„Unser Onlineshop führt zu erheblichen stationären Mehrumsätzen.“

von Matthias Hell am 25.August 2015 in Interviews, Local Heroes

Anders als viele traditionelle Händler hat sich Joachim Stoll mit seinem Frankfurter Fachgeschäft Leder Stoll frühzeitig dem Online-Handel zugewendet. Im Local Heroes Sommer-Interview spricht der Unternehmer über Synergien zu seinem Onlineshop Koffer24, die Effekte der digitalen Regalverlängerung und sein Erstlingswerk als Buchautor.

Joachim Stoll ist Geschäftsführer von Leder Stoll und Koffer24.de

Joachim Stoll ist Geschäftsführer von Leder Stoll und Koffer24.de

Location Insider: Herr Stoll, Sie gelten in der Handelsbranche als Paradebeispiel dafür, wie sich mit einem Onlineshop die Zukunft eines stationären Geschäfts sichern lässt. Ist dieser Mechanismus weiterhin ungebrochen wirksam?

Joachim Stoll: Ja, ich bin der festen Überzeugung, dass für die meisten stationären Händler die Öffnung zur Online-Präsenz, zur Online-Kommunikation und zum teilweisen Online-Verkauf der richtige Weg ist. Nicht jeder braucht einen Onlineshop, aber der Markt muss beobachtet werden und über Marktplätze können zum Beispiel Restanten in Liquidität gewandelt werden.

Location Insider: Trotz einem klaren Bekenntnis zum Multichannel-Handel bieten Sie im Internet weder die Anzeige stationärer Verfügbarkeiten, noch die Reservierung von Ladenbeständen an – warum?

Joachim Stoll: Online-Anzeige und -reservierung hat bei uns nicht die erste Priorität und ist auch nicht umgesetzt. Erstens sehen wir uns als deutschen, beziehungsweise europäischer Anbieter, haben aber nur einen Laden als Abholstelle. Der Effekt auf das Gesamtsystem ist nicht so groß. Dem Laden würde es sicher helfen, aber nur wenn es perfekt funktioniert. Die Praxis zeigt aber, dass gerade bei Artikeln mit kleinen Bestandsmengen, auf die sowohl online als auch stationär zugegriffen wird, das Handling sehr komplex wird. Ich möchte keinen Kunden verärgern, weil er online reserviert hat, viele Kilometer fährt und dann den Artikel nicht vorfindet. Dann lieber eine Reservierung per Mail oder telefonisch. Das klappt und man hat einen Ansprechpartner im Laden.

Location Insider: Vor allem Technikhändler setzen immer stärker auf eine Digitalisierung des Point of Sale. Spielt das in Ihrem Lederwarenfachgeschäft auch eine Rolle?

Joachim Stoll: WLAN instore wird vor allem von unseren ausländischen Kunden gut angenommen. Frankfurt lebt immer stärker von Touristen und die nutzen die kostengünstigere Variante und kommunizieren oft mit der Heimat, zeigen unsere Artikel per Foto vor dem Kauf. Wir nutzen zur rechtlichen Absicherung einen Drittanbieter. Gern hätte ich die ganze Einkaufsstraße durch einen Anbieter abgedeckt, Restaurants, Cafés, Läden und öffentlicher Raum. So würden wir internationalem Standard genügen. Kunden hätten nur eine Registrierung für ein ganzes Einkaufsviertel. Aber die Organisation von gemeinsamer Vorgehensweise hat mir auch hier wieder Grenzen aufgezeigt.

Für Q4 werden wir zudem das Angebot unseres Einkaufsverbundes Assima buchen, und zentral gesteuertes Instore-TV testen. Wir sind gespannt, wie die Kunden darauf reagieren.

Zusammen mit Storeplus hat Koffer24 eine Lösung für die digitale Regalverlängerung entwickelt

Zusammen mit Storeplus hat Koffer24 eine Lösung für die digitale Regalverlängerung entwickelt

Location Insider: Sie haben zusammen mit dem Dienstleister Storeplus ein Pilotprojekt aufgebaut, um Online-Sortimente – wie das von Koffer24 – als digitale Regalverlängerung in verwandte Geschäfte zu bringen. Wie entwickelt sich das Projekt?

