The Retail Revolution: Vier Trendthemen für den Handel der Zukunft.
von Gastautor am 27.November 2018 in Highlight, News, Trends & AnalysenEine herausragende Customer Experience lässt Konsumenten zu Kunden werden. Aber wie erschafft man diese perfekte Shopping-Erfahrung? Reply hat mithilfe seines Trend-Tools SONAR die vier Trendthemen identifiziert, die Sie kennen müssen, um im Retail der Zukunft zu bestehen.
Von Dr. Thomas Hartmann (Reply)
Ein Internet-Versandhandel, der es geschafft hat, sich einen Platz unter den wertvollsten Unternehmen der Welt zu sichern, wird wissen, wie Einzelhandel richtig geht. Als Retailer einen Blick darauf zu werfen, wie Amazon im Markt agiert, ist sicher eine gute Idee. Und doch sind es nicht nur die Konzepte und Strategien des amerikanischen Online-Versandhandelsriesen, die es anzuschauen lohnt, wenn man eine genaue Vorstellung vom Handel der Zukunft erhalten möchte.
Um einen umfassenden Überblick über die Trends zu erhalten, die den Einzelhandel aktuell bewegen und in naher Zukunft verändern werden, hat Reply mithilfe seines Trend-Tools SONAR eine quantifizierte Vorschau auf Basis von Patentanmeldungen, wissenschaftlichen Publikationen, Fach- und Massenmedien ermittelt. Sie identifiziert die wichtigsten Entwicklungen für den Einzelhandel, nimmt die größten Player unter die Lupe und stellt interessante Use Cases zusammen, die zeigen, wie sich Unternehmen, Marken und Produkte neu erfinden und zukunftssicher platzieren können.
Die Schlagworte, auf die es sich aufgrund der aktuellen Reply SONAR-Studie für den Einzelhandel zu fokussieren gilt und die Retailern dabei helfen werden, Kunden eine perfekte Customer Experience zu bieten, sind V-Commerce, Human-centered Interfaces und Data-driven Enterprise – und der Blick sollte in jedem Fall immer auch in Richtung China gerichtet werden. Die Trends, die sich in rasantem Tempo in der asiatischen Großmacht etablieren, lohnen auf jeden Fall eine eingehende Betrachtung.
V-Commerce: Technik trifft Einzelhandel
Das Trendthema, das nach Einschätzungen von ABI Research bis 2020 für drei Prozent des Umsatzes im E-Commerce – und damit einen Umsatz von 122 Milliarden USD weltweit – verantwortlich sein wird, ist V-Commerce. Der Begriff steht für Virtual Reality Shopping, sprich die Integration von VR- und AR-Applikationen in die Customer Experience. Der V-Commerce bietet den Verbrauchern den Komfort des Online-Shoppings auch im stationären Handel, um den Shop sowie die angebotenen Produkte und Dienstleistungen auf eine ganz neue Art und Weise zu erleben. Mit Hilfe von VR- oder AR-Anwendungen können Kunden Produkte – zu Hause oder im Geschäft – einfacher, persönlicher und spielerischer testen. Das alles sind Möglichkeiten, die positiv auf die Customer Experience einzahlen.
Dabei wird die Virtual-Reality-Technologie (VR) eher eine Nebenrolle spielen, während Augmented-Reality-Apps (AR) immer weiter in den Vordergrund rücken, so die Vorhersage von Stewart Rogers, Autor und Analyst bei VentureBeat. Seiner Meinung nach werden „Händler, die mobile AR innerhalb der nächsten sechs Monate nicht für sich entdecken, an Boden verlieren.“ In den Fokus des Einzelhandels ist die Technologie im Herbst 2016 gerückt, als Microsoft neue Features für seine HoloLens ankündigte, mit denen es möglich ist, virtuell zu testen, wie sich ein bestimmtes Möbelstück im eigenen Zuhause einfügt.
Im Jahr 2018 unternahm nun auch Amazon einige bedeutende Schritte in den Virtual-Reality-Markt. Zum einen werden in Zusammenarbeit mit HTC die Viveport VR-Apps des Unternehmens über Amazon vertrieben. Außerdem eröffnete der Versandhandelsriese in Indien zehn VR-Shopping-Kioske, deren Ziel es war, für den Prime Day zu werben und Kunden die Möglichkeit zu bieten, Produkte virtuell zu erkunden oder Kleidung auf einem 360-Grad-Hologramm „anzuprobieren“.
