In einer globalisierten Welt bestehen: Deutschland muss schneller werden.

von Gastautor am 24.Juli 2020 in News, Trends & Analysen

Von Helmut Merkel

Die USA bauen Handelsbarrieren auf und seit dem BREXIT-Beschluss versucht Großbritannien ja bereits individuelle Handelsverträge mit der Welt abzuschließen. Die Globalisierung wird damit nicht beendet, aber verlangsamt, Stichwort „Slowbalisierung“ (siehe Teil 1 meiner Analyse). Doch was bedeutet das für den Standort Deutschland?

Sind wir in der Bildung, bei Innovation, Zuverlässigkeit, Qualität und Infrastruktur gut genug aufgestellt, um im internationalen Wettbewerb dauerhaft mithalten zu können? China ist mit Vehemenz dabei, eine frühere Domäne Deutschlands zu besetzen: die Standardisierungsorganisationen. Ein klares Anzeichen für den zunehmenden Wettbewerb. Wer die Standards vorgibt, dominiert. In der Internet-Infrastruktur hat uns das Land bereits überholt, ebenso bei der Eisenbahntechnologie, beim Chip- und Computerbau und in vielen Bereichen der Haushalts- und Konsumelektronik. Die chinesische Infrastruktur, Häfen, Eisenbahnverbindungen, Flughäfen, Schulen, Universitäten usw. sind in ihrer Dimension einzigartig. Die nächste Domäne, in der uns China angreift, ist der Maschinenbau.

Abhängigkeit von China durch Corona-Pandemie

Die Corona-Krise liefert ein zweites Argument für eine Einschränkung der Globalisierung. Zu Beginn der Krise gab es in Deutschland nicht ausreichend Mundschutz- und Gesichtsmasken sowie andere medizinische Artikel wie Handschuhe oder Schutzanzüge, da die Herstellung solcher Produkte, den Stückkostenvorteilen folgend, nicht mehr in Deutschland stattfindet. Lautstark wird die Abhängigkeit von anderen Volkswirtschaften beklagt, insbesondere der chinesischen Volkswirtschaft, die allein genug Kapazitäten und Know-How hatte, die Engpässe allmählich zu beseitigen.

In der Corona-Krise ließ die Bundeswehr extra Schutzmasken aus China einfliegen (Bild: Bundeswehr/Thorsten Weber)

Offensichtlich ist, dass Bundesregierung und Wirtschaft die Verpflichtung zur Vor- und Fürsorge im Katastrophenschutz vernachlässigt haben. Da es seit der Spanischen Grippe vor hundert Jahren keine solche Pandemie mehr gab, waren sich alle Verantwortlichen des Risikos nicht bewusst. Das gilt auch für den privaten Bereich. Niemand in Deutschland hatte vor Corona vermutlich Mundschutz- oder Toilettenpapiervorräte angelegt.

Nach der Krise ist vor der Krise. Mit diesem Wissen und den entsprechenden Maßnahmen sollte es vermutlich gelingen eine zu große Risikobereitschaft bei der Globalisierung zu korrigieren und kritische Produktionen z.B. bei Wirkstoffen von Medikamenten an unkritische Standorte zu verlagern. Am Beispiel der so dringend benötigten Schutzmasken während der Pandemie zeigt sich aber, dass das wohl gar nicht so einfach ist.

China will Führungsrolle

Ein drittes Argument macht sich in den Medien mehr und mehr breit, das weder mit dem Handelskrieg noch mit Corona verbunden ist. China wird zunehmend als Staat dargestellt, der die Welt dominieren möchte – und das als staatskapitalistisches Einparteiensystem, dem jede demokratische Legitimierung fehle. Huawei, Sicherheitsgesetz für Hongkong oder Internetzensur werden aufgezählt, um die Bedrohungen für die westliche Welt auszumalen.

