Wie der Handel mit künstlicher Intelligenz seine Prozesse und das Kundenerlebnis verbessert

von Florian Treiß am 19.September 2023 in Künstliche Intelligenz, News, Trends & Analysen

Künstliche Intelligenz (KI) wird von immer mehr Unternehmen im Handel bereits eingesetzt und gilt zugleich weiterhin als wichtigster Technologie-Trend für die Zukunft des E-Commerce, besagt die aktuelle EHI-Studie „Technologie-Trends im Handel 2023“. Dabei sind die möglichen Anwendungsbereiche für KI im Handel sehr vielseitig – und können sowohl für interne Prozesse als auch kundenseitig zum Einsatz kommen.

Der Tech-Investor Peter Thiel, der einst mit dem Verkauf von Paypal an eBay zum Milliardär wurde, sieht im Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) „eine historische Wende, vielleicht sogar den wichtigsten Moment seit der Markteinführung des iPhones. Jedenfalls wird dieser Moment das Silicon Valley verändern.“ Das sagte Thiel im März in einem „Handelsblatt“-Interview.

Schon vor einigen Jahren ein gängiges Buzzword in der Techwelt, ist künstliche Intelligenz aktuell auf dem besten Weg, im Mittelpunkt der Gesellschaft anzukommen. Das liegt unter anderem am kometenhaften Aufstieg von ChatGPT: Erst Ende November 2022 gestartet, zählte der KI-gestützte Chatbot bereits zwei Monate später 100 Millionen Nutzer. So schnell hatte zuvor noch nie ein digitaler Service eine so hohe Nutzerzahl geknackt.

Dabei ist ChatGPT nur eines von vielen Beispielen für Services mit künstlicher Intelligenz, die in Zukunft den Handel prägen könnten. Bei ChatGPT selbst handelt es sich um eine generative künstliche Intelligenz, die Texte erstellen kann, ohne dass ein Mensch eingreifen muss. ChatGPT kann Wissensfragen beantworten, aber auch zum Beispiel E-Mails schreiben oder Aufsätze verfassen. Auch fürs Marketing kann ChatGPT bereits eingesetzt werden, um z. B. Werbetexte oder LinkedIn-Posts zu vorgegebenen Themen automatisch erstellen zu lassen. Und auch für Produktbeschreibungstexte von Online-Shops kommt ChatGPT in Frage.

APIs von ChatGPT für Use Cases im E-Commerce

Zudem stellt ChatGPT-Macher OpenAI Programmierschnittstellen (APIs) bereit – und die ersten Anwendungsfälle dafür zeigen, wie ChatGPT das Kundenerlebnis im Handel beeinflussen könnte:

  • Instacart feilt an einem Service, bei dem man den Chatbot nach passenden Kochrezepten für bestimmte Anlässe fragt und man die Zutaten im Anschluss direkt bestellen kann.
  • Klarna hat einen Chat-basierten Einkaufsberater entwickelt, der zum Beispiel auf die Frage nach beliebten Kopfhörern für maximal 150 Dollar drei passende Vorschläge liefert.
  • Zalando arbeitet ebenfalls an einem Einkaufsberater mit ChatGPT-Unterstützung. Dieser Fashion Assistant soll z. B. Fragen beantworten können wie: „Was sollte ich auf einer Hochzeit auf Santorini im Juli anziehen?“ Anhand dieser Eingabe erkennt der Fashion Assistant dann, dass es sich um eine formelle Veranstaltung handelt und er weiß, wie das Wetter auf Santorini im Juli im Durchschnitt ist. Mit diesen Informationen kann der Fashion Assistant eine Antwort samt Produktempfehlung geben.

Bilder per KI generieren

Neben Text lassen sich von KI aber auch Bilder generieren. Hier stechen aktuell die Lösungen Midjourney und Dall-E hervor. Mit diesen Services lassen sich fotorealistische Bilder künstlich erzeugen. So machte etwa ein Foto vom Papst in einer stylischen Daunenjacke im Netz die Runde. Doch es war letztlich ein fiktives, per KI erstelltes Bild, das kaum als Fälschung zu erkennen war.