Auch Facebook steht in den Startlöchern für die AR-Shopping-Erfahrung. Ab Herbst 2018 wird Facebook Augmented Reality verwenden, um Anzeigen in die Messenger-App und den News Feed zu integrieren. Diese AR-Ads sehen zunächst wie normale In-Feed-Anzeigen aus, enthalten aber eine „Tap to try it on“-Option, die eine AR-Funktionalität öffnet: Ein Werbetest des Modelabels Michael Kors wird die User beispielsweise virtuell Sonnenbrillen anprobieren lassen.
Weiter in die Zukunft des V-Commerce denkt bereits Michael Valdsgaard, Leiter Digitale Transformation bei Inter IKEA Systems B.V.: „Es könnte irgendwann so sein, dass Sie Kontaktlinsen einsetzen und kein Telefon mehr anschauen müssen. Wir stehen wirklich am Anfang des Urknalls mit AR und fangen an zu verstehen, wie die Technologie den Alltag für die Menschen besser machen kann.“
Human-centered Interfaces: Barrieren innerhalb der Customer Experience eliminieren
Das Bestreben des V-Commerce, dem Konsumenten eine unmittelbarere und intuitivere Interaktion mit Marken und Produkten zu bieten, ist auch das Ziel eines weiteren Trends im Retail: Der Einsatz von Human-centered Interfaces (HCIs). Sie stützen die Vision Valdsgaards, das Smartphone als letzte Barriere zwischen Mensch und Produkt mehr und mehr in den Hintergrund rücken zu lassen. Geschafft werden kann das neben den von ihm ersonnenen Kontaktlinsen auch durch Schnittstellen wie sprach- und gestengesteuerte digitale Assistenten. Im Hinblick auf den Einzelhandel werden diese Technologien die Hindernisse entlang der Customer Journey deutlich verringern, die Kommunikation und den Zugang zu Informationen erleichtern und eine wesentlich intimere und emotionalere Kundenbeziehung ermöglichen.
Vor allem die Höhen der Investitionen, die in diesem Bereich getätigt werden, und die Richtungen, in die sie fließen, zeigen die Bedeutung, die dem Thema aktuell beigemessen wird. So etwa die Microsoft-Akquisition des auf Conversational AI spezialisierten Start-ups Semantic Machines, das dabei helfen soll, Cortana menschlicher klingen zu lassen. Hinzu kommt eine Investitionssumme von 23 Millionen USD, die Microsoft zusammen mit Salesforce in das Start-up Helpshift investiert hat, das mobile und webbasierte, KI-gestützte Chatbots für Online Retailer entwickelt, um den Kundendienst zu verbessern.Die Bots können unter anderem verwendet werden, um Produkte vorzuschlagen, klärende Fragen zu stellen und Feedback anzufordern. So können Händler Kosten sparen und datengetriebene Erkenntnisse zur Verbesserung ihres CRM nutzen. Gary Vaynerchuk, CEO bei Vaynermedia und einer der frühen Investoren in Facebook und Twitter, ist sich sicher: „Vor AR und VR sowie AI wird Audio die nächste große Plattform für die Aufmerksamkeit der Verbraucher sein.“
Neben Microsoft ist Amazon mit seinem Echo Dot ein maßgeblicher Anbieter und Entwickler von sprachgesteuerten Assistenten. Aber wie kann dieser digitale Assistent, der vielen eher unter dem Namen „Alexa“ ein Begriff ist, am besten für eine reibungslose Customer Experience eingesetzt werden? Ein Beispiel bietet LG’s IntaViewThinQ, ein Alexa-fähiger Kühlschrank, der daran erinnert, wenn die Lebensmittel knapp werden oder kurz davorstehen, zu verderben, und der gleichzeitig die Fähigkeit besitzt, neue Lebensmittel zu bestellen. Der Kühlschrank kann darüber hinaus auch Rezepte vorschlagen, die auf seinem Inhalt basieren, den Ofen automatisch vorheizen und den Geschirrspüler entsprechend einstellen.
Oder aber Echo Look, ein digitaler Fashion-Assistent: Durch die Kombination von maschinellem Lernen und Beratung durch Modeexperten gibt die sprachgesteuerte Selfie-Kamera von Amazon den Besitzern Mode-Tipps und hilft ihnen, neue Kleidung zu entdecken. Dies ermöglicht es Amazon, Daten über Modebedürfnisse und -präferenzen zu sammeln und dadurch die eigene Modelinie auf eine persönlichere Art und Weise anzubieten.
