„Live Shopping wird bald noch mehr Kunden erreichen“: Interview mit Marco Burkhardtsmayer.

von Florian Treiß am 14.Juni 2021 in Highlight, Interviews, News

Nachdem Live Shopping in Asien schon länger populär ist, haben auch führende Brands und Retailer in Europa während der Corona-Lockdowns das Format für sich entdeckt, zum Beispiel Esprit oder Tchibo. Oft im Hintergrund dabei: Marco Burkhardtsmayer und seine Firma MuSe Content. Zuvor vor allem auf die Content-Produktion für Digital Signage spezialisiert, ist sein Unternehmen heute einer der wichtigsten Wegbereiter von Live Shopping in Europa und hat dafür den Ableger Muse Live gegründet. Im Interview erklärt Marco Burkhardtsmayer, was den Reiz von Live Shopping ausmacht und ob es auch nach Lockdown-Ende relevant bleiben wird.

Location Insider: Wie seid Ihr zum Live Shopping gekommen?

Marco Burkhardtsmayer: Witzigerweise noch bevor es richtig hip war. Ich habe zum ersten Mal damit im Sommer 2019 zu tun gehabt. Das hat mich gleich getriggert und ich habe zwei, drei Konzepte geschrieben, habe die vorgestellt und habe mir aber von allen einen Vogel abgeholt. Alle haben gesagt: „Was soll das? Bist du wahnsinnig? Braucht kein Mensch.“ Ich habe es nicht platziert bekommen, trotz guter Kontakte. Und dann kam der erste Lockdown im März 2020. Alle waren in Schockstarre und als dann die Frage war, wie können wir jetzt mit dem Lockdown umgehen, wir haben stationär geschlossen, wie holen wir den Kunden ab?

Da habe ich die Konzepte dann in die Führungsetagen der Unternehmen geschickt, unter anderem Orsay, Marc Cain und Calida. Und sie sind von diesen Kunden aufgenommen und umgesetzt worden.

Location Insider: Wie darf ich mir das vorstellen?

Marco Burkhardtsmayer: Wir haben Live Shopping direkt aus den geschlossenen Stores gemacht, um so für den Kunden da zu sein. Natürlich wünscht sich jeder einen Absatzkanal, aber es war nicht fokussiert, dass es im Vordergrund stand, wir müssen jetzt zwei Millionen Euro pro Live Stream machen, sondern es ging darum, in dieser schweren Zeit für den Kunden, obwohl man geschlossen hat, stattzufinden und da zu sein aus dem Store heraus.

Und das ist tatsächlich, was uns von vielen Marktbegleitern unterscheidet. Wir sind keine Webshop-Firma, wir denken diese ganzen Dinge aus der klassischen Retail- und Brand-Perspektive heraus.

Location Insider: Aber mit Live Shopping wird stationärer Handel uncool, oder?

Marco Burkhardtsmayer: Ich bin nach wie vor großer Fan von den schönen Stores, die es gibt. An dem Konzept halte ich heute noch gerne fest. Aber ich finde, Live Shopping gibt eine sehr persönliche Ebene und wir haben in den Streams gemerkt, die Leute fragen aktiv nach, z.B.: „Hey cool, könnt ihr den Store mal zeigen oder da hinten so eine gelbe Jacke, könnt ihr die mal zeigen?“ Man merkt, dass die Kunden sich das gerne anschauen.

Location Insider: Marc Cain, Calida, Orsay waren die ersten. Habt Ihr das mittlerweile auf andere Kunden ausgeweitet?

Marco Burkhardtsmayer: Das haben wir. Es kommen wöchentlich Neue hinzu wie zum Beispiel Breuninger. Oder Tchibo, die sind jede Woche live, getreu dem Motto: jede Woche eine neue Welt. Bei Tchibo machen wir die komplette Produktion für diese Dinge, Produktion, Regie, die komplette Umsetzung. Und Esprit geht im Zwei-Wochen-Turnus live.

Blick in eine Live-Show von Esprit

Location Insider: Wer ist Eure Konkurrenz?

Marco Burkhardtsmayer: Es gibt nur vier Anbieter auf dem Markt. Hello Lisa und Live Buy sind Startups, die sich dem Thema angenommen haben, Bambusa ist ein Riese aus Schweden, der sich dem Thema angenommen hat, der aus dem Journalismus kommt. Weil die haben für Schweden so eine Übertragungs-App entwickelt. Ich kann kein anderes Beispiel dafür finden: Wenn dein Nachbar den Elch umfährt und du bist Journalist, dann nimmst du dein Handy raus, drückst auf Bambusa und kannst live vom Unfallort streamen. Das ist so ein schwedisches Ding und das haben die jetzt adaptiert. Und dann gibt es noch uns und dann hast du aber schon den gesamten Markt, mehr gibt es da nicht. Dann gibt es ein paar amerikanische Formate, das ist aber alles relativ irrelevant im deutschsprachigen Raum. Und bevor die Frage kommt, keiner der Großen, Facebook, Amazon, Google, oder TikTok, oder Insta planen aktuell mit einer äquivalenten Lösung in den Markt zu gehen, nicht in Europa, Stand heute.

Location Insider: Manchmal nutzt Ihr Eure eigene Technologie, manchmal auch die von anderen?

