Multi-Channel, Omni-Channel, D2C: Welches Modell ist das richtige für mein Startup? 

von Partnerunternehmen am 07.Dezember 2021 in Partnerbeitrag, Trends & Analysen

Anna Breidt, Mitgründerin und Geschäftsführerin der gerade mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design 2022 ausgezeichneten jungen Kosmetikmarke OYESS, beschreibt bei uns, wie ihr Unternehmen auch ohne eigenen Web-Shop erfolgreich ist.

Startups im FMCG-Segment müssen wichtige Entscheidungen zur Unternehmensform, Gründung, Finanzierung, Auswahl der Lieferanten und Händler etc. treffen. Die Strategien zum Geschäftsmodell, Markteintritt und der Marktbeeinflussung werden je nach Kategorie und Produkt neu entwickelt oder angepasst.

Laut dem Deutschen Startup Monitor 2020 werden deutsche Startups weiterhin vorrangig in der Informations- und Kommunikationstechnologie (31,8 %) gegründet. Unsere nachhaltige Kosmetikmarke OYESS gehört zu der Branche „Ernährung und Nahrungsmittel/Konsumgüter“, die einen Gründungsanteil von 10,7 % aufweist.

66,6 % der 2020 in Deutschland gegründeten Jung-Unternehmen sind digitale, 23,6 % hybride und nur 6,2 % analoge Dienstleistungs-Modelle. Nur 3,6 % finden im stationären Verkauf bzw. Handel statt. Zudem bestärkt die Corona-Krise digitale Geschäftsmodelle weiter – als krisenresistent erweisen sich hier insbesondere digitale Netzwerke, e-Commerce- sowie Online-Plattformen.

Mit Expertise und dem richtigen Netzwerk geht es auch ohne eigenen Web-Shop

OYESS hat sich bewusst für den weniger häufig genutzten Weg entschieden: einer Gründung mit dem Fokus auf stationären Vertrieb bzw. Handel. Wie bereits erwähnt, besitzen wir noch keinen eigenen Web- bzw. D2C-Shop und folgen somit einem Multi-Channel-Ansatz – mit dem Ziel des Ausbaus zum Omni-Channel.

Wieso wir diesen Weg gewählt haben und wie wir das Ganze umsetzen, beschreibe ich im Folgenden anhand von praktischen Tipps zur Strategie- und Geschäftsmodellentscheidung.

Die wichtigsten Begriffserläuterungen vorab

Stationärer Verkauf/Handel beschreibt den Ladenverkauf, also den Verkauf von Produkten in Geschäften und Verkaufsstätten („brick & mortar“). Dieser wird aus Unternehmenssicht auch B2B2C genannt, also Business (z.B. Startup) to Business (z. B. Drogerien) to Consumer (Verbraucher).

Dem gegenüber steht der D2C-Handel oder das D2C-Modell: Direct to Consumer – Verkauf beispielsweise über die eigene Website, Instagram- oder Facebook-Shopping etc..

Der Begriff Multi-Channel wiederum beschreibt ein Geschäftsmodell, in dem ein Unternehmen/Startup mindestens zwei (Verkaufs-) Channel = Kanäle nutzt, um seine Produkte zu verkaufen. Kanäle sind z. B. Abgrenzungen in Großhändler, Einzelhändler, Drogerien, Parfümerien etc.

Omni-Channel geht einen Schritt weiter, indem das Unternehmen Produkte nicht nur in mehreren Kanälen anbietet, sondern auch sicherstellt, dass sich Effizienzen zwischen den Kanälen bilden.

(Quelle: Neslin et al., 2006 und Mazurek-Łopacińska, K. (2020). Omnichannel in Shaping Distribution Process on Consumer Market. Przegląd Organizacji, (5), 3-10)

Warum der stationäre Handel immer noch relevant ist

Obwohl bis zum Jahre 2030 60.-80.000 stationäre Geschäfte in Deutschland schließen sollen und der Online-Handel dem stationären Handel in Manchem in Nichts nachsteht, wie durch die Beratung per Live-Chat (Quelle: Kleinlercher, K., Linzmajer, M., Verhoef, P. C., & Rudolph, T. (2020). Antecedents of webrooming in omnichannel retailing. Frontiers in Psychology, 11, 3342) zum Beispiel, bietet der stationäre Handel neben großen Umsatzpotentialen (in vielen Kategorien >70 % des Umsatzes) weiterhin klare Vorteile.

