Shoptech bei Zalando, Kartenmacherei und REWE.

von Peter Wagner am 07.Mai 2019 in News, Shoptech, Trends & Analysen

Blick in ein Versandzentrum von Zalando (Bild: PR)

Die Shoptechnologie erlebt eine Renaissance dank einem neuen Selbstverständnis und neuer Software-Architektur. Statt dem Griff zu monolithischer Poweruser-Software werden Online-Händler zu Entwicklern mit eigenen DevOps-Teams, wie wir in unserem neuen Shoptech-Leitfaden zeigen. Die grundsätzlichen Argumente für die Entwicklung hin zu Microservices und Eigenentwicklungen sind: Komplexität hindert Innovation. Und: Fehlende Innovation hindert Wachstum.

Mit diesen Sätzen im Hinterkopf schauen wir im Folgenden auf Online-Händler, die sich mit Eigenentwicklungen und Microservices erfolgreich eine neue Shop-Architektur geschaffen haben.

Zalando: Teams sind Startups

Das grundsätzliche Problem ist, dass Systeme mit der Zeit monolithisch werden, erzählte Rodrigue Schaefer von Zalando vor einiger Zeit auf der GOTO Conference in Stockholm. Zalando hatte ein System auf der Grundlage von Java und dem Datenbanksystem PostgreSQL aufgebaut. Für jedes Land, in das Zalando expandierte, wurde das System mit einem anderen Ländercode konfiguriert. Anpassungen bestanden hauptsächlich aus Zahl- und Liefermethoden, die in dem jeweiligen Land beliebt waren.

Die Folge der monolithischen Struktur war, dass sich der Code stapelte: Code auf Code auf Code, der mit der Zeit immer komplexer wurde. Mit zunehmender Menge an Code schleichen sich nicht nur immer mehr Fehler und Inkonsistenzen ein, sondern der Wartungsaufwand wächst proportional dazu. Irgendwann stellte man bei Zalando fest, dass auch zusätzlich eingestelltes IT-Personal das Problem nicht lösen konnte – denn je mehr Abhängigkeiten und je höher die Komplexität, desto geringer Innovationsvermögen und Wachstum.

Komplexität hemmt Innovation

Auch Entwickler sind Menschen. Niemand hat Lust immer dasselbe zu machen, immer an denselben Problemen zu sitzen. Neues Personal musste Wochen und Monate damit verbringen, den gesamten Code grundsätzlich zu verstehen, um Veränderungen daran vornehmen zu können oder etwas Neues darauf aufzubauen. Außerhalb dieser Struktur wuchsen die Möglichkeiten der neuen Netzwerkarchitektur – nur war das alles nicht kompatibel mit den gewachsenen Monolithen. Java konnte kein Go implementieren. „Wenn du die Varianz tötest, tötest du die Innovation“ – das war nicht nur Schaefer klar. Gerade junge Mitarbeiter wollen mit den neuen Systemen und Möglichkeiten arbeiten. Der Code machte Zalando zu einem unattraktiven Arbeitgeber.

API first!

Unter dem Leitsatz API first! baute Zalando seine Strukturen um. Das bedeutet, dass jede App eine funktionale Schnittstelle haben muss, also einen offenen Zugang, um Informationen durch andere Apps erhalten und verarbeiten oder eben herausgeben zu können. Und um jede App herum gibt es ein Team, das völlig frei in der Entwicklung, aber später auch in der Administration dieser App ist. Statt eines großen Systems mit tausenden Zeilen von Code gab es jetzt eine eigene Umgebung, in der sich ein Netzwerk aus Applikationen entwickeln konnte.

ZMON 2.0 & Stups.io – die Eigenentwicklungen

Diese Umgebung ist Stups.io, eine Architektur, welche die Amazon Web Services (AWS) für die Anforderungen für Zalando erweitert, abstrahiert und jedem Team eine eigene Serverstruktur gewährt. Stups ist eine Eigenentwicklung genau wie das Open-Source Monitoring Tool ZMON 2.0. Dazu kommen gängige Tools wie Dockers. Mithilfe dieser Architektur können Neuheiten extrem schnell ausgerollt, getestet, variiert oder zurückgenommen werden – ohne einen komplexen Code vollständig kennen zu müssen und ohne die Gefahr, das ganze System negativ zu beeinflussen. In der selbstgeschaffenen Umgebung und mit einem neu definierten Mindset operieren die Teams jetzt wie Startups, verantwortlich für Entwicklung, Tests und Betreiben der neuen Prozesse.

Die Kartenmacherei: Es begann mit einem Konfigurator

Sebastian Heurer (links) und Steffen Behn (rechts) von der Kartenmacherei (Bild: PR)

Steffen Behn und Sebastian Heurer von der Kartenmacherei, einem Web-to-Print-Anbieter, gewährten kürzlich im Rahmen des ShopTechTalks-Podcasts spannende Insights. Begonnen haben sie mit Magento, um die riesige Menge der Produktkategorien und Produktdetailseiten unter Kontrolle zu bringen. Ihre erste Eigenentwicklung war ein Kartenkonfigurator. Der Online-Konfigurator im B2C-Bereich für Grußkarten aller Art bedeutete einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz. In wenigen Schritten werden Kundenwünsche eingelesen, abgefragt und in ein Print-PDF übersetzt.