Zahlen, die der Walker Sands Future of Retail Report von 2017 angibt, sprechen dafür, dass sich Amazon Echo großer Akzeptanz erfreut und sich bereits sehr tief in der Etablierungsphase befindet. Der Studie zufolge hat einer von fünf Konsumenten bereits einen sprachgesteuerten Einkauf durch Amazon Echo oder einen anderen Home Assistant getätigt, ein weiteres Drittel plant, seine Einkäufe ab nächstem Jahr auf diese Weise zu gestalten. Wie viele Consumer Devices, die diese Services unterstützen, dafür 2018 bereits im Einsatz sind, hat IHS Markit herausgefunden: Fünf Milliarden Geräte haben Verbraucher für die Nutzung digitaler Assistenten bereits im Gebrauch. Bis 2021 sollen weitere drei Milliarden hinzukommen.
Data-driven Enterprise: Die Kunst aus Daten Werte zu schaffen
Wenn aus all diesen Ideen Geschäftsmodelle entstehen sollen, darf jedoch eines nicht fehlen: Das Gold des 21. Jahrhunderts, die Daten. Aber vorsicht, hier geht Qualität vor Quantität: „Erfolgreiche Unternehmen verstehen, dass die Datenmenge weniger wichtig ist als die Fähigkeit, die Datenpunkte zu verbinden und den Wert aus allen Informationen zu extrahieren“, bringt Kantar Vermeer 2017 das Thema treffend auf den Punkt. Durch die Umsetzung relevanter Daten in nützliche Erkenntnisse können Unternehmen maßgeschneiderte Lösungen für interne Prozesse und ihre Kunden entwickeln, wobei das exponentielle Wachstum der Daten Unternehmen zwingt, schnelle und effiziente Wege zu ihrer Verarbeitung und Analyse zu finden. Datengetriebene Strategien durch fortschrittliche Geschäftsanalysen, operative Intelligenz und maschinelles Lernen sind ein Muss für Unternehmen, um ihre Position zu halten und auszubauen.
Auch die Aufmerksamkeit der Medien für das Thema Data-driven Enterprise hat in den letzten zwölf Monaten stark zugenommen. Das Datenangebot und der Nutzen datengetriebener Entscheidungen steigt, und dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Immer mehr Handelsunternehmen entscheiden sich für Datenerhebungen und -analysen, um ihre Abläufe und Kundeninteraktionen zu verbessern, indem sie zunehmend auch Datenpunkte zum Offline- und Online-Verhalten über verschiedene Plattformen, Branchen und Anwendungsfälle hinweg zusammenführen. Fortschritte in der Datenanalyse und künstlicher Intelligenz – als Beispiele seien hier Bilderkennung und natürliche Sprachverarbeitung aufgeführt – werden diesen Trend sicherlich noch weiter vorantreiben.
Und doch sind es in diesem Bereich vorrangig Technologieunternehmen, die aktuell das öffentliche Interesse auf sich ziehen. Darunter befinden sich die auf Datenanalyse und maschinelle Lern-Hard- und -Software spezialisierten Unternehmen Cambricon und ByteDance, die in den vergangenen zwölf Monaten ein enormes Wachstum hingelegt haben. Die größte Aufmerksamkeit bekamen 2017 und 2018 jedoch Nvidia und Google aufgrund ihrer Fortschritte in der Chip-Technologie, die sich auf Anwendungsfälle im Bereich des maschinellen Lernens konzentrieren.
Auch die im gleichen Zeitraum getätigten Investitionen weisen auf einen stark boomenden Trend mit Wachstumspotenzial hin. Salesforce erwarb etwa für 800 Millionen USD das KI-Startup Datorama. 42,5 Millionen USD ließ Nvidia in ABEJA fließen, ein Unternehmen, das Geschäftslösungen für Einzelhändler entwickelt, die KI und Deep Learning nutzen.
Mit Nike und seiner Akquisition der Analytics-Firma Zodiac machte 2018 aber auch ein Player aus dem Retail zum Thema Data-driven Enterprise von sich reden. Die Sportmarke hat bereits genau definierte Digitalisierungspläne, die das Unternehmen unter der Überschrift „Consumer Direct Offense“ zusammenfasst. Bei der Strategie geht es darum, personalisierte Produkte schneller zu entwickeln und dabei die Skalierbarkeit nicht aus den Augen zu verlieren – ein Ziel, das nur mit validen Daten als Grundlage umzusetzen ist. Hierfür ist Zodiac mit seinem Know-how im Bereich der Analyse von Konsumentendaten der gefundene Partner.
