Kleinteilige Innenstädte sind die Zukunft: Ladenbau-Präsident Carsten Schemberg im Interview.

von Florian Treiß am 12.Juli 2021 in Highlight, Interviews, News

„Generell ist guter Ladenbau oder gutes Design immer individuell“, sagt Carsten Schemberg, Präsident des Deutschen Ladenbau Verbandes. Er ist außerdem Mitglied in der Jury für den „Store of the Year“, die jährlich die innovativsten, interessantesten und besten Storekonzepte prämiert. Schemberg verrät: „Ausgezeichnete Projekte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie den Inhalt der Marke, die Nachricht, deren DNA, so transportieren, dass derjenige, der einen Raum betritt, das sofort versteht, und dass das die Marke unterstützt.“ Der langjährige Experte für Ladenbau führt in mittlerweile dritter Generation das Familienunternehmen Theodor Schemberg Einrichtungen in Mettingen. In einem Vorab-Interview zum Trendforum Retail am 6./.7. Oktober in Frankfurt, wo Schemberg einer der Speaker ist, wagt er für Location Insider einen Blick in die Zukunft: „Die Innenstadt in fünf oder sechs Jahren wird kleinteiliger, variabler, neue Formen des Handels haben.“

Location Insider: Corona hat das Handelsgeschehen seit über einem Jahr im Griff. Wie geht es der Ladenbau-Branche damit?

Carsten Schemberg: Es ist differenziert. Es gibt viele Ladenbauer, die für Kunden gearbeitet haben, die nicht sehr von der Pandemie betroffen waren, weil sie systemrelevant waren. Für diese Ladenbauer war die Situation zwar immer noch sehr anstrengend, aber sie sind einigermaßen durch die Krise durchgekommen. Bei vielen, die für Kunden gearbeitet haben, die vor allem im Textilbereich tätig waren, sieht es anders aus. Viele haben versucht, sich mit Hygieneprodukten zu helfen, also Trennwänden und dergleichen. Deswegen gibt es kein einheitliches Bild, wie es dem Ladenbau geht. Momentan mit niedriger Inzidenz und Lockerungen erholt sich die Lage wieder etwas für alle. Das Problem, Aufträge zu bekommen, hat sich jetzt aber dahin verschoben, Material zu bekommen.

Location Insider: Das heißt, die Lieferketten sind gerade gestört?

Carsten Schemberg: Ja, in allen Bereichen, die man sich vorstellen kann. Das fängt an bei Spanplatten, die eine enorme Lieferzeit haben. Man bekommt zwar Material, es ist bloß die Frage, wann? Die Branche war es gewohnt, so im Prozess zusammenzuarbeiten, dass man leistungsfähige Lieferanten hat und dass der Kunde deswegen darauf bauen kann, dass wir schnell und flexibel sind. Das ist die Kernkompetenz und Kernqualifikation eines Ladenbauers. Aktuell haben einzelne Dekore bei Spanplatten allerdings zwanzig Wochen Lieferzeit. Das kann man auch nicht vorausordern, denn wir können nicht den Spanplattenbedarf von zwanzig Wochen einlagern.

Und das betrifft nicht nur Spanplatten. Das betrifft Schrauben, das betrifft Leime und alles, was aus Chemikalien ist. Es ist auch nicht grundsätzlich so, dass nichts lieferbar ist. Einige Einzelteile sind lieferbar und andere nicht. Man bevorratet sich mit dem, was man bekommen kann. Und das verschärft natürlich nochmals die Materialsituation. Vor allem die stahlverarbeitenden Ladenbauer sagen, wir müssen jetzt ganz viel Stahl reservieren, weil wir keinen Stahl mehr bekommen.

Location Insider: Lassen Sie uns in die Innenstädte blicken. Wie stellen Sie sich die Innenstadt der Zukunft vor?

Carsten Schemberg: Ich glaube, das ganze Leben wird so wie die Gesellschaft variantenreicher und komplexer werden. Früher gab es ein oberes und ein unteres Segment. So eine Einfachheit wird es nicht mehr geben. Es gibt die Leute, die unverpackt einkaufen wollen, und dafür gibt es ganz, ganz kleine Läden. Einen riesigen Unverpackt-Laden auf zweitausend Quadratmetern wird es erst einmal nicht geben. Denn nicht alle Leute wollen in einem Unverpackt-Laden einkaufen, weil sie es sich nicht leisten können.