In einer Zeit, in der die Vereinigten Staaten von Amerika mit „America First“ ihrer ursprünglichen Rolle als Ordnungsmacht nicht mehr nachkommen (wollen), Europa nicht als Ganzes mit einer Stimme sprechen kann, füllt China das Vakuum und ergreift Initiative. Hinzu kommt, dass die chinesische Wissenschaft und Wirtschaft inzwischen in der Lage sind, nach der Führungsrolle in einigen Schlüsselbereichen zu greifen. Eine staatliche Strategie und auch die finanziellen Mittel dafür sind vorhanden.

Ist die richtige Reaktion auf diese Entwicklung der Aufbau weiterer Handelsbarrieren? Auf Mahnungen aus Europa wird die dortige Regierung nicht hören. Wirtschaftliche Sanktionen sind wirkungslos. Europa und insbesondere Deutschland können sich Handelseinschränkungen mit China nicht leisten. Deshalb ist der Umgang von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der chinesischen Staatsmacht als ausgesprochen besonnen zu bezeichnen. Die ergriffenen Maßnahmen, den Technologie- und Know-How-Transfer bei Firmenübernahmen zu erschweren, sind wirkungsvoller und stellen nicht die grundsätzliche wirtschaftliche Zusammenarbeit in Frage.

Fremdenfeindlichkeit contra Globalisierung?

Ein weiteres Ereignis trifft Europa durch die Migrantenströme aus Afghanistan, dem Mittleren Osten und aus Afrika bis ins Mark: Will die Gesellschaft Migranten integrieren oder ist doch Abschottung die bessere Strategie? Die aufkeimende Fremdenfeindlichkeit in vielen Ländern wird ebenfalls als Argument gegen die Globalisierung eingesetzt.

Die Frage des Umganges mit Migration hat allerdings nichts mit der Frage der Globalisierung zu tun. Oder andersherum: Der Verzicht auf Globalisierung wird die Migrantenströme nicht stoppen. Die Kosten einer humanitären Lösung der Migration können dagegen nur finanziert werden, wenn Europa und Deutschland auch weiterhin in der Lage sind, Ersparnisse im globalen Wettbewerb der Wirtschaftsräume zu verdienen.

Was ist die Antwort auf die Frage, ob Globalisierung Zukunft hat?

Laut IWF ist China mittlerweile die größte Volkswirtschaft der Welt (Infografik: Statista)

Die Diskussion, ob China das richtige politische System hat oder nicht, bringt uns nicht weiter. China hat bewiesen, dass es seine Bevölkerung (1,4 Milliarden Menschen) ernähren kann und hat der Mehrheit der Bevölkerung Wohlstand gebracht. Darüber hinaus hat es eine strukturelle Reform vom Agrar- zum Industriestaat geschafft und sich als Volkswirtschaft an die Weltspitze der größten Volkswirtschaften gekämpft – Anteil weiter steigend.

Nur im Wettbewerb der Systeme und der Kulturen liegt die Zukunft und die Chance, unseren Wohlstand durch Koexistenz abzusichern. Ohne Globalisierung ist das nicht möglich.

Um die Position in der Welt abzusichern, muss Europa und muss Deutschland effizienter und schneller werden. Nur das hilft den Unternehmen, im globalen Wettbewerb zu bestehen.

Wie können Europa und Deutschland effizienter und schneller werden?

Die demokratischen Strukturen in Europa und in Deutschland müssen sich anpassen. Demokratie ist auch Pluralismus und reflektiert die Meinungsvielfalt. Diese kostbare Errungenschaft gerät aber zunehmend unter Druck, weil demokratisch gefasste Entscheidungen erst einmal viel Vorbereitungszeit kosten und weil sich zunehmend ein Verhalten breitmacht, dass einmal gefasste Mehrheitsentscheidungen von einer beliebigen Stakeholdergruppe nicht akzeptiert werden. Durch das Einschalten weiterer Instanzen und von Gerichten verlangsamt sich damit die Umsetzung wichtiger Entscheidungen immer mehr, obwohl sie eigentlich unter hohem Zeitdruck gefällt werden müssten. Das Ringen der-EU Länder um Kompromisse wie beim EU Corona-Hilfspaket ist ein deutliches Beispiel dafür.

