zu erstellen. Auf dieser Grundlage können dann maßgeschneiderte Empfehlungen gemacht werden,  die das Einkaufserlebnis für Endkunden nahtlos und hochgradig relevant machen. Dies schafft eine Verbindung zwischen Kunden und Unternehmen, die auf Vertrauen und einem tiefen persönlichen Verständnis basiert. Durch den hohen Mehrwert dieser passgenauen Angebote, ist es sehr wahrscheinlich, dass viele Kunden sich trotz Datenschutz-Risiken dafür entscheiden. Datenschutz und der verantwortungsvolle Umgang mit Kundendaten sind wichtige Aspekte, die bewusst und im Einverständnis der Kunden gehandhabt werden müssen. Kunden müssen stets die Kontrolle über ihre Daten und die Möglichkeit haben, ihre Präferenzen und Einstellungen jederzeit anzupassen oder zu löschen.

Insgesamt stehen wir gerade erst am Anfang einer Ära, die durch Sprunginnovation in der künstlichen Intelligenz geprägt werden wird. Diese Entwicklung bietet sowohl Chancen als auch Herausforderungen, aber sie wird zweifellos das Einkaufserlebnis revolutionieren und den Kunden mehr als alles bisher in den Mittelpunkt stellen.“

Whitepaper

Dieser Beitrag erschien zuerst in unserem Whitepaper „Retail Trends 2023: Wie Künstliche Intelligenz, Social Commerce & Co den Handel verändern“. Wir zeigen darin mit freundlicher Unterstützung von commercetools, der weltweit führenden Plattform für digitalen Handel, wie vielseitig die aktuellen Entwicklungen bei Technologie und Konsumverhalten sind. Dabei geht es u.a. um Live Shopping, virtuelle Anproben, Omnichannel-Handel und Phygital Retail. Wichtig jetzt und in Zukunft: Händler und Marken sollten Kunden dort abholen, wo sie shoppen wollen – und das sind zunehmend moderne Touchpoints wie Social Media, Chatbots, Sprachassistenten oder virtuelle Welten.

Die Themen des Whitepapers im Überblick:

  • Wie sich Shopping in den nächsten Jahren verändert: die aktuellen Retail-Trends
  • Omnichannel & Phygital Retail: Wie die Kanäle smart verbunden werden
  • Interview mit commercetools-CEO Dirk Hoerig
  • Die Modernisierung der digitalen Plattform von Treedom: eine Erfolgsgeschichte
  • Personalisierte Einkaufserlebnisse, virtuelle Anproben, Social Commerce und Live Shopping
  • Wie der Handel mit künstlicher Intelligenz seine Prozesse und das Kundenerlebnis verbessert
  • Metaverse: Neues Potenzial für den Digital Commerce

Gratis-Download des Whitepapers:

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