China Commerce: Asien kennt unsere Zukunft
Während die westliche Welt an vielen Ideen und Technologien feilt, die den Einzelhandel nach vorne bringen, ist man in Asien – genauer gesagt China – bereits auf einem ganz anderen Level unterwegs. Hier hat E-Commerce-Visionär und Alibaba-Gründer Jack Ma die Ära des „New Retail“ ausgerufen: Eine nahtlose Verschmelzung von Offline-PoS, digitalen Technologien und Next-Level-Logistik für eine dynamische neue Welt des Einzelhandels, die durch mobiles Online-Zahlen ermöglicht wird. Chinas E-Commerce-Plattformen entwickeln sich damit zu einer neuen Weltordnung des Einzelhandels, ihre Hauptwährung sind Daten.
Die Investitionen, die in China getätigt werden, sind enorm: Der Online-Versandhandel Alibaba investierte 2017 beispielsweise 2,9 Milliarden USD in Sun Art Retail, das mehrere bekannte Supermarktmarken betreibt – und bewirkt damit eine Verschmelzung des On- und Offline-Handels.
Auch Google hat den chinesischen Markt für sich entdeckt und investierte 550 Millionen Dollar in Chinas zweitgrößten E-Commerce-Anbieter JD.com. Gemeinsam arbeiten die Unternehmen nun an der Entwicklung einer besseren Handelsinfrastruktur in mehreren Märkten.
Aber welche Ideen umgeben den chinesischen Einzelhandel konkret? Was genau sind die Konzepte, mit denen der chinesische Einzelhandel an den westlichen Wettbewerbern vorbeizieht? Vor allem einem Aspekt der Customer Experience, der den Einzelhandel weltweit vor eine Herausforderung stellt, begegnet man in China mit neuen Ideen: dem Bezahlvorgang. Gerade in diesem Bereich sind die Asiaten sehr innovativ. Die prominentesten Anbieter neuer Bezahlmethoden sind WeChat Pay und Alipay, auf deren mobile Bezahlanwendungen Geschäfte und Dienstleistungen zunehmend setzen. Viele Ladenbetreiber nutzen aber auch Technologien, die unbemannte Kassen ermöglichen und gleichzeitig wertvolle Daten sammeln.
Mehr und mehr entstehen im Reich der Mitte automatisierte Convenience Stores ohne Mitarbeiter, die Technologien wie Gesichts- oder QR-Scan nutzen, um das Kundenerlebnis im Geschäft zu verbessern. Kunden solcher Geschäfte nehmen sich die Produkte ihrer Wahl aus den Regalen und können den Laden direkt im Anschluss verlassen – die Rechnung wird automatisch in der Alipay-App erstellt. Oder Produkte werden automatisch mit RFID-Chip erkannt und Kunden zahlen mit Wechat Pay.
Aber das alles kann morgen schon wieder ganz anders aussehen: „Wie alles andere in China verändert sich auch der FMCG-Einzelhandel in rasantem Tempo – mit riesigen Belohnungen für Marken, die sich schnell an die neuen Regeln anpassen“, so Bruno Lannes, Partner des Bain & Company’s Office in Shanghai.
Über die SONAR Trend-Plattform
Mit der SONAR Trend-Plattform ist Reply in der Lage, einen Überblick und eine Darstellung relevanter Trends rund um den Handel und die vier Branchen Lebensmittel, Fashion, Möbel/Baumarkt und Unterhaltungselektronik zu schaffen, die in Fachmedienartikeln, Massenmedien, Patenten und wissenschaftlichen Publikationen Beachtung finden. Typischerweise startet ein Thema als Nischentrend, wird mit zunehmenden Nennungen in den Medien zu einem wachsenden „echten“ Trend, bis er sich dann zu einem boomenden Trend durchgesetzt hat. Als boomende Trends werden solche Entwicklungen angesehen, die in einem Zeitraum über die letzte zwölf Monate überdurchschnittlich hohe öffentliche Aufmerksamkeit erhalten haben. Am Ende der Entwicklung ist der Trend etabliert und erhält zwar noch überdurchschnittliche Aufmerksamkeit – aber mit stagnierender oder sinkender Tendenz.
Über den Autor:
Dr. Thomas Hartmann ist Vorstand der Reply AG. In dieser Funktion analysiert und adaptiert er permanent neue Trends sowie Marktentwicklungen für das international tätige Reply Netzwerk in Deutschland. Er verfügt über langjährige Expertise in den Bereichen Cloud, Customer Experience, Big Data und IoT. Sein besonderer Fokus liegt dabei auf der Entwicklung von Wachstumsstrategien, digitalen Transformationsprojekten in allen Industriebranchen sowie der Betreuung und des Ausbaus des Reply Netzwerks.
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