2014 begann die Kartenmacherei das nächste Wagnis: Auch alles andere wurde nun eigenständig auf der Grundlage von PHP entwickelt, der Magento-Shop nach und nach abgebaut und ersetzt. Der Erfolg wurde bereits nach ihrem ersten Experiment 2015 sichtbar: Das Ziel war es, eine Kategorieseite in unter 100 Millisekunden auszuliefern – nach drei Tagen schafften sie das und eine zusätzliche Produktseite in nur 60 Millisekunden. Am besten gefällt den CTOs dabei, dass sie das volle Wissen, aber auch die volle Verantwortung über ihren Stack haben. Jede Zeile Code sei selbst geschrieben und alles, was da an Code stehe, bräuchten sie auch.

Und wie steht es bei der Kartenmacherei um Microservices? Die Terminologie ist den beiden nicht so wichtig: „Wir nennen das nicht Microservices“, sagt Behn im Podcast. Dass es sie gibt, bestätigen sie aber: Der Warenkorb im Online-Shop ist ein komplett eigenständiger Prozess, der egal, was im Hintergrund des Shops passiert, unbeeindruckt von Veränderungen seinen Dienst verrichtet.

REWE Group: Überwältigende Produktinformationen

Die Teenagerjahre des 21. Jahrhunderts sind auch die Jahre, in denen die Shoptechnologie in ihre Reifephase tritt und sich selbstständig macht. Im April 2016 startete REWE das neue Produktinformationsmanagement (PIM) für seinen Online-Lieferservice. Vorher hatten die Teams mit viel Aufwand das alte PIM gepflegt. Das Problem: Nur mit viel Arbeit ließen sich neue Kategorien erstellen oder Produkteigenschaften, die relevant geworden waren, einpflegen. Egal, ob es sich um das Gewicht der Produkte oder neue Bedürfnisse der Kunden wie die Kategorie „Vegan“ handelte, das alte PIM bot da keine Flexibilität. Wenn an einer Schraube gestellt wurde, mussten alle Produkte neu kategorisiert und überprüft werden.

Mithilfe von commercetools wurde für die REWE Group eine Plattform aufgesetzt, die über ihre Schnittstelle Daten des alten PIM importieren konnte. Ein REWE-eigenes Team entwickelte neben diesem Importer noch zwei weitere Microservices auf Java-Logik, die einen reibungslosen Ablauf und Unabhängigkeit von der alten Plattform ermöglichen.

Eigenentwicklungen & Microservices – die Zukunft?

Eigenentwicklungen sind nicht die Zukunft. Warum? Weil sie schon längst Gegenwart sind. Fertige Shopsysteme fordern viel Wissen, viel Pflege und bringen Schwierigkeiten bei der Anpassung nach individuellen Wünschen mit sich. Und viele Funktionen werden nie benutzt, obwohl Unternehmen für das Gesamtpaket bezahlen müssen. Zwar müssen sich Nutzer eines fertigen Shopsystems anfangs nicht viele Gedanken machen. Mit der Zeit stellt sich aber die Frage: Will ich für ein fertiges System arbeiten und mir vorschreiben, wie ich meine Unternehmensprozesse durchführe? Mit Eigenentwicklungen und Microservices machen sich Unternehmen unabhängig oder verringern Abhängigkeiten stark. Sie ermöglichen dem Personal, Eigenverantwortung zu übernehmen und sich Prozesse nach eigenen Bedürfnissen zu gestalten. Schon allein dieser Grad an Freiheit ist es wert, den Wechsel vom fertigen Shopsystem zu einer individuellen Lösung in Betracht zu ziehen.

Kostenloser Shoptech-Leitfaden

Dieser Beitrag erschien zuerst in unserem Shoptech-Leitfaden: Mit Baukasten-Systemen und Microservices zum Erfolg, der kostenlos bei unserem Partner commercetools erhältlich ist. Der Leitfaden erläutert die Vorteile einer modernen Softwarearchitektur aus Eigenentwicklungen, Baukasten-Systeme und Microservices, die über Programmierschnittschnellen (APIs) miteinander kommunizieren. Mit einer Mischung aus Best Practices, Interviews und Anleitungen zeigt der Leitfaden, wie Sie erfolgreich zum Architekten Ihres maßgefertigten Shops werden.

Lesen Sie im Shoptech-Leitfaden u.a. folgende Themen:

  • Glossar mit den wichtigsten Shoptech-Fachbegriffen
  • Wie Keller Sports seine Systeme erfolgreich modernisiert hat
  • Wie C.H. Beck sein System vom Monolithen zu Microservices migriert hat
  • Disruption einfach gemacht: Tipps von Disrooptive-Gründer Ruppert Bodmeier

Gratis-Anforderung des Shoptech-Leitfadens:

Den Shoptech-Leitfaden können Sie kostenlos bei unserem Partner commercetools herunterladen!


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