Marco Burkhardtsmayer: Ja, ich arbeite mit allen Marktbegleitern zusammen. Warum tue ich das? Das hat einen ganz einfachen Hintergrund, wir sind die Einzigen am Gesamtmarkt, die anderen machen alle Software, aber nichts anderes. Das heißt, du kaufst dir eine Software, die willst du benutzen, weißt aber nicht, wie du sie benutzt. Und deswegen haben wir Muse Live gegründet, eine kleine Agentur. Und die hat zwar ebenfalls die Software, aber die hat aber ebenfalls noch diese Achse mit drin, dass wir Konzeption, Produktion, Analyse, wirklich alle diese Bereiche abdecken. Und das ist das, was die Kunden sehr ansprechend finden.

Normal hast du eine Produktionsfirma, die sagt: „Ja, wir haben schon mal einen Live Stream für Audi gemacht.“ Dann sagst du: „Ja, aber Live Shopping ist schon noch einen Ticken anders, das muss viel schlanker sein. Es darf nicht so teuer sein.“ Da steigt eine große Produktion schon aus. Dann hast du als nächsten Pfad in der Konzeption genau das gleiche Problem. Dann kommen die Werbeagenturen und bauen ein Konzept für dreißigtausend Euro. Das bekommst du im ersten Livestream nicht wieder rein, wenn du das jedes Mal machen musst. Und das heißt, alles, was du einzeln von den Großen nehmen kannst, ist viel zu groß und wir haben gesagt: „Komm, wir machen das ganze Thema End to End sauber.“

Location Insider: Und wie sind die Zahlen der Viewer im Stream?

Marco Burkhardtsmayer: Unterschiedliche IPs werden gezählt. Dann hast du Unique Viewer, die sind irgendwo in den Tausendern. Und wenn du große Shows machst, zum Beispiel Breuninger, geht es in die Zehntausender.

Bei einigen unserer Kunden sind die Conversion Rates so um die acht Prozent. Die Conversion Rates sind im Live Shopping viel höher als im klassischen Online Shop, weil du viel mehr Impulskäufe hast.

Location Insider: Was fasziniert dich generell an Live Shopping?

Marco Burkhardtsmayer: Die Variabilität, du kannst alles machen, es gibt keine Grenzen. Wenn du unsere Streams anguckst, wo wir konzeptionell beteiligt sind, hast du immer Produktmanager, die die Produkte präsentieren. Das finde ich wahnsinnig gut.

Da gibt es so eine Referenz Show von Tchibo, das war die allererste, da gibt es die Anna, die mit der Kaffeemaschine redet (siehe auch das Video unten). Anna hat diese Maschine wirklich konzeptionell komplett mit designt. Die liebt diese Kaffeemaschine und das merkst du einfach. Wir gehen immer mehr darüber, den Leuten Dinge zu zeigen, die sie online sonst nicht sehen können. Hier hast du im Live Shopping jemanden, wo du fragen kannst: „Wie geht das eigentlich? Wie ist der Mahlgrad im Vollautomaten? Kann ich den einstellen?“ Und Anna zeigt dir, wenn du nach links drehst, hast du den feineren und nach rechts den gröberen, und sie würde dir empfehlen eher gröber zu mahlen, um das volle Aroma mitzunehmen. Das sind Dinge, die kannst du sonst über kein anderes Medium machen.

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Location Insider: Wie kann ich als Retailer oder Brand damit selber anfangen? Was braucht es, um ein gutes Live Shopping zu machen?

Marco Burkhardtsmayer: Generell gibt es eine Grundsatzentscheidung und das ist, will ich überhaupt versuchen, ob ich Leute aktiviert bekomme? Da gehst du dann über Insta. Du machst über IGTV mal ein, zwei Shows. Wenn du auf Insta gehst, hast du das Problem, dass a) der Chat nicht sauber moderierbar ist und b) musst du Produktdetailseiten posten. Die Leute müssen auf dein Produkt gehen. Und ab der Sekunde, wo du das bei Insta anklickst, springen die aus dem Stream. Da hat man sehr hohe Absprungraten. Und die Leute sehen ein Produkt, was ihnen gefällt und sind raus. Das ist aber der einfachste und schnellste Weg, dies zu tun mit einem Smartphone und fertig ist.

In der Sekunde, wo du merkst, du hast bei so einer Show auf einmal fünfzig, oder hundert Leute schon drin, das ist der Punkt, wo wir schon mit Kunden ansetzen. Da ist sehr positiv zu nennen Zwillingsherz aus Hamburg. Mit denen sind wir schon vor ein paar Monaten gestartet und die sind mittlerweile bei Insta und Facebook raus und nutzen nur noch unsere Tools. Die haben ebenfalls festgestellt, das Engagement ist höher, die Conversion ist höher. Du gehst ja nicht auf Instagram und dann guckst du Karls Erlebnishof, sondern du gehst bei Karls Erlebnishof auf die Seite, du bist im Ecosystem. Das ist wahnsinnig gut für die Brands an sich. Du bist jetzt bei live.Breuninger.de, oder du bist bei live.Tchibo.de, du bist im Brandkosmos drin. Und das zieht deine Kunden an und Leute an, die Lust haben, sich damit auseinander zu setzen.

Location Insider: Viele Retailer haben Live Shopping während der Lockdowns für sich entdeckt. Wird Live Shopping auch nach Lockdown-Ende für sie relevant bleiben?

Marco Burkhardtsmayer: Ein klares JA. Die Umsätze und die damit einhergehenden Zuschauerzahlen geben dem Konzept recht. Spannend wird es nur sein, dem Kunden auch neue und abwechslungsreiche Formate zu präsentieren. Hier wird aber eine ganze Menge Neues kommen und Live Shopping wird so auch noch mehr Kunden erreichen.

Location Insider: Vielen Dank für das spannende Gespräch!


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