Wie Virtual Reality im Handel den Kunden in neue Welten führt.
von Markus Gärtner am 23.September 2016 in News, Trends & AnalysenMit Walen tauchen im Ozean, auf den Flügeln eines Albatros durch die Wolken jagen oder sogar auf einem fremdartigen Planeten spazieren gehen – wo würde Ihre Reise hinführen, wenn sie es sich aussuchen könnten? Virtual Reality (VR) steht seit dem Aufkommen der Technologie für dieses horizonterweiternde Entdecken von neuen Welten. Schon in den 90er Jahren wurde das Thema zum Trend gemacht, scheiterte aber damals noch an der nicht ausgereiften Technik. Die Zeit scheint nun gekommen. Vor allem die Gaming-Industrie treibt VR in das Bewusstsein der Konsumenten und triggert durch sinnintensive Spiele den Kaufanreiz. Der Markt mit VR-Brillen soll noch 2016 rund 5 Milliarden Dollar umsetzen, bis 2025 prophezeit Goldman-Sachs 110 Milliarden Dollar im Jahr. Die Marktforscher von KZero erwarten bis 2018 bereits 171 Millionen VR-Nutzer weltweit. Wie kann der Handel von dieser Lust an fremden Welten profitieren und sich sein Stück vom Kuchen sichern?
Das Hauptaugenmerk dürfte dabei auf der Präsentation liegen. Der Kunde sitzt bequem auf seiner Couch, setzt die meist noch mit dem PC verbundene Datenbrille auf und kann jederzeit einen virtuellen Shop betreten. In dieser Welt kann er sich umsehen oder schnell seine Artikel finden, erhält zusätzliche Informationen, kann sein Produkt begutachten, über Gestensteuerung drehen oder sogar Farbe und Große verändern. Das macht natürlich vor allem Sinn bei Produkten, die viel Erklärung bedürfen oder zu groß sind und im stationären Handel viel Platz wegnehmen, wie zum Beispiel Möbel. Der Vorteil: Dieses Shopping-Erlebnis kann eine große emotionale Bindung schaffen – obwohl Sinnesreize wie Geruch oder Geschmack in der virtuellen Welt (noch) fehlen. Amazon arbeitet bereits an einer Virtual-Reality-Plattform, der chinesische E-Commerce-Konkurrent Alibaba hat vor kurzem auf einer Konferenz in Shanghai eine Beta-Version seines Virtual-Reality-Shops vorgestellt. In diesem Laden kann sich der Kunde Kleidung von einem Model vorführen oder sich von einem Serviceroboter beraten lassen. Der genaue Start von beiden VR-Plattformen ist noch unklar, es dürfte aber ein kleiner Meilenstein in der Geschichte des Handels werden. Im virtuellen Store muss allerdings immer auf den Zusammenhang zwischen der so genannten Immersion – dem „Eintauchen“ in die virtuelle Welt – und der Usability geachtet werden. Je beeindruckter der Konsument von der „Echtheit“ ist, umso weniger achtet er vielleicht auf die ihm angebotenen Funktionen.
Ein weiter Aspekt im Handel, den VR optimieren könnte, ist die Planung bzw. das Testen. Unternehmen wie adidas und Zalando bieten bereits virtuelle Umkleidekabinen an. Hier können sich die Nutzer mit den Stücken ihrer Wahl in einer 360-Grad-Ansicht betrachten. Auch im Bereich Möbel kann Virtual Reality eine echte Bereicherung sein. Ikea-Kunden können Billy und Co virtuell in ihrer Wohnung platzieren und der US-Händler Lowe’s baut sogar in Kooperation mit Microsoft eine Art Holodeck zum virtuellen Planen der echten Küche. In Deutschland können Kunden von Media-Saturn via Datenbrille Spülmaschine und Schränke arrangieren, Elektrogeräte beliebig austauschen und auch die Frontfarben ändern. Andere Besucher können das virtuelle Einrichten auf zwei großen Bildschirmen mitverfolgen und sich inspirieren lassen. In den Märkten in Ingolstadt und am Berliner Alexanderplatz wird das Feature in Zusammenarbeit mit dem Online-Küchenhaus Kiveda getestet. „Wer den Handel der Zukunft entwickeln will, muss sich bereits heute mit den Technologien und Endgeräten der Zukunft auseinandersetzen“, erklärt Martin Wild, Chief Digital Officer der Media-Saturn-Holding.
Auch in der Marktforschung kann Virtual Reality für den Handel echte Vorteile schaffen. Unternehmen können Werbe-, Produkt- oder POS-Tests durch die Technologie viel einfacher und effizienter durchführen. Der Kunde sieht eine Packung in einer Farbe und kann diese nach seinen Vorlieben schneller ändern oder bewerten, statt bei einem physischen Test ständig neue Verpackungen oder Produkte von den Testern hervorkramen zu lassen. Auch das gesamte Begehen einer Filiale, warum der Kunde nach welchem Produkt wann und wie greift, kann virtuell meist besser gemessen werden als in einem nachgebauten Laden. So können innerhalb eines Tests auch viel mehr Optionen angeboten werden – der Händler findet deutlich schneller die beste Kampagne, die erfolgreichste Verpackung oder die passendste Art der Präsentation.
Ein menschliches Lächeln ist noch unersetzbar
Bedeutet aber dieses faszinierende Abtauchen in andere Welten mittels High-Tech-Datenbrillen, dass nicht auch zwangsläufig der „echte“, stationäre Handel vor Ort untergeht, sollte irgendwann auch der sofortige Kauf via VR möglich sein? Noch spricht Einiges dagegen – denn bei allem Fortschritt ist Virtual Reality noch von dem haptischen, multisensorischen und kognitiven Erleben in der Echtwelt entfernt und könnte im ersten Schritt eher zu einer Art „Online-Shopping reloaded“ werden. Doch wird es Daten-Handschuhe geben, die das Gefühl echter Seide nachahmen können? Oder den Geruch exotischer Gewürze? Auch der menschliche Mitarbeiter im physischen Handel bleibt einmalig und unersetzbar – das weiß jeder, der das Lächeln einer Kassiererin mit dem eines Avatars vergleicht. Dennoch müssen sich Unternehmen bewusst sein, dass nach dem Aufkommen des Online-Handels mit Virtual Reality eine weitere große Welle auf sie zukommt, die kaum abebben wird. Jeder Händler und jede Branche muss eine eigene Herangehensweise entwickeln, testen und möglicherweise wieder verwerfen, denn was bei der Mode klappt, kann bei den Möbeln schief gehen. Aber – und da sind wir wieder beim Entdecken der neuen Welten – jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt.
wuv.de, derhandel.de, t3n.de, heise.de
In unserer neuen Serie „Future Commerce“ beleuchten wir jeweils donnerstags eine Innovation, ihre Möglichkeiten und Auswirkungen auf den stationären Handel. Bisher sind erschienen:
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