Diese wären für ein Startup mit stationärer Listung unter anderem die:

  • Erhöhte Aufmerksamkeit („Awareness“) durch die Regalpräsenz sowie POS-Materialien, wie Displays, Wobbler etc.

Unsere Handelspartner entscheiden, welche unserer Produkte in die Regale kommen und treffen somit eine erste ‚Vorauswahl‘ für ihre Kunden, was die Kaufentscheidung vereinfacht. Kundengruppen, die z. B. weniger Social Media- oder Internet-affin sind, werden so zusätzlich erreicht.

Platzierung von OYESS in einem Lippenpflegeregal bei dm

Unsere OYESS Lippenpflegestifte hängen mittlerweile in über 5.000 Lippenpflegeregalen.

  • Erhöhte Anzahl an Kundenkontakten („Traffic“), da der beim Handelspartner bereits vorhandene Traffic automatisch genutzt wird: der Kunde findet unsere Marke, wenn er nach der entsprechenden Kategorie sucht. Im Gegensatz dazu müssen im D2C-Business in der Regel aufwendige und teure Kampagnen gestartet werden, um Traffic für den eigenen Webshop etc. zu generieren.
  • Erhöhte Anzahl an Probierkäufen („Trial“), aufgrund der hohen Impulskaufrate: 8 von 10 Impulskäufen werden weltweit im stationären Handel getätigt. Unsere Vision bei OYESS ist es, nachhaltige Kosmetik zu „demokratisieren“. Die Kombination aus maximaler Nachhaltigkeit, einem stylischen und trendigen Design und einem guten Preis-Leistungsverhältnis hilft uns am Lippenpflegeregal aufzufallen und Impulskäufe zu generieren! So spielt das Design der Primärverpackung (hier der Blisterkarte) die entscheidende Rolle, die notwendige Aufmerksamkeit am Regal zu generieren und den Shopper in Kaufbereitschaft zu versetzen.
  • Erhöhte Medienreichweite („Media Reach“) über Handelspartnermedien wie Kundenmagazine, Social-Media-Accounts der Handelspartner etc..
  • Vertrauensvorschuss („Converted Trust“) bei den Konsumenten: Der Handelspartner steht mit seinem Namen/Ruf für die Produkte ein, die man bei ihm kaufen kann, so auch für die der neu akquirierten Marke.

So werden die Produkte im Bio-Fachmarkt beispielsweise noch einmal in einer eigenen (internen) Qualitätsabteilung überprüft.

Den Anfang machen

Unser OYESS-Gründer-Team ist sehr erfahren und kann – im Gegensatz zu vielen Startups – bereits auf ein sehr gutes Netzwerk im Handel zurückgreifen. Dieser Vorteil hat uns natürlich im ersten Schritt beim „Türen-Öffnen“ und bei Listungsgesprächen geholfen. Im zweiten Schritt musste dann aber natürlich unser Konzept und die Produktqualität überzeugen.

Wir beraten mittlerweile einige Startups bei ihrer Go-To-Market-Strategie und sehen, wie schwer sich viele mit Listungen im Handel tun. Gerade in Corona-Zeiten scheint auf der einen Seite die Risikoaversion der Handelspartner neue Marken zu listen noch stärker geworden zu sein. Auf der anderen Seite ist die Listung im stationären Handel komplex – von der Finanzierung von großen Volumen, über Stammdatenpflege bis hin zur professionellen Warenanlieferung. Vielen Startups bleibt daher gar nichts anderes übrig, als ihren potenziellen Kunden Produkte nur über D2C anzubieten.

