24/7 einkaufen: Autonome Stores auf dem Vormarsch.

von Florian Treiß am 18.März 2021 in News, Trends & Analysen

shop.box und collect.box auf dem Bildungscampus Heilbronn (Bild: Schwarz-Gruppe/ots)

Eine aktuelle Auswertung der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) zeigt: In Europa gibt es schon über 25 verschiedene Store-Konzepte, bei denen Kunden rund um die Uhr einkaufen können, ohne dass dazu Personal im Laden sein muss. Ganz neu im Rennen: Die Pilotprojekte shop.box und collect.box, mit denen die Schwarz-Gruppe (Lidl/Kaufland) ausprobiert, wie sich autonome Stores erfolgreich betreiben lassen. Wir stellen die unterschiedlichen Konzepte näher vor und zeigen, wie sie sich unterscheiden.

Als der erste Amazon Go im Januar 2018 in New York für die Öffentlichkeit geöffnet wurde, löste das weltweit ein ziemlich großes Staunen aus: Kunden und Kundinnen können in dem kassenlosen Laden einfach Waren aus den Regalen und Kühlschränken nehmen und den Store danach ohne klassischen Bezahlvorgang wieder verlassen – eine vorherige Registrierung, ein Checkin über eine App, viele im Store verbaute Sensoren sowie künstliche Intelligenz machen es möglich.

Gleich zwei Pilotprojekte von der Schwarz-Gruppe

Von vielen Wettbewerbern anfangs skeptisch beäugt und wahlweise als zu teuer oder nutzlos abgetan, ist der Trend zu autonomen Stores mittlerweile auch in Deutschland und Europa angekommen. Sowohl klassische Lebensmitteleinzelhändler wie Edeka oder tegut mischen mit als auch Startups wie TYPY, die das Thema für sich entdeckt haben. Und während die meisten Player dabei nur ein einziges Konzept für einen autonomen Store verfolgen, hat die Schwarz-Gruppe zwar etwas länger gebraucht, schickte nun aber mit shop.box und collect.box gleich zwei im Grunde genommen vollkommen unterschiedliche Pilotprojekte ins Rennen.

Schwarz-IT-Manager Andreas Laube gab am Montag in einer Präsentation beim Retail Innovation Day der DHBW spannende Einblicke in beide Projekte, wie das folgende Video zeigt:

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Zusammengefasst lässt sich sagen: Die shop.box setzt ähnlich wie Amazon Go auf „Grab & go“, also die spontane Auswahl und Entnahme von Produkten aus den Regalen ähnlich wie in einem Supermarkt. Nur eben, dass es keine Supermarktkasse gibt, sondern Technologie dafür sorgt, dass der Einkauf der zuvor über eine App registrierten Kunden automatisch erfasst und abgerechnet wird. Hierbei kommen konkret Bewegungssensoren, Kameras und Gewichtssensoren zum Einsatz, um die entnommenen Produkte zu erfassen und den unterschiedlichen Kunden zuzuordnen.

Diese shop.box läuft vermutlich mit Technologie von Cloudpick und UST Global, auch wenn die Schwarz-Gruppe bislang keine konkreten Supplier beim Namen nennt. Diese Technologie kommt z.B. auch in der Lunchbox von Ahold Delhaize zum Einsatz. Wie genial und diebstahlssicher diese Lösung ist, zeigt dieses Video eines in China beliebten Influencers, der in einem Cloudpick-gepowerten Store am Flughafen von Shanghai versucht hat, etwas zu stehlen:

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collect.box als großer Abhol-Automat mit Roboter im Hintergrund

Die collect.box ist dagegen ein riesiger Abhol-Automat: Hier können Kunden Produkte, die sie zuvor per App bestellt haben, aus einem Ausgabefach abholen. Alternativ ist aber auch eine spontane Auswahl vor Ort über ein großes Display möglich. Der Einkauf wird dabei im Hintergrund von einem Robotersystem aus einem vollautomatisierten Hochregallager zusammengestellt. Sämtliche Produkte werden 24 Stunden lang für den Käufer reserviert. Holt er sie in dieser Frist nicht ab, werden die Produkte für andere Kunden „freigegeben“.

Auch für dieses System nennt die Schwarz-Gruppe bislang nicht den Technologie-Lieferanten. Laut Insidern handelt es sich offenbar um eine Installation der österreichischen Knapp-Gruppe, die in Deutschland über ihre Tochtergesellschaft Apostore bereits ähnliche Systeme in Apotheken ausgerollt hat und vergangenes Jahr auf der Euroshop ihre Lösung RetailCX vorgestellt hat.

Die Schwarz-Gruppe stapelt derzeit bewusst tief, was die Kommunikation des Themas angeht: „Beide Konzepte sind reine Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die im Rahmen der Digitalisierungsstrategie der Schwarz-Gruppe getestet werden. Ob einzelne dieser Konzepte Marktreife erreichen, steht dabei nicht im Mittelpunkt, ein Rollout in die Handelssparten ist nicht geplant“, heißt es in einer Pressemitteilung.