Da solche Tools immer besser werden, ist der Weg vorgezeichnet, dass sie früher oder später zum Beispiel im Verpackungsdesign oder für die Erstellung von Produktfotos eingesetzt werden. Auch per KI generierte „Fotomodels“ gibt es bereits – der Einsatz solcher virtueller Personen könnte früher oder später echte Fotoshootings überflüssig machen. Und unter dem Namen Runway wiederum ist mittlerweile eine Lösung an den Start gegangen, die komplette Videos künstlich erzeugen kann – damit wäre es denkbar, Social-Media-Clips oder sogar Werbespots per KI erzeugen zu lassen.

Doch auch jenseits dieser generativen KI, die Texte, Fotos oder Videos erzeugen kann, gibt es reichlich Möglichkeiten, wie künstliche Intelligenz im Handel eingesetzt werden kann. Das muss nicht unbedingt für den Kunden sichtbar werden, sondern KI bietet auch reichlich Potenzial, interne Prozesse zu verbessern.

KI für Absatzprognosen und Pricing

Ein wichtiges Anwendungsfeld sind beispielsweise Absatzprognosen und das Bestandsmanagement. Damit können einerseits Out-of-Stock-Situationen vermieden werden und andererseits schwach laufende Produkte im Sortiment identifiziert werden. Bei Lebensmitteln lässt sich so zudem Food Waste reduzieren. Die KI kann dabei den Warenbestand überwachen und sogar automatisch Bestellungen auslösen, wenn bestimmte Schwellenwerte erreicht werden. Hierbei kann KI nicht nur die Verkaufsdaten des eigenen Unternehmens analysieren und Muster und Trends identifizieren, um Vorhersagen für zukünftige Verkäufe zu machen. Es können auch externe Datenquellen wie Wetterdaten, soziale Medien und wirtschaftliche Indikatoren einbezogen werden, um Absatzprognosen zu verbessern. So können beispielsweise Vorhersagen für den Absatz von Grillgeräten basierend auf Wetterdaten gemacht werden. Somit kann KI also Händlern helfen, sowohl Überbestände als auch Engpässe zu vermeiden und die Verfügbarkeit von Produkten sicherzustellen.

Ein Bereich, der sich mit Absatzprognosen überschneidet, ist das Thema Preisgestaltung. Diese können Händler mit Hilfe von KI automatisieren lassen, was auch Dynamic Pricing genannt wird. Dabei können beispielsweise die Nachfrage, die Verfügbarkeit von Waren oder Dienstleistungen, saisonale Schwankungen, Wettbewerbsfaktoren und andere Einflussfaktoren berücksichtigt werden. Das Ziel von Dynamic Pricing ist es, den Preis so anzupassen, dass das Angebot mit der Nachfrage übereinstimmt und gleichzeitig die Gewinnspannen maximiert werden. Entsprechend können solche Systeme die Preise von Produkten erhöhen, wenn sich eine gesteigerte Nachfrage abzeichnet, oder auch senken, wenn der Abverkauf von Produkten schleppend läuft. Gerade im Bereich Lebensmittel sind automatische Preissenkungen bei nahendem Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums von Produkten sinnvoll.

KI bei Bonprix wertet 300 Attribute aus

Ein gutes Beispiel für die interne Anwendung von künstlicher Intelligenz liefert der Online-Modehändler Bonprix. „Für jedes Kleidungsstück erfassen unsere Systeme rund 300 Attribute. Mit Hilfe von Machine Learning kann ein Algorithmus Erfolgsmuster erkennen, wenn er die Attribute mit dem Einkaufsverhalten unserer Kund*innen abgleicht“, sagt Geschäftsführer Markus Fuchshofen im Gespräch mit Location Insider. Dadurch kann bonprix die Sortimentsplanung, das Pricing und auch die Produktentwicklung verbessern. Sprich: dafür sorgen, dass es z. B. mehr Produkte in aktuellen Trendfarben und beliebten Schnitten gibt, dass die Lagerbestände bei schwächer laufenden Artikeln nicht noch vergrößert und dass Preise automatisch mit Dynamic Pricing optimiert werden.