Tipps für Startups mit Ziel Stationärer Handel

  1. Vorlage eines innovativen Konzepts mit klarem Alleinstellungsmerkmal, welches erste Konsumententests erfolgreich bestanden hat (z. B. MPV-Methode aus Ries´ Lean Start-Up)
  2. Skalierbarkeit des Unternehmens von Anfang an berücksichtigen. Zwei Beispiel-Fragen:
    – Stehen meine Lieferketten? D.h. kann ich in kurzer Zeit große Volumina finanzieren und produzieren?
    – Steht mein Marketing-Plan? D.h. kann ich benötigte Assets zur Verfügung stellen (z.B. Fotos mit Freistellpfad) und auch genügend in Marketing investieren, um die erforderliche Rotation am Regal zu erreichen?
  3. Netzwerk, Netzwerk, Netzwerk! Kein Startup ist alleine! Unterstützung und Kollaborationen suchen und anbieten!

OYESS: Das Geschäftsmodell

Während Direct-to-Consumer-Marken aktuell auch in der Kosmetik mit starkem Wachstum erfolgreich sind (z. B. Kosmetik-Marken wie hellobody oder gitti), haben wir uns bei OYESS entschieden, eine Multi-Channel-Strategie unter Einbeziehung stationärer Handelspartner zu fahren. Branchenkenner sagen, dass über 75 % der Lippenpflege immer noch stationär gekauft wird.

Multi-Channel bedeutet für uns vor allem unsere potenziellen Shopper, die „Green Beauties“, dort anzutreffen, wo sie sich gerade befinden: Ob beim Einkauf in einer Filiale oder beim Stöbern online. Deshalb war unser klares Ziel auch in unterschiedlichen Kanälen vertreten zu sein.

Kurz: Wir setzen mit unserer Multi-Channel-Strategie auf starke Handelspartnerschaften mit Händlern, die sowohl stationär vertreten sind, wie auch über eigene (Retailer-)Online Shops verfügen und so Kunden erreichen. Wir arbeiten folglich gemeinsam daran Bekanntheit für die Marke zu schaffen und neue Kunden zu generieren. Unser eigenes Brand Building findet dabei fokussiert digital statt.

OYESS geht hier nach dem folgendem 3-Stufen-Modell vor:

1. Stufe

Den Launch unserer Produkte haben wir selektiv neben der Drogerie (Rossmann Deutschland & dm Österreich – beides stationär und online!) auch in der Online-Parfümerie Flaconi und im Bio-Fachhandel bei Alnatura gestartet.

Produkte von OYESS bei Alnatura

2. Stufe

Im 4. Quartal 2021 haben wir die Distribution in DACH wie folgt ausgeweitet (zusätzliche Listungen):

  • Ausbau innerhalb der Drogerie: Müller und Budni / dm DE (ab November 2021)
  • Ausbau auf weitere Kanäle: ausgewählte Lebensmitteleinzelhändler und Filialen von Globus, Wasgau und Edeka Minden
  • Auch der Ausbau auf weitere europäische Märkte wie z.B. die Schweiz mit Müller oder Ungarn mit dm, Rossmann und Ecofamily geht voran.

3. Stufe

2022 werden wir uns unterschiedliche Direct-to-Consumer-Modelle anschauen, mit dem Ziel, insbesondere Consumer Insights zu generieren, d. h. die direkte Verlinkung mit den Shoppern, z. B. in Form von einer direkten Kundenansprache über E-Mail-Marketing, und der Aufbau einer eigenen Community.

Generell wird D2C interessant, wenn man entweder mehrere Kategorien hat und dann einen größeren Warenkorbwert generieren kann. Oder, wenn man direkte Learnings aus dem Performance Marketing ziehen möchte.

