„Mit Hochdruck an der Erneuerung arbeiten“: Stimmen aus dem Handel zum Corona-Jahr.
von Kay Ulrike Treiß am 14.Dezember 2020 in News, Trends & AnalysenHeute geht Sachsen in den Lockdown, alle anderen Bundesländer folgen am Mittwoch. Nach den Umsatzausfällen im ersten Lockdown hatten viele Händler aufs Weihnachtsgeschäft gehofft, doch nun endet dieses früher. Viele Händler wollen sich aber nicht unterkriegen lassen und arbeiten mit Hochdruck an der Erneuerung ihres Geschäfts. Ein Rückblick und Ausblick.
Dierk Steinert, Inhaber der Weinhandlung EN GROS & EN DETAIL
Das Corona Jahr aus Handelsperspektive – absolut herausfordernd.
Wir können nur für uns sprechen und da ist es mit drei verschiedenen Kanälen im Vertrieb sehr herausfordernd gewesen.
Die Gastronomie ist nach dem ersten Lockdown sehr unterschiedlich zurückgekommen. Mit großen Cateringplayern und Hochzeitslocations konnten wir nur wenig umsetzen, dafür waren aber Individualbetriebe mit großen Freisitzen und viel Engagement der Betreiber sehr agil. Dahingehend war die Beschaffung der Ware ein Abenteuer, herkömmliche Einkaufsstrategien und Erfahrungen mussten neu angepasst werden.
Das Privatkundengeschäft hat deutlich zugenommen, unsere Produkte und unsere Arbeit werden als wertig empfunden und wir haben Kunden gewonnen, die die Produkte auch nachgekauft haben. Dort müssen wir im Angebot für Abwechslung und Innovation sorgen, obwohl wir in der Einkaufspolitik eher vorsichtig agieren wollen.
Unser Onlinehandel ist noch im ersten Entwicklungsstadium. Dafür ist er aber sehr gut angelaufen, mit besten Rückmeldungen. Dort arbeiten wir intensiv daran, den Bekanntheitsgrad zu erhöhen und bilden uns in den Maßnahmen von SEO etc. fort. Das ist ein spannendes Feld, ein komplett anderes als Wein und Perlage.
Damit ist 2020 für uns ein Jahr mit weniger Umsatz – aber mehr Herausforderung. Wir sind auch wirklich erschöpft, aber dennoch guten Mutes. Das Feedback unserer Kunden und unsere Winzer motivieren uns, mit voller Kraft die Herausforderung von 2021 anzunehmen.
Wolf-Jochen Schulte-Hillen, Gründer von SH Selection
2020: Ein Jahr zwischen Hoffen und Bangen – Ein Jahr der Gegensätze.
Shoppen gehen, Entertainment, Freunde treffen, Festivals, Sportevents hatten Pause in 2020. Wird das Allheilmittel Impfung uns „back to normal“ bringen?
Der Online-Handel vermeldet 2020 versus 2019 ca. 10 bis 18 Milliarden Euro steigende Umsätze (IFH). Der stationäre Handel – vor allem im Fashionbereich – verzeichnet horrende Umsatz- und Ertragseinbrüche. Wenngleich unter anderem der Lebensmittelhandel, Baumärkte, Bike und Handel mit Wohn- und Lifestyleprodukten gute bis exorbitant hohe Umsätze verzeichnen konnten, hat Covid-19 nicht nur in Deutschland sondern auch weltweit mit wenigen Ausnahmen als Brandbeschleuniger ohnehin schwache Unternehmen an ihre Existenzgrenzen geführt, wenn nicht gar vernichtet. Das Aussetzen der Insolvenzregeln und Fördermaßnahmen hat ohnehin sterbenden Handelsunternehmen noch eine Galgenfrist gegeben. Es gibt in der Tat aus dieser Gruppe nur wenige Händler, die mit dem Einsatz von neuen Konzepten mit viel intelligentem Einsatz und vielfältigen digitalen Möglichkeiten trotzen konnten. Soziale Netzwerke und schnell geschaffene Marktplätze waren die Mittel der Wahl, Kundenbeziehungen zu erhalten und zu erweitern. Erlebnisshopping fiel mit wenigen Ausnahmen aus.
Learnings: Der Handel 2021 und die folgenden Jahre? Der Paradigmenwechsel ist auch 2021 noch nicht beendet.
- Die gelernte „Soziale Distanz“ wird noch eine lange Zeit bleiben.
- Handel muss mit spontanen und überraschenden Momenten und Erlebnissen begeistern.
- Handel muss auf allen Kanälen „digital und virtuell experimentieren“.
- Die Pure Player werden mit ihrer Community stationär werden und innovative Bewegung in die Innenstädte bringen.
- Direct to Consumer Brands (DTC) werden zunehmend stationär. Sie brauchen zum Überleben den direkten Kontakt zu ihren Kunden.
- Retail as a Service (RaaS) gibt neuen Produkten und Marken eine Chance und belebt mit neuem Look & Feel die Innenstädte.
- Für den schnellen kontaktlosen Konsum werden autonome Stores in den Markt drängen.
- Die bisher nur stationär agierenden Händler müssen zunehmend ihre Webpräsenz ausbauen. Ob sich Marktplatzanschluss oder ein eigener Webshop rechnet, hängt von den angebotenen Produkten ab.