Autonome Stores: sechs unterschiedliche Cluster

Zugleich zeigt sich an diesen beiden Beispielen, wie unterschiedlich die Konzepte sein können. Insgesamt lassen sich beim Thema „Smart Store 24/7“ sogar sechs verschiedene Cluster ausmachen, wie Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel, beim Retail Innovation Day erläuterte. Sie reichen vom einfachen Verkaufsautomaten über Läden, bei den Kunden Ihre Einkäufe per Self Scanning & Checkout selbst erfassen müssen, bis hin zu komplexen Konzepten wie Amazon Go oder shop.box, bei denen Technologie im Hintergrund sämtliche Einkäufe automatisch erfasst. Solche vollautomatischen Konzepte werden wahlweise „Grab & go“, „Walk-in-Walk-out“ oder „Frictionless Shopping“ genannt“.

Das folgende Schaubild von Professor Stephan Rüschen zeigt die verschiedenen Ansätze in einer Clusterung (zum Vergrößern bitte anklicken):

Spannend ist die enorm unterschiedliche Herangehensweise ans Thema „Smart Store 24/7“:

  • Während mancher Anbieter sich an gestresste Großstadtmenschen richtet, haben andere Player die Nahversorgung im ländlichen Raum im Auge.
  • Manche Konzepte setzen mehr auf Vertrauen und Mitwirkung der Kunden, z. B. das Konzept TEO von tegut, bei dem Kunden ihre Einkäufe selbst per Scan erfassen müssen (siehe auch weiter unten), während andere Konzepte stark auf Sensoren, künstliche Intelligenz oder ein Robotersystem setzen
  • Zwar sind die meisten Angebote bislang B2C-orientiert, doch mit Würth24 gibt es auch ein spannendes Konzept für Befestigungs- und Montagetechnik aus dem B2B-Bereich

Autonome Stores sind Top-Trend im LEH

Auch die neue EHI-Studie Technologie-Trends im Handel 2021 zeigt: Immer mehr Lebensmittelhändler haben das Thema auf der Agenda. Demnach sind autonome Stores bei 29 Prozent der LEH-Entscheider und -Entscheiderinnen aktuell der Top-Trend. Und so machen nun auch immer mehr Lebensmittelhändler Nägel mit Köpfen. In den vergangenen Wochen fanden wir dabei vor allem diese beiden Projekte sehr spannend, die sich jedoch ziemlich unterscheiden:

Blick in den TEO in Fulda: (Bild: tegut/Björn Friedrich)

Besonders viel Presse bekommen hat TEO, ein von dem Filialisten tegut ins Leben gerufener autonomer Store, der auf rund 50 Quadratmetern Verkaufsfläche rund um die Uhr 900 Artikel des täglichen Bedarfs anbietet. Der erste Markt eröffnete im November 2020 in der Innenstadt von Fulda, mittlerweile gibt es auch einen weiteren TEO in Rasdorf nördlich von Fulda. Vor kurzem wurde TEO bei den Stores of the Year sowie bei den Reta Awards ausgezeichnet. TEO setzt dabei auf Self-Scanning durch die Kunden und Kundinnen, wahlweise per App über eine Lösung von Snabble oder an einer SB-Kasse. TEO ist faktisch also eine Art Weiterentwicklung des Konzepts, dass Kunden ihre Einkäufe selbst scannen und bezahlen können wie z.B. bei IKEA oder Decathlon. Der Unterschied: bei TEO ist dies rund um die Uhr möglich, ohne dass Personal anwesend ist. Das Magazin „Brand Eins“ hat jüngst eine spannende Hintergrundgeschichte zur Entstehung von TEO veröffentlicht.

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Dagegen setzt der Ende Februar 2021 eröffnete EDEKA Karow & Sommer 24/7 Markt am Bahnhof Renningen in Baden-Württemberg auf eine Robotik-Lösung, die vom Startup Smark stammt. „Bestellen können Kunden von unterwegs per App oder an einem Touchscreen im Markt. Die Waren werden anschließend im rückwärtigen Bereich durch eine Robotik kommissioniert und an einer Ausgabe bereitgestellt“, erläutert Smark-Gründer Philipp Hoening. Backwaren werden im Foyer in Regalen präsentiert. Diese wählt der Kunde selbst aus und fügt sie der Bestellung hinzu. Bezahlt wird per Bankkarte oder online per App.

Fazit & Lesetipp

Auch wenn es in Deutschland noch sehr wenige autonome Stores gibt, so gewinnt das Thema durch die Projekte von tegut, EDEKA und der Schwarz-Gruppe immer mehr an Fahrt. Spannend dürften für Händler in Zukunft aber nicht nur vollkommen autonome Stores sein, sondern auch hybride Konzepte, bei denen es tagsüber Personal und Beratung im Laden gibt, die Versorgung aber auch außerhalb der Öffnungszeiten sichergestellt werden kann. Dass das längst nicht nur ein Thema für den Bereich Convience Stores und Lebensmitteleinzelhandel ist, zeigt das Beispiel Würth24: Auch in anderen Handelssparten dürfte es bald spannende Konzepte geben.

Wer sich noch intensiver mit autonomen Stores beschäftigen möchte, dem empfehlen wir das neue Whitepaper „Smart Stores 24/7 – Status quo und Ausblick“ von DHBW-Professor Stephan Rüschen und seinem Team.


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