In der Logistik darf künstliche Intelligenz ebenfalls nicht fehlen. So kann KI helfen, Waren gemäß regionaler Nachfrage besser über verschiedene Standorte zu verteilen oder auch, um die bestehenden Lagerflächen innerhalb eines Logistikzentrums besser auszulasten. KI kann in der Wegeplanung helfen, sei es bei der Kommissionierung im Warenlager selbst oder auch bei der Auslieferung. Und gerade auch bei automatisierten Warenlagern, bei denen Roboter zum Einsatz kommen, ist künstliche Intelligenz im Spiel. Und dank Bilderkennung kann KI auch bei der Retouren-Erfassung genutzt werden.

Computer Vision in autonomen Stores

Auch in autonomen Stores, also in unbemannten Läden ohne klassische Kasse, kommt künstliche Intelligenz zum Einsatz, vor allem in Form von Computer Vision. Das ist eine Disziplin innerhalb der künstlichen Intelligenz, bei der von Kameras aufgenommen Bilder ausgewertet werden. Bei autonomen Stores dient die Technologie dazu zu erkennen, welche Kunden welche Produkte aus den Regalen entnehmen. Außerdem kommt künstliche Intelligenz in autonomen Stores auch bei der Abrechnung der Produkte zum Einsatz, beim Bestandsmanagement und bei der Nachbestellung von Produkten. 

Visuelle Produktsuche und personalisierte Produktempfehlungen

Auch bei kundenseitigen Services kann Bilderkennung angewendet werden, so beispielsweise für visuelle Produktsuchen. Damit können Verbraucher mit dem Smartphone Fotos von Produkten machen, die sie interessieren, und sich zeigen lassen, wo sie dieses Produkt kaufen können. Das eignet sich zum Beispiel für Nachbestellungen bereits vorhandener Produkte oder auch, um ein Fashion-Outfit, das man an jemand anderes gesehen hat, nachzukaufen.

Nicht zuletzt kann KI auch die Funktion der Kaufberatung übernehmen und personalisierte Produktempfehlungen in Webshops generieren. Dabei werden Kundenpräferenzen, Kaufhistorie und andere Faktoren berücksichtigt. Das hilft Einzelhändlern, die Kundenzufriedenheit und die Kundenbindung zu verbessern und somit auch den Umsatz zu steigern. Dabei können Webshops mittels KI hochgradig personalisiert ausgespielt werden, so dass jede Person eine andere Version des Webshops auf Basis ihrer Interessen sieht. So kann beispielsweise eine Person, die hochpreisig, modebewusst und stilvoll einkauft, mit vielen Bildern, emotional und preisneutral begrüßt werden, während eine Person, die an sportlichen Produkten und Schnäppchen interessiert ist, eher mit Rabattaktionen angesprochen wird.

Fazit

Die Einsatzmöglichkeiten für künstliche Intelligenz im Handel sind vielfältig. Auch wenn aktuell v. a. generative KI wie z. B. ChatGPT in aller Munde ist, so zeigt sich, dass künstliche Intelligenz in verschiedensten Formen auch an anderen Stellen im Handel zum Einsatz kommt, mal um interne Prozesse wie etwa Absatzprognosen und Bestandsmanagement zu verbessern und mal, um das Kundenerlebnis zu optimieren.

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Dieser für die heutige Veröffentlichung aktualisierte Beitrag erschien zuerst in unserem Whitepaper „Retail Trends 2023: Wie Künstliche Intelligenz, Social Commerce & Co den Handel verändern“. Wir zeigen darin mit freundlicher Unterstützung von commercetools, der weltweit führenden Plattform für digitalen Handel, wie vielseitig die aktuellen Entwicklungen bei Technologie und Konsumverhalten sind. Dabei geht es u.a. um Live Shopping, virtuelle Anproben, Omnichannel-Handel und Phygital Retail. Wichtig jetzt und in Zukunft: Händler und Marken sollten Kunden dort abholen, wo sie shoppen wollen – und das sind zunehmend moderne Touchpoints wie Social Media, Chatbots, Sprachassistenten oder virtuelle Welten.

Die Themen des Whitepapers im Überblick:

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