Es wird also viele Nischen geben in einzelnen Bereichen, sei es, dass man Kleidungsstücke gebraucht abgibt und wieder abholt. Wir werden eine kleinteiligere Landschaft erleben, die sich spezialisiert auf den einzelnen Endkunden.

Auf der anderen Seite gibt es Flächenumnutzung in den Innenstädten, wo aus verschiedenen Gründen Flächen frei werden. Fitnesscenter und Lebensmittelläden werden in die Innenstädte zurückkommen, Alten- und Pflegeeinrichtungen oder auch Möbelhäuser und Fahrradläden. Das bietet unheimlich viele neue Chancen. Aber es wird nicht alles auf den Kopf gestellt sozusagen, weil der Verbraucher immer noch seine bestimmten Vorlieben hat. Den Mainstream wird es weiterhin geben, aber daneben kommen neue Formen. Jetzt erleben wir eben im Zeitraffer, dass Marken verschwinden oder aufgekauft werden, sich neu erfinden.

Die Innenstadt in fünf oder sechs Jahren wird kleinteiliger, variabler, neue Formen des Handels haben. Viel mehr solche Sachen wie Retail as a Service als Gedanke, auch mehr Flagship-Stores von einzelnen Marken, also Experience-Stores.

Location Insider: Im Programm des Trendforums Retail werden Sie damit zitiert, dass neue Formate sehr wichtig und geradezu ein existenzielles Thema für den Handel sind. Wieso ist das existenziell? An welche Formate denken Sie dabei? Retail as a Service hatten Sie schon angesprochen.

Carsten Schemberg: Diese Experience-Stores und Retail as a Service in Verbindung mit den Stores, die verschiedene Dinge verbinden wie eine Buchhandlung inklusive Café, wo bestimmte Sachen zusammenwachsen.

Der Handel arbeitet momentan sehr stark daran, die Vernetzung von on- und offline auf die Fläche zu bekommen. Das ist eine Sache, die für kleinere Händler schon schwierig ist. Aber der Kunde erwartet eben diese durchgängige Lösung. Bei Marken wie zum Beispiel im Bereich der jungen Mode, Schuhe oder Sneaker, möchte man online nachsehen, ob es den Schuh noch in der passenden Größe gibt. Das bedeutet für den Handel natürlich, dass das Warenwirtschaftssystem darauf abgestimmt sein muss. Und dann muss der Kunde die passenden Sachen auch abholen können und idealerweise auch ganz einfach über sein Handy direkt bezahlen, muss also gar nicht an die Kasse. Da sehe ich die größten Veränderungen von Organisation und Ablauf.

Location Insider: Um noch einmal auf den Ladenbau zurückzukommen, wie digital ist Ihre Branche denn?

Carsten Schemberg: Alle Mitglieder bei uns im Verband sind diejenigen, die einen Händler generell unterstützen bei dem, was er vorhat. Neben dem Einbau der Technik wie z.B. einer Self-Checkout-Lösung, ist der Ladenbauer auch oft der Partner bei der Umsetzung von Konzepten. Das können z.B. digitale Wände sein, die Inhalte wiedergeben. Diese Dinge können von den Mitgliedern unseres Verbands oder der Firma Schemberg für den Handel umgesetzt werden.

Woran es meistens mangelt, ist aus meiner Sicht, dass diese Experience keinen besonderen Mehrwert bietet. Ich glaube, dass es darauf ankommt, dass der Ladenbauer der ist, der den gesunden Menschenverstand teilweise mit hineinbringen und sagen muss: „Was bringt das Ganze denn dem Kunden?“ Man kann unheimlich viele Sachen machen, die schön blinken, aber der Kunde geht ja letztendlich in ein Geschäft, weil er die Ware erleben will. Und er will auf der anderen Seite auch einen Menschen erleben, der ihn in der richtigen Art und Weise anspricht. Alles andere bekommt er im Internet viel besser, weil es da wunderbare Webshops mit Größenberatung gibt. Was manchmal vergessen wird, ist, dass der Kunde in den Laden kommt aufgrund des Erlebnisses. Und da gibt es digitale Mehrwertkonzepte, die dem Kunden bestimmte Dinge vereinfachen. Da gibt es jede Menge Möglichkeiten.

Der Ladenbauer ist der, der die Konzepte mitentwickelt. Wir können eine Frequenzzählung einbauen. Wir bauen zum Beispiel auch eigene Steuerungen für Kunden, die Personal rufen können. Oder die Kasse blinkt dreimal und es wird durchgesagt: „Es öffnet jetzt Kasse fünf für Sie.“ Dahinter steht aber immer der Nutzen für den Endverbraucher.