Joachim Stoll: Lange arbeiten wir schon daran. Erst in diesem Sommer hat es den Durchbruch gegeben und die ersten großen Lieferanten haben die Mitarbeit zugesagt. Die nächsten Monate werden große Marken direkt an Storeplus angebunden. Dann wird sich das System zum Ordertool der Lederwarenbranche entwickeln. Der stationäre Händler kann direkt auf das Lager der großen Marken wie zum Beispiel Sternjakob/Scout zugreifen, um Leerverkäufe zu verhindern. Koffer24 steht dann nur als Backup für diese Marken zur Verfügung, falls es auch beim Hersteller nicht auf Lager ist. Und wir erfüllen diese Funktion für all die Marken, die kein Lager oder keine entsprechende Lagerlogistik haben. Gleichzeitig steigt gerade die Anzahl der Händler, die sich aufschalten lassen an. Wir sind hier auf dem richtigen Weg.

Location Insider: Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem Frankfurter Stammhaus mit der „digitalen Regalverlängerung“?

Joachim Stoll: Technisch ist es bis heute für uns kein Unterschied, ob wir Storeplus oder unser eigenes Warenwirtschaftssystem nutzen. Das ändert sich erst nach der ersten Aufschaltung der Marken. Aber generell führt der Zugriff auf ein größeres Lager, unser Onlineshop-Lager, zu erheblichen Mehrumsätzen – gerade bei Marken, die nicht in ein bis zwei Tagen nachliefern oder Einzelbestellungen liefern können.

Location Insider: Von Pure-Online-Verfechter werden digitale Lösungen am POS gerne als Scheinmaßnahmen abgetan, die den Niedergang des stationären Handels allenfalls verlangsamen. Was entgegnen Sie solchen Meinungen?

Joachim Stoll: Jede Technik, jede Neuheit ist nur ein kleiner Baustein im Auftritt des Händlers. Grundlagen wie Lage, Sortiment oder Kundenfokussierung bestimmen die Überlebenschance des Ladens. Wer sich im Handel nicht anpasst, verschwindet irgendwann. Der Druck auf die Händler in den nächsten Jahren wird stark steigen. Heute schon stehen viele vor der Aufgabe und mitten in der Resignation. Aber viele Händler machen ihre Hausaufgaben und passen sich langsam regelmäßig oder auch mal mit Schwung und Mut zu Entscheidungen an die sich wechselnde Umwelt an. Ein Beispiel: Instore-Technik soll nicht der Technik wegen eingesetzt werden, sondern Ziele wie „längere Aufenthaltsdauer“, „positives Image“, ja auch „Kunden-Entertainment“ zu erreichen. Es muss natürlich mit einem aktuellen Ladenbau und passendem Markenaufbau kombiniert werden. Ich selbst glaube, dass der stationäre Handel Verkaufsstellen verlieren, sich aber anpassen und auch in Zukunft die Städte beleben wird. Anders kann ich mir Städte und Stadtleben nicht vorstellen. Diese Vorstellung schließt Kleinstädte und Stadtteile ohne Handel und ohne dieses Leben nicht aus.

Location Insider: Sie haben Ihr Handelswissen mit dem „Praxisführer E-Commerce“ nun auch in Buchform gebracht. Was wollen Sie mit dem Buch bewirken?

Joachim Stoll: Der Titel richtet sich an Händler ohne E-Commerce- und Online-Erfahrungen und deren Mitarbeiter – aber auch an alle anderen, die im Umfeld arbeiten. Handelsvertreter, Reisende, Mitarbeiter der Industrie werden vom aktuellen Wandel rund um den Handel genauso betroffen wie die Händler selbst. Das Buch erklärt die Grundlagen des Onlineauftritts bis hin zur Kommunikation mit dem Kunden online. Es ist kein wissenschaftliches Werk sondern ein praxisorientierter Text, der auch leicht zu lesen ist.

Local Heroes ist nicht nur der Titel unserer Artikel-/Buchserie über Musterbeispiele für die Verknüpfung von Online und Offline. Wir betrachten die Local Heroes auch als eine Klasse von Händlern, die dem Einzelhandel den Weg in die Zukunft weisen. Deshalb verfolgen wir kontinuierlich die weitere Entwicklung dieser digitalen Vorreiter im Handel. Auch in diesem Jahr nutzen wir die ereignisärmeren Sommerwochen, um im Rahmen einer Interview-Serie über die aktuellen Fortschritte ausgewählter Local Heroes zu berichten. Dabei zeigt sich ganz klar: Die Local Heroes sind gekommen, um zu bleiben.

Zum Download der Buchfortsetzung „Local Heroes 2.0: Neues von den digitalen Vorreitern im Einzelhandel“ geht es hier.


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