Ein anderes Beispiel liefert die Diskussion über Aufnahmequoten für Flüchtlinge in den Mitgliedsstaaten der EU. Die bejubelte Einigkeit am Ende solcher Entscheidungsprozesse passt zwar in unser Wertesystem, aber nicht zum globalen Wettbewerb, in dem die Teilnehmer mit anderen Geschwindigkeiten agieren.

Mehr Geschwindigkeit und Investitionen

Deutschland hat sich 1949 bei der Neukonzeption des Staates für eine weitgefächerte Föderalismusstruktur entschieden. Diese Entscheidung ist sicher im Kontext zur Geschichte Deutschlands seit Napoleon, einschließlich der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nationen zu sehen. Im Zeitalter globaler Wirtschafts- und Politikstrukturen, sollte der Föderalismus in der heutigen Form auf den Prüfstand gestellt werden. Auch in dieser demokratisch föderalen Struktur gilt, was für die EU bereits ausgeführt wurde: Mehrheitsentscheidungen werden im Normalfall auf keiner Ebene von der Opposition akzeptiert, deshalb dauert die Vorbereitung von Entscheidungen sehr lange und die Umsetzung scheitert oder verzögert sich durch Einsprüche der Stakeholder. Ein gutes Beispiel bietet auch hier der Verlauf der Corona-Krise. Zu Beginn konnte die Kanzlerin ein klares Maßnahmenpaket für die Bewältigung der Krise platzieren, aber bereits zwei Wochen später waren die Länder unterschiedlicher Meinung über die Angemessenheit der Maßnahmen. Außerdem gibt es unzählige Beispiele über Großprojekte, die wegen der Komplexität der Entscheidungsstrukturen mit großen Verzögerungen realisiert oder gescheitert sind. Allein das Projekt „Digitalisierung im Bildungssystem“ ist exemplarisch, zumal die tatsächliche Situation auch in der Corona-Krise offenbar wurde. Insbesondere der Vergleich mit asiatischen Ländern zeigt, wo wir stehen. Wir sind zu langsam.

Es geht um Milliardensummen von Steuergeldern, die jetzt als Maßnahmenpaket in vielen Fällen endlich Abhilfe schaffen sollen (Digitalisierung im Gesundheitswesen, Bildung, öffentliche Verwaltung, Transport und Verkehr, Sicherheit, Glasfaserausbau als Infrastrukturmaßnahme, Wasserstofftechnologie für den Klimaschutz, Wissenschaftsförderung usw.). Offensichtlich bedurfte es erst der Krise, um die Stakeholder der verschiedenen Interessengruppen zu überzeugen, dass enormer Handlungsbedarf besteht. Auch wegen Corona, vor allem aber wegen unserer Position im globalen Wettbewerb.

Wir brauchen mehr Geschwindigkeit und rechtzeitige Investitionen in den Schlüsselbereichen, um international unsere einzigartige Position als erfolgreiche Volkswirtschaft behalten zu können.

Über den Autor:

Helmut Merkel ist ehemaliger Karstadt-Chef und lebt seit über zehn Jahren in Hongkong. Zusammen mit seinem Sohn hat er dort die Eurasia Global gegründet, eine Plattform zur Abwicklung von Einkäufen, Transporten und weiteren Services für Handelsunternehmen in Asien und Europa. Für Location Insider hatte Merkel bereits vor wenigen Wochen seine Eindrücke vom Umgang der Chinesen mit dem Corona-Virus geschildert und unseren Fragebogen „Handel im Wandel“ ausgefüllt. Der Handelsexperte war außerdem von 1993-97 Chef bei Deichmann.


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