Erfolg 2021 bedeutet aber auch: neben einem gut kuratierten Warenangebot und perfektem Service resilient auf die Veränderungen im Markt zu reagieren.
Joanna Fisher, ECE-Geschäftsführerin Center Management
Die Auswirkungen der Pandemie haben den stationären Handel im Jahr 2020 stark getroffen und die ohnehin bestehenden Herausforderungen noch einmal beschleunigt und verschärft. Das Jahr 2021 wird ebenfalls stark davon geprägt sein, die Auswirkungen werden noch sichtbarer werden. Daher gilt es auch weiterhin, partnerschaftliche Lösungen für den Umgang mit den aktuellen Veränderungen zu finden und gemeinsam umzusetzen und unsere strategischen Antworten noch intensiver und nachhaltiger voranzutreiben. Dazu gehören der weitere Ausbau von Omnichannel-Angeboten wie unserer „Digital Mall“, um online und offline stärker zu vernetzen. Auch die stetige Weiterentwicklung unserer Handelsstandorte zu lebendigen Marktplätzen steht für uns im Fokus, indem wir immer wieder neue Konzepte, Angebote und Nutzungen integrieren und so die Wünsche unserer Kunden stets von Neuem bedienen. Die Herausforderungen für 2021 sind also da – aber wir begreifen sie als Chance, um den stationären Handel weiter erfolgreich voranzubringen.
Nils Hartfelder, Gründer von Hartfelder Spielzeug
Das Corona-Jahr war eine riesige Herausforderung und vor allem mit sehr vielen Unbekannten, Überraschungen und kurzfristigsten Änderungen verbunden.
Es hat unsere Entwicklung um viele Jahre nach vorn getrieben. Wir waren plötzlich gezwungen eingefahrene Pfade zu verlassen und neue Strukturen zu schaffen. Ich bin sehr froh, dass die Läden weitestgehend offen bleiben durften, damit konnte man arbeiten. Lediglich die Wettbewerbsverzerrung hin zu Drogeriemärkten (durften während des Lockdowns auch andere Sortimente verkaufen) und Onlinehandel (warum durften die weiter machen trotz Lockdown) ist äußerst ärgerlich. Wirtschaftlich wird dieses Jahr keinen Spaß gemacht haben, war aber noch ok.
Helmut Merkel, ehemaliger Karstadt-Chef und heute Eurasia Global
Die Corona-Pandemie hielt einige Überraschungen für die Konsumenten und Händler in Europa bereit. Nach dem Bekanntwerden der ersten Fälle der „neuartigen Ansteckungskrankheit“ in China Ende Dezember 2019 dachten wir in Europa, das ist schlimm, betrifft uns aber nicht. Nachdem China bereits in einigen Regionen im Lockdown war, gab es auch die ersten Fälle in Italien, Frankreich und Deutschland. Und immer noch dachten wir, wir hätten alles im Griff.
Als langsam die Hamsterkäufe einsetzten, lernten wir schnell, dass der Vorrat „wichtiger“ Konsumartikel nicht unendlich reicht – andere Artikel, die uns bisher wichtig waren, verkauften sich dagegen nur noch in geringem Umfang.
- Nicht gleich schlecht für Alle: Der Lebensmitteleinzelhandel, Drogeriemärkte, Apotheken und selbst Bürobedarf (Homeoffice) boomten.
- Nicht gleich gut für Alle: Die Modebranche, Hotels, die Tourismusbranche und die Präsenzmessen litten und leiden enorm.
- Der Onlinehandel boomt, bargeldloses Bezahlen ist plötzlich „selbstverständlich“.
- Die Steuerausfälle waren nicht so groß, wie erwartet.
Der erste Lockdown war ein Schock für einige Bereiche des Handels, für die Vermieter, für die Gastronomie und für viele Dienstleistungsunternehmen wie Frieseure usw. Es dauerte Monate, bis sich das Maskentragen durchsetzte. Mit Hygiene- und Abstandsregeln taten wir uns leichter. Interessanterweise setzte sich das Messen der Körpertemperatur, das in Asien ein Muss vor dem Betreten fremder Räume darstellt, in Europa nicht durch. Und trotz der Erfahrungen der ersten Welle, steuerten wir geradewegs auf die zweite Welle zu.
Der Handel hat schnell gelernt. Aber es zeigten sich auch schonungslos die Defizite der traditionellen Handelsformate. Zu viel Fläche, Malls und traditionelle Innenstadtlagen mussten zusehen, wie der Onlinehandel die fehlende Omnipräsenz vieler Händler durch Umsatzzuwächse für sich nutzen konnte.
Aber auch in anderen Bereichen, in Schulen, der Verwaltung und in vielen mittelständischen Unternehmen wiegt die mangelnde Digitalisierung schwer.
Nachdem der Leuchtturm der Hoffnung jetzt aufgerichtet ist und die Impfungen gegen das Virus bald beginnen, bleibt zu hoffen, dass unser Land die „Defizite“ nicht zu schnell vergisst und mit Hochdruck an der Erneuerung arbeitet.
Weitere Statements u.a. von BabyOne-Chefin Anna Weber und NewStore-Gründer Stephan Schambach lesen Sie morgen auf Location Insider. Um kein Statement zu verpassen, können Sie gern unseren kostenlosen Newsletter abonnieren.
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