Location Insider: Wo sehen Sie denn momentan wegweisende Trends im Ladenbau, besonders schöne Konzepte?

Carsten Schemberg: Generell ist guter Ladenbau oder gutes Design immer individuell. Ausgezeichnete Projekte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie den Inhalt der Marke, die Nachricht, deren DNA, so transportieren, dass derjenige, der einen Raum betritt, das sofort versteht, und dass das die Marke unterstützt.

Der Verbraucher ist es gewohnt auf seiner Customer Journey, dass er vom ersten Kontakt im Fernsehen, im Radio, übers Internet oder übers Ladengeschäft bis zum Ausprobieren der Marke ein durchgehendes Erlebnis hat. Das heißt also, gute Läden sind die, wo diese Journey und wo diese Einheitlichkeit gegeben ist. Da steht dann nicht das Design im Vordergrund, sondern es steht immer das Produkt im Vordergrund. Es ist natürlich unterschiedlich, ob ich jetzt in einem Café bin oder in einer Bäckerei. Das Storytelling muss entsprechend passen.

Und natürlich auch Inszenierungen, die eher im Luxusbereich liegen, wo man im Fashion-Bereich ein Luxusprodukt so darstellt, dass der Kunde sagt, das ist Luxus. Es geht um das Warenerlebnis am Point of Sale, darum, die Verweildauer zu erhöhen. Es geht immer darum, dass man eine Marke erlebbar macht und dass man dadurch bedingt in einem Brand Shop sagen kann, ich verstehe die Marke XYZ. Da ist die Ladengestaltung nur ein Teil. Das geht dann zum Mitarbeiter und noch weiter.

Location Insider: Glauben Sie, wenn Brand-Stores auf dem Vormarsch sind, dass es der Multi-Label-Handel in Zukunft noch schwieriger haben wird, gerade im Modebereich?

Carsten Schemberg: Die Standorte sind sehr unterschiedlich. Wir haben nicht nur München und Berlin, sondern auch andere Städte. Es kann nicht überall einen Marken-Store oder einen Brand-Store geben. Deswegen glaube ich schon, dass Multi-Label-Stores eine Zukunft haben. Es gibt ja nicht nur die Markengläubigen, die sagen, ich trage nur diese Marke. Es gibt ja auch die Leute, die einfach nur etwas anzuziehen wollen, deswegen gehen sie z.B. ins Alsterhaus. Diese Einkaufsstätte ist nicht für jeden etwas. Man muss immer fragen, warum sollte da ein Kunde einkaufen? Es ist doch toll, dass ich mir fünf verschiedene Taschen ansehen kann im Damenbereich. Ich will nicht nur diese eine Marke haben, sondern ich will auch einmal etwas Neues aus Italien entdecken. So lange wird es Multi-Label-Stores geben. Aber die müssen dann natürlich auch eine bestimmte Kernbotschaft haben. Und wenn es so ist, dass der Kunde sagt, ich möchte einmal etwas Neues erleben, dann müssen die das natürlich auch bieten. Dieses Verständnis, warum geht der Kunde wirklich zu mir, das machen sehr viele sehr gut.

Location Insider: Vielen Dank für das spannende Gespräch!

Veranstaltungstipp

Das Credo des Trendforum Retail (6. und 7. Oktober 2021 in Frankfurt/Main) lautet: „Gib dem Kunden einen Grund zu kommen, gib ihm einen Grund zu bleiben und einen Grund, darüber zu sprechen!“, wie Veranstalter Daniel Schnödt sagt. Digitalisierung endet also nicht am faszinierenden POS, sondern verbreitet sich bis in die Küche oder den Urlaubsort.

Die zweitägige Veranstaltung startet wie immer mit einer Storetour durch die Retailszene Frankfurts. Beim gemeinsamen Vorabendevent nehmen die Teilnehmer*innen sich die Zeit zum gemeinsamen Networking. Der zweite Tag wird gespickt sein mit Top-Referenten und Best Practises aus dem Einzelhandel. Der Fokus der diesjährigen Veranstaltung liegt neben den digitalen Aspekten auch auf den neuen Säulen des Retails mit autonomen Formaten, Experience Economy und auch revolutionäre Erlebniswelten.

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Lesen Sie gern auch unser anderes Vorab-Interview zum Trendforum Retail mit Nicole Srock.Stanley. Sie spricht darüber, wie Shopping zum Erlebnis werden kann.


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