Mit unserem Omni-Channel-Ansatz arbeiten wir bei OYESS stetig daran Effizienzen zwischen den unterschiedlichen Verkaufskanälen zu bilden. Zusammen mit unseren Handelspartnern haben wir beispielsweise eine Online-Sortimentsverlängerung: Stationäre Regale sind keine „Gummiregale“, d. h. diese haben nur begrenzten Platz für Sortimente. Händler haben daher gewisse Anforderungen an die Rotation von Artikeln, die sie stationär zeigen, sodass meist nur schnelldrehende Produkte stationär zu finden sind. Um die Sortimentsvielfalt und eher „nischigere“ Sortimente anbieten zu können, weichen Handelspartner auf ihre Online-Plattformen aus, d. h. sie bieten dort ein erweitertes Sortiment an. Diverse Händler kommunizieren dies auch smart:

  • Offline to Online, z. B. mit Wobblern am Regal, die den Verbrauchern darauf aufmerksam machen, dass es online noch weitere Geschmacksrichtungen eines Artikels gibt und
  • Online to Offline, z. B. mit Click & Collect-Angeboten.

Apropos Angebote: immer mehr personalisierte Offerten werden online, z. B. per App, versendet, aber offline, also stationär im Geschäft, z. B. als Rabattcoupon, eingelöst.

Auch wenn wir uns im ersten Schritt gegen ein D2C-Modell (= Verkauf direkt an den Konsumenten) entschieden haben, ist uns die D2C-Kommunikation in unserem Marketing-Mix sehr wichtig: Die direkte Ansprache mit/an unsere/n Konsumenten, z. B. über Instagram oder Tiktok.

Tipps für die richtige Wahl des Geschäftsmodells

Es gibt aus meiner Sicht kein Richtig oder Falsch, wenn es um die Wahl des Geschäftsmodells geht. Nach reiflicher Überlegung sollte eine bewusste Entscheidung getroffen werden, die agil weiterentwickelt und immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden sollte. Gute Hilfestellung, um verschiedene Modelle gegeneinander abzuwägen, bietet dabei das Business Model Canvas (BMC) von Alexander Osterwalder, mit folgenden neun Bausteinen: Kundensegmente, Werteangebote, Kanäle, Kundenbeziehung, Einnahmequellen, Schlüsselressourcen, Schlüsselaktivitäten, Schlüsselpartnerschaften und Kostenstruktur. Diese werden visuell dargestellt und können auch als Vorbereitung zur Erstellung einen Business Plans genutzt werden (Quelle: Awang Nordin, S. N. I. (2020). Business Model Canvas: Shrink Swift).

Meine Top 3 Fragen, die sich ein Startup bzgl. Geschäftsmodell zur Orientierung stellen sollte:

  1. Wo (Vertriebskanal, z. B. online/offline, spezieller Handelspartner?) und wie (Kommunikationskanal) spreche ich meine Zielgruppe bestmöglich an? Was kostet mich die effiziente Ansprache meiner Zielgruppe?
  2. Wie kann ich den Proof of Concept kostengünstig und effizient gestalten? Bietet sich hierzu ein Soft Launch per D2C an?
  3. Ist mein Unternehmen bereits so aufgestellt / so skalierbar, dass ich mir die komplexen Prozesse einer stationären Handelspartnerschaft zutraue?

Mehr über OYESS auch hier auf Location Insider im Interview mit dem gesamten Gründer*innen-Team.

Über die Autorin:

Anna Breidt (41) ist Co-Gründerin und Geschäftsführerin der OYESS Beauty GmbH sowie deren gleichnamiger Lippenpflegeserie mit Sitz in Hamburg. Zuvor war sie Sales Director DACH bei der EOS Products GmbH. Breidt kann auf umfangreiche Erfahrung in der FMCG- und Beauty-Industrie zurückgreifen. Sie hat für namhafte internationale Hersteller gearbeitet, darunter zehn Jahre in unterschiedlichen Sales-und Marketing-Positionen bei Barilla Wasa, sowie als Leiterin Key Account und Leiterin Channel Development bei Danone. Dort hatte sie auch die strategische Verantwortung für das Direkt-Geschäft für den asiatischen Markt inne und konnte von ihren internationalen Erfahrungen in den USA, Spanien und Frankreich profitieren. Die international studierte Diplom-Kauffrau arbeitet zudem als Dozentin im Bereich Marketing, Vertrieb und Wirtschaftswissenschaften an diversen Hochschulen in Deutschland und der Schweiz, und führt eine Coaching- und Beratungsgesellschaft.

Kontakt zu Anna Breidt